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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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sensationell wirkender Individuen in eine falsche Bahn gelenkt zu werden. Der
einsam schaffende Künstler, der sich um das Treiben der großen Menge wenig
kümmert und nur seinen Idealen nachhängt, der naive Beschauer, dessen Auge
nicht genug geschärft ist, um hinter die Koulissen zu blicken, und dessen Sinn
durch den Trommelwirbel der Reklame verwirrt ist, beide suhlen sich vor den
mit größtem Raffinement in Szene gesetzten Sensationsbildern der Neuzeit anfangs
beängstigt und in ihrer ruhigen Anschauungsweise gestört. Wenn der erste
Eindruck überwunden ist, stellt sich die Reflexion M; sie reizt den Künstler zur
Nacheiferung, wenn sie nicht gar schlimmere Gefühle in feiner Brust rege macht,
und der genießende Kunstfreund gelangt allmählich zu der Ueberzeugung, daß
er etwas normales gesehen hat. Wenn das nächste Sensationsbild seinen Bei¬
fall haben soll, muß es seinen Vorgänger übertrumpfen. Man erinnert sich
noch der Stürme der Entrüstung und des Entzückens, welche Makart's erstes
Sensationsbild "Die sieben Todsünden oder die Pest in Florenz" im Jahre
hervorriefen. Dieser Zyklus von Gemälden bildete fortan die Basis für
die Beurtheilung des Mannes. An diesem Maßstabe wurden seine späteren
Leistungen gemessen.

Es ist die Absicht der nachfolgenden Studien, diese Krankheit unserer Zeit
an drei hervorragenden Beispielen zu kennzeichnen. Eine Untersuchung, ob und
in wie weit die drei in Rede stehenden Maler, Böcklin, Makart und Gabriel
Max, mit dem Tamtam der ihnen vorausgeschickten Reklame, mit der raffinirten
Jnszenirung und dem jahrmarktsmüßigen Herumführen ihrer Bilder einver¬
standen sind, ob sie von innerem Instinkte getrieben, einer Eigenartigkeit ihres
Charakters folgend, auf diesen Pfad gerathen find, oder ob sie in bewußter Ab¬
sicht ihrer Sucht nach dem Bizarren, Nervenerregenden nachgeben, eine solche
Untersuchung weisen wir von vornherein von der Hand. Die Wissenschaft, die
sich mit der alten Kunst beschäftigt, rechnet nur mit Urkunden und Thatsachen.
Auch für uns baut sich die Persönlichkeit eines modernen Künstlers nur aus
seinen Thaten auf, und das sind für einen Maler seine Bilder.

Jener klassischen Richtung in der deutschen Malerei, welche die Zeichnung
und die plastische Durchbildung der Form, den geistigen Inhalt und die Kom¬
position für das höchste Ziel der Kunst hielt und geringschätzig auf alle rein
malerischen Bestrebungen herabsah, folgte nicht sogleich ihr Widerspiel, die Auf¬
lösung der Form in eine ausschließlich koloristische Wirkung. Zunächst brach
sich eine vermittelnde Richtung Bahn, welche beide Forderungen auf der Basis
eines bescheidenen Realismus zu vereinigen suchte. Die Schule Schadow's,
Bendemann's und Lessing's in Düsseldorf und die Piloty-Schule in München
bildeten die erste und zweite Generation, welche in dieser vermittelnden Richtung
thätig waren. Aus der Piloty-Schule ging der Vertreter des absoluten Kolorismus,


sensationell wirkender Individuen in eine falsche Bahn gelenkt zu werden. Der
einsam schaffende Künstler, der sich um das Treiben der großen Menge wenig
kümmert und nur seinen Idealen nachhängt, der naive Beschauer, dessen Auge
nicht genug geschärft ist, um hinter die Koulissen zu blicken, und dessen Sinn
durch den Trommelwirbel der Reklame verwirrt ist, beide suhlen sich vor den
mit größtem Raffinement in Szene gesetzten Sensationsbildern der Neuzeit anfangs
beängstigt und in ihrer ruhigen Anschauungsweise gestört. Wenn der erste
Eindruck überwunden ist, stellt sich die Reflexion M; sie reizt den Künstler zur
Nacheiferung, wenn sie nicht gar schlimmere Gefühle in feiner Brust rege macht,
und der genießende Kunstfreund gelangt allmählich zu der Ueberzeugung, daß
er etwas normales gesehen hat. Wenn das nächste Sensationsbild seinen Bei¬
fall haben soll, muß es seinen Vorgänger übertrumpfen. Man erinnert sich
noch der Stürme der Entrüstung und des Entzückens, welche Makart's erstes
Sensationsbild „Die sieben Todsünden oder die Pest in Florenz" im Jahre
hervorriefen. Dieser Zyklus von Gemälden bildete fortan die Basis für
die Beurtheilung des Mannes. An diesem Maßstabe wurden seine späteren
Leistungen gemessen.

Es ist die Absicht der nachfolgenden Studien, diese Krankheit unserer Zeit
an drei hervorragenden Beispielen zu kennzeichnen. Eine Untersuchung, ob und
in wie weit die drei in Rede stehenden Maler, Böcklin, Makart und Gabriel
Max, mit dem Tamtam der ihnen vorausgeschickten Reklame, mit der raffinirten
Jnszenirung und dem jahrmarktsmüßigen Herumführen ihrer Bilder einver¬
standen sind, ob sie von innerem Instinkte getrieben, einer Eigenartigkeit ihres
Charakters folgend, auf diesen Pfad gerathen find, oder ob sie in bewußter Ab¬
sicht ihrer Sucht nach dem Bizarren, Nervenerregenden nachgeben, eine solche
Untersuchung weisen wir von vornherein von der Hand. Die Wissenschaft, die
sich mit der alten Kunst beschäftigt, rechnet nur mit Urkunden und Thatsachen.
Auch für uns baut sich die Persönlichkeit eines modernen Künstlers nur aus
seinen Thaten auf, und das sind für einen Maler seine Bilder.

Jener klassischen Richtung in der deutschen Malerei, welche die Zeichnung
und die plastische Durchbildung der Form, den geistigen Inhalt und die Kom¬
position für das höchste Ziel der Kunst hielt und geringschätzig auf alle rein
malerischen Bestrebungen herabsah, folgte nicht sogleich ihr Widerspiel, die Auf¬
lösung der Form in eine ausschließlich koloristische Wirkung. Zunächst brach
sich eine vermittelnde Richtung Bahn, welche beide Forderungen auf der Basis
eines bescheidenen Realismus zu vereinigen suchte. Die Schule Schadow's,
Bendemann's und Lessing's in Düsseldorf und die Piloty-Schule in München
bildeten die erste und zweite Generation, welche in dieser vermittelnden Richtung
thätig waren. Aus der Piloty-Schule ging der Vertreter des absoluten Kolorismus,


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[0396] sensationell wirkender Individuen in eine falsche Bahn gelenkt zu werden. Der einsam schaffende Künstler, der sich um das Treiben der großen Menge wenig kümmert und nur seinen Idealen nachhängt, der naive Beschauer, dessen Auge nicht genug geschärft ist, um hinter die Koulissen zu blicken, und dessen Sinn durch den Trommelwirbel der Reklame verwirrt ist, beide suhlen sich vor den mit größtem Raffinement in Szene gesetzten Sensationsbildern der Neuzeit anfangs beängstigt und in ihrer ruhigen Anschauungsweise gestört. Wenn der erste Eindruck überwunden ist, stellt sich die Reflexion M; sie reizt den Künstler zur Nacheiferung, wenn sie nicht gar schlimmere Gefühle in feiner Brust rege macht, und der genießende Kunstfreund gelangt allmählich zu der Ueberzeugung, daß er etwas normales gesehen hat. Wenn das nächste Sensationsbild seinen Bei¬ fall haben soll, muß es seinen Vorgänger übertrumpfen. Man erinnert sich noch der Stürme der Entrüstung und des Entzückens, welche Makart's erstes Sensationsbild „Die sieben Todsünden oder die Pest in Florenz" im Jahre hervorriefen. Dieser Zyklus von Gemälden bildete fortan die Basis für die Beurtheilung des Mannes. An diesem Maßstabe wurden seine späteren Leistungen gemessen. Es ist die Absicht der nachfolgenden Studien, diese Krankheit unserer Zeit an drei hervorragenden Beispielen zu kennzeichnen. Eine Untersuchung, ob und in wie weit die drei in Rede stehenden Maler, Böcklin, Makart und Gabriel Max, mit dem Tamtam der ihnen vorausgeschickten Reklame, mit der raffinirten Jnszenirung und dem jahrmarktsmüßigen Herumführen ihrer Bilder einver¬ standen sind, ob sie von innerem Instinkte getrieben, einer Eigenartigkeit ihres Charakters folgend, auf diesen Pfad gerathen find, oder ob sie in bewußter Ab¬ sicht ihrer Sucht nach dem Bizarren, Nervenerregenden nachgeben, eine solche Untersuchung weisen wir von vornherein von der Hand. Die Wissenschaft, die sich mit der alten Kunst beschäftigt, rechnet nur mit Urkunden und Thatsachen. Auch für uns baut sich die Persönlichkeit eines modernen Künstlers nur aus seinen Thaten auf, und das sind für einen Maler seine Bilder. Jener klassischen Richtung in der deutschen Malerei, welche die Zeichnung und die plastische Durchbildung der Form, den geistigen Inhalt und die Kom¬ position für das höchste Ziel der Kunst hielt und geringschätzig auf alle rein malerischen Bestrebungen herabsah, folgte nicht sogleich ihr Widerspiel, die Auf¬ lösung der Form in eine ausschließlich koloristische Wirkung. Zunächst brach sich eine vermittelnde Richtung Bahn, welche beide Forderungen auf der Basis eines bescheidenen Realismus zu vereinigen suchte. Die Schule Schadow's, Bendemann's und Lessing's in Düsseldorf und die Piloty-Schule in München bildeten die erste und zweite Generation, welche in dieser vermittelnden Richtung thätig waren. Aus der Piloty-Schule ging der Vertreter des absoluten Kolorismus,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/396>, abgerufen am 03.07.2024.