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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Wandlung auf juten - christlichem Gebiete schneller als auf Heiden-christlichem
eintrat.

Wo uns der Name der "Aeltesten" (Presbyter) begegnet, können wir sicher
sein, daß die Verfassung der Synagoge für die Ordnung der christlichen Ge¬
meinde bestimmend geworden ist.

Ein drittes Stadium in der Organisation der christlichen Gemeinde, die
Entstehung der episkopalen Verfassung, liegt jenseits des apostolischen Zeitalters.
Die neutestamentlichen Schriften kennen kein Episkopat im Unterschiede vom
Presbyterat. Bischof und Presbyter sind hier nur zwei Namen für ein und das¬
selbe Amt. Dagegen ist es richtig, daß noch im Laufe des ersten Jahrhunderts
sich die Voraussetzungen gebildet haben, auf denen bald darauf die bischöfliche
Verfassung erbaut werden konnte. Wir finden dieselben zuerst in der gestei¬
gerten Werthschätzung des Amtes. Wenn der Brief an die Hebräer die Vor¬
steher der Gemeinde Führer nennt, die für die Seelen der Gemeindeglieder zu
wachen und für sie Rechenschaft abzulegen haben, denen diese aber auch zum
Gehorsam verpflichtet sind, wenn der Brief an die Epheser die Träger des
Amtes als Hirten bezeichnet, so sehen wir, wie allmählich die Bedeutung und
Würde derselben gewachsen und über das bis dahin gewonnene Maß hinaus¬
gegangen ist.

Eine andere Voraussetzung für die Entstehung des Episkopats lag in den
eigenthümlichen Verhältnissen der juten-christlichen Gemeinden. Hier besaß
Jakobus eine Autorität, die, wenn auch nicht amtlich bestimmt, doch die Be¬
fugnisse in sich schloß, die später den Bischöfen zuerkannt wurde. Und als
nach Jakobus' Tode Simeon, ebenfalls ein leiblicher Verwandter Jesu, an
seine Stelle trat, so empfing er, wie es scheint, auch amtlich bischöfliche
Rechte und Gewalten.

Die Verfassung der Kirche ist der Rahmen, in dessen Grenzen sich ihr
gottesdienstliches Leben bewegt. Sehen wir, wie dieses sich im Laufe des
ersten Jahrhunderts gestaltet hat. Schwer wird es hier, scharf von einander
sich abhebende Entwickelungsstufen wahrzunehmen, doch ein Wachsthum zu
reicherer und bestimmterer Gestaltung ist leicht erkennbar.

Nur das gottesdienstliche Leben der Urgemeinde zu Jerusalem bietet ein
in sich abgeschlossenes Bild. Der engste Zusammenhang ihrer Glieder und die
gesteigertste Pflege des Gottesdienstes ist für sie charakteristisch. Sie stellt sich
als eine erweiterte Familie dar, in welcher der Ueberfluß der einen den Mangel
der anderen deckt, und täglich versammelt sie sich zu religiöser Feier. Diese
findet theils im Tempel -- in der salomonischen Halle --, theils in den Häusern
statt. Dort wird gebetet zur Selbsterbauung, wird gelehrt, die Juden für das
Evangelium zu gewinnen; hier bildet das Brodbrechen, die Begehung des


Grenzboten I. 1879. 49

Wandlung auf juten - christlichem Gebiete schneller als auf Heiden-christlichem
eintrat.

Wo uns der Name der „Aeltesten" (Presbyter) begegnet, können wir sicher
sein, daß die Verfassung der Synagoge für die Ordnung der christlichen Ge¬
meinde bestimmend geworden ist.

Ein drittes Stadium in der Organisation der christlichen Gemeinde, die
Entstehung der episkopalen Verfassung, liegt jenseits des apostolischen Zeitalters.
Die neutestamentlichen Schriften kennen kein Episkopat im Unterschiede vom
Presbyterat. Bischof und Presbyter sind hier nur zwei Namen für ein und das¬
selbe Amt. Dagegen ist es richtig, daß noch im Laufe des ersten Jahrhunderts
sich die Voraussetzungen gebildet haben, auf denen bald darauf die bischöfliche
Verfassung erbaut werden konnte. Wir finden dieselben zuerst in der gestei¬
gerten Werthschätzung des Amtes. Wenn der Brief an die Hebräer die Vor¬
steher der Gemeinde Führer nennt, die für die Seelen der Gemeindeglieder zu
wachen und für sie Rechenschaft abzulegen haben, denen diese aber auch zum
Gehorsam verpflichtet sind, wenn der Brief an die Epheser die Träger des
Amtes als Hirten bezeichnet, so sehen wir, wie allmählich die Bedeutung und
Würde derselben gewachsen und über das bis dahin gewonnene Maß hinaus¬
gegangen ist.

Eine andere Voraussetzung für die Entstehung des Episkopats lag in den
eigenthümlichen Verhältnissen der juten-christlichen Gemeinden. Hier besaß
Jakobus eine Autorität, die, wenn auch nicht amtlich bestimmt, doch die Be¬
fugnisse in sich schloß, die später den Bischöfen zuerkannt wurde. Und als
nach Jakobus' Tode Simeon, ebenfalls ein leiblicher Verwandter Jesu, an
seine Stelle trat, so empfing er, wie es scheint, auch amtlich bischöfliche
Rechte und Gewalten.

Die Verfassung der Kirche ist der Rahmen, in dessen Grenzen sich ihr
gottesdienstliches Leben bewegt. Sehen wir, wie dieses sich im Laufe des
ersten Jahrhunderts gestaltet hat. Schwer wird es hier, scharf von einander
sich abhebende Entwickelungsstufen wahrzunehmen, doch ein Wachsthum zu
reicherer und bestimmterer Gestaltung ist leicht erkennbar.

Nur das gottesdienstliche Leben der Urgemeinde zu Jerusalem bietet ein
in sich abgeschlossenes Bild. Der engste Zusammenhang ihrer Glieder und die
gesteigertste Pflege des Gottesdienstes ist für sie charakteristisch. Sie stellt sich
als eine erweiterte Familie dar, in welcher der Ueberfluß der einen den Mangel
der anderen deckt, und täglich versammelt sie sich zu religiöser Feier. Diese
findet theils im Tempel — in der salomonischen Halle —, theils in den Häusern
statt. Dort wird gebetet zur Selbsterbauung, wird gelehrt, die Juden für das
Evangelium zu gewinnen; hier bildet das Brodbrechen, die Begehung des


Grenzboten I. 1879. 49
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[0389] Wandlung auf juten - christlichem Gebiete schneller als auf Heiden-christlichem eintrat. Wo uns der Name der „Aeltesten" (Presbyter) begegnet, können wir sicher sein, daß die Verfassung der Synagoge für die Ordnung der christlichen Ge¬ meinde bestimmend geworden ist. Ein drittes Stadium in der Organisation der christlichen Gemeinde, die Entstehung der episkopalen Verfassung, liegt jenseits des apostolischen Zeitalters. Die neutestamentlichen Schriften kennen kein Episkopat im Unterschiede vom Presbyterat. Bischof und Presbyter sind hier nur zwei Namen für ein und das¬ selbe Amt. Dagegen ist es richtig, daß noch im Laufe des ersten Jahrhunderts sich die Voraussetzungen gebildet haben, auf denen bald darauf die bischöfliche Verfassung erbaut werden konnte. Wir finden dieselben zuerst in der gestei¬ gerten Werthschätzung des Amtes. Wenn der Brief an die Hebräer die Vor¬ steher der Gemeinde Führer nennt, die für die Seelen der Gemeindeglieder zu wachen und für sie Rechenschaft abzulegen haben, denen diese aber auch zum Gehorsam verpflichtet sind, wenn der Brief an die Epheser die Träger des Amtes als Hirten bezeichnet, so sehen wir, wie allmählich die Bedeutung und Würde derselben gewachsen und über das bis dahin gewonnene Maß hinaus¬ gegangen ist. Eine andere Voraussetzung für die Entstehung des Episkopats lag in den eigenthümlichen Verhältnissen der juten-christlichen Gemeinden. Hier besaß Jakobus eine Autorität, die, wenn auch nicht amtlich bestimmt, doch die Be¬ fugnisse in sich schloß, die später den Bischöfen zuerkannt wurde. Und als nach Jakobus' Tode Simeon, ebenfalls ein leiblicher Verwandter Jesu, an seine Stelle trat, so empfing er, wie es scheint, auch amtlich bischöfliche Rechte und Gewalten. Die Verfassung der Kirche ist der Rahmen, in dessen Grenzen sich ihr gottesdienstliches Leben bewegt. Sehen wir, wie dieses sich im Laufe des ersten Jahrhunderts gestaltet hat. Schwer wird es hier, scharf von einander sich abhebende Entwickelungsstufen wahrzunehmen, doch ein Wachsthum zu reicherer und bestimmterer Gestaltung ist leicht erkennbar. Nur das gottesdienstliche Leben der Urgemeinde zu Jerusalem bietet ein in sich abgeschlossenes Bild. Der engste Zusammenhang ihrer Glieder und die gesteigertste Pflege des Gottesdienstes ist für sie charakteristisch. Sie stellt sich als eine erweiterte Familie dar, in welcher der Ueberfluß der einen den Mangel der anderen deckt, und täglich versammelt sie sich zu religiöser Feier. Diese findet theils im Tempel — in der salomonischen Halle —, theils in den Häusern statt. Dort wird gebetet zur Selbsterbauung, wird gelehrt, die Juden für das Evangelium zu gewinnen; hier bildet das Brodbrechen, die Begehung des Grenzboten I. 1879. 49

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/389>, abgerufen am 23.07.2024.