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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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der alten "Tschinowniks". Bei ihrem Eintritt verbeugten sich sowohl die
Parteien als die Zeugen vor den Heiligenbildern, dann vor den Richtern, und
nun begann die Verhandlung. Unter den Richtern war kein eigentlicher Präsident
bemerkbar; jeder sprach, wenn es ihm gut dünkte, aber ohne den andern zu
unterbrechen, und das Bemühen der Richter sowohl, wie des "Unterzeichneten"
war ersichtlich dahin gerichtet, die Parteien zu versöhnen.

Es handelte sich um den Abschluß einer Dorfidylle, die mit Schlägerei
geendet hatte. Barbara Petrowna war von einem andern Manne, als dem
ihrigen geschlagen worden und verlangte Schmerzensgeld. Der Verklagte be¬
hauptete, sie hätte angefangen, und Barbara Petrowna sah auch ganz danach
aus. Beide Parteien plädirten lebhaft und gleichzeitig für ihre Sache, riefen
auch gleichzeitig selbst ihre Zeugen auf, denn die ganze Bevölkerung bildete das
Auditorium. Es war Öffentlichkeit und Meerbuchten sans xtunZv und der
schärfste Gegensatz zu dem alten Verfahren, wo ein Verwaltungsbeamter bei
verschlossener Thür Staatsanwalt, Ankläger, Vertheidiger, Richter und --
Henker in einer Person bildete, Barbara's Papiere sanken, als mehrere Zeugen
aussagten, sie habe sich berühmt, mit einer Fünfquartflasche Schnaps sei sie
des Prozesses sicher. Die Richter nahmen aber keine Notiz weiter von dieser
ihre Ehre befleckenden Prahlerei, als daß sie mißbilligend den Kopf schüttelten.
Sie fuhren ruhig in ihren Bemühungen fort, einen gütlichen Ausgleich zu Stande
zu bringen. "Sage einmal, Barbara, wie viel verlangst Du denn eigentlich?"
-- "Drei Rubel, Väterchen!" -- "Ach Du bist nicht klug, das ist viel zu viel,
drei Rubel für einen so kleinen Puff! Und wie viel würdest Du denn spendiren,
Maximin Jwanowitsch?" -- "Nichts, Väterchen!" -- "I, Du Schlaukopf,
nichts ist zu wenig. Gieb wenigstens einen Rubel!" -- "Na meinetwegen!"
gesteht endlich Maximin zu. "Einen Rubel und ein Quart (d. h. Schnaps)"
replizirt darauf Barbara. Diesmal aber fiel sie mit ihrer frechen Weiberzunge
tüchtig hinein. "Barbara Petrowna, hier ist nicht der Ort, wo man vom
Schnapssaufen spricht. Hier ist kaiserliches Gerichtslokal! Schere sie sich auf
die Dorfstraße, dort mag sie sich so viel Schnaps erbetteln, als sie kann. Hier
wird nicht mehr davon gesprochen, verstanden?" So sprach, nicht ohne Würde,
einer der Richter, der Aelteste, wie es schien, und zwar ersichtlich unter dem
Beifall des ganzen Dorfes. Schließlich wurde die Sache auf einen Rubel
Reugeld fixirt und beendet.

Daß, im Gegensatz zu dem eben Geschilderten, es noch heute in vielen Gegen¬
den vorkommt, daß Richter und Parteien nach beendeter Verhandlung, vielleicht
sogar während derselben, sich derartig betrinken, daß sie von ihren Sinnen
nichts wissen, ist freilich nicht zu leugnen; daß aber solche Verhandlungen, wie
die eben beschriebene, doch immer häufiger werden, ist immerhin eine Bürgschaft


der alten „Tschinowniks". Bei ihrem Eintritt verbeugten sich sowohl die
Parteien als die Zeugen vor den Heiligenbildern, dann vor den Richtern, und
nun begann die Verhandlung. Unter den Richtern war kein eigentlicher Präsident
bemerkbar; jeder sprach, wenn es ihm gut dünkte, aber ohne den andern zu
unterbrechen, und das Bemühen der Richter sowohl, wie des „Unterzeichneten"
war ersichtlich dahin gerichtet, die Parteien zu versöhnen.

Es handelte sich um den Abschluß einer Dorfidylle, die mit Schlägerei
geendet hatte. Barbara Petrowna war von einem andern Manne, als dem
ihrigen geschlagen worden und verlangte Schmerzensgeld. Der Verklagte be¬
hauptete, sie hätte angefangen, und Barbara Petrowna sah auch ganz danach
aus. Beide Parteien plädirten lebhaft und gleichzeitig für ihre Sache, riefen
auch gleichzeitig selbst ihre Zeugen auf, denn die ganze Bevölkerung bildete das
Auditorium. Es war Öffentlichkeit und Meerbuchten sans xtunZv und der
schärfste Gegensatz zu dem alten Verfahren, wo ein Verwaltungsbeamter bei
verschlossener Thür Staatsanwalt, Ankläger, Vertheidiger, Richter und —
Henker in einer Person bildete, Barbara's Papiere sanken, als mehrere Zeugen
aussagten, sie habe sich berühmt, mit einer Fünfquartflasche Schnaps sei sie
des Prozesses sicher. Die Richter nahmen aber keine Notiz weiter von dieser
ihre Ehre befleckenden Prahlerei, als daß sie mißbilligend den Kopf schüttelten.
Sie fuhren ruhig in ihren Bemühungen fort, einen gütlichen Ausgleich zu Stande
zu bringen. „Sage einmal, Barbara, wie viel verlangst Du denn eigentlich?"
— „Drei Rubel, Väterchen!" — „Ach Du bist nicht klug, das ist viel zu viel,
drei Rubel für einen so kleinen Puff! Und wie viel würdest Du denn spendiren,
Maximin Jwanowitsch?" — „Nichts, Väterchen!" — „I, Du Schlaukopf,
nichts ist zu wenig. Gieb wenigstens einen Rubel!" — „Na meinetwegen!"
gesteht endlich Maximin zu. „Einen Rubel und ein Quart (d. h. Schnaps)"
replizirt darauf Barbara. Diesmal aber fiel sie mit ihrer frechen Weiberzunge
tüchtig hinein. „Barbara Petrowna, hier ist nicht der Ort, wo man vom
Schnapssaufen spricht. Hier ist kaiserliches Gerichtslokal! Schere sie sich auf
die Dorfstraße, dort mag sie sich so viel Schnaps erbetteln, als sie kann. Hier
wird nicht mehr davon gesprochen, verstanden?" So sprach, nicht ohne Würde,
einer der Richter, der Aelteste, wie es schien, und zwar ersichtlich unter dem
Beifall des ganzen Dorfes. Schließlich wurde die Sache auf einen Rubel
Reugeld fixirt und beendet.

Daß, im Gegensatz zu dem eben Geschilderten, es noch heute in vielen Gegen¬
den vorkommt, daß Richter und Parteien nach beendeter Verhandlung, vielleicht
sogar während derselben, sich derartig betrinken, daß sie von ihren Sinnen
nichts wissen, ist freilich nicht zu leugnen; daß aber solche Verhandlungen, wie
die eben beschriebene, doch immer häufiger werden, ist immerhin eine Bürgschaft


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[0384] der alten „Tschinowniks". Bei ihrem Eintritt verbeugten sich sowohl die Parteien als die Zeugen vor den Heiligenbildern, dann vor den Richtern, und nun begann die Verhandlung. Unter den Richtern war kein eigentlicher Präsident bemerkbar; jeder sprach, wenn es ihm gut dünkte, aber ohne den andern zu unterbrechen, und das Bemühen der Richter sowohl, wie des „Unterzeichneten" war ersichtlich dahin gerichtet, die Parteien zu versöhnen. Es handelte sich um den Abschluß einer Dorfidylle, die mit Schlägerei geendet hatte. Barbara Petrowna war von einem andern Manne, als dem ihrigen geschlagen worden und verlangte Schmerzensgeld. Der Verklagte be¬ hauptete, sie hätte angefangen, und Barbara Petrowna sah auch ganz danach aus. Beide Parteien plädirten lebhaft und gleichzeitig für ihre Sache, riefen auch gleichzeitig selbst ihre Zeugen auf, denn die ganze Bevölkerung bildete das Auditorium. Es war Öffentlichkeit und Meerbuchten sans xtunZv und der schärfste Gegensatz zu dem alten Verfahren, wo ein Verwaltungsbeamter bei verschlossener Thür Staatsanwalt, Ankläger, Vertheidiger, Richter und — Henker in einer Person bildete, Barbara's Papiere sanken, als mehrere Zeugen aussagten, sie habe sich berühmt, mit einer Fünfquartflasche Schnaps sei sie des Prozesses sicher. Die Richter nahmen aber keine Notiz weiter von dieser ihre Ehre befleckenden Prahlerei, als daß sie mißbilligend den Kopf schüttelten. Sie fuhren ruhig in ihren Bemühungen fort, einen gütlichen Ausgleich zu Stande zu bringen. „Sage einmal, Barbara, wie viel verlangst Du denn eigentlich?" — „Drei Rubel, Väterchen!" — „Ach Du bist nicht klug, das ist viel zu viel, drei Rubel für einen so kleinen Puff! Und wie viel würdest Du denn spendiren, Maximin Jwanowitsch?" — „Nichts, Väterchen!" — „I, Du Schlaukopf, nichts ist zu wenig. Gieb wenigstens einen Rubel!" — „Na meinetwegen!" gesteht endlich Maximin zu. „Einen Rubel und ein Quart (d. h. Schnaps)" replizirt darauf Barbara. Diesmal aber fiel sie mit ihrer frechen Weiberzunge tüchtig hinein. „Barbara Petrowna, hier ist nicht der Ort, wo man vom Schnapssaufen spricht. Hier ist kaiserliches Gerichtslokal! Schere sie sich auf die Dorfstraße, dort mag sie sich so viel Schnaps erbetteln, als sie kann. Hier wird nicht mehr davon gesprochen, verstanden?" So sprach, nicht ohne Würde, einer der Richter, der Aelteste, wie es schien, und zwar ersichtlich unter dem Beifall des ganzen Dorfes. Schließlich wurde die Sache auf einen Rubel Reugeld fixirt und beendet. Daß, im Gegensatz zu dem eben Geschilderten, es noch heute in vielen Gegen¬ den vorkommt, daß Richter und Parteien nach beendeter Verhandlung, vielleicht sogar während derselben, sich derartig betrinken, daß sie von ihren Sinnen nichts wissen, ist freilich nicht zu leugnen; daß aber solche Verhandlungen, wie die eben beschriebene, doch immer häufiger werden, ist immerhin eine Bürgschaft

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/384>, abgerufen am 03.07.2024.