Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

korps", man kann nur sagen Gott sei Dank, entschieden beschränkt worden.
Zwei Hilfsmittel ergriff dazu der Kaiser. Es wurden errichtet: 1. Die
Bauerngerichte. 2. Die Schwurgerichte. Wie man sieht, handelt es sich um
einen Versuch, zugleich mit der Fortbildung volksthümlicher Einrichtungen die
fremde Kultur Westeuropa's zu verbinden. Wir brauchen uns hier auf Einzel¬
heiten nicht einzulassen; einige wenige Züge werden hinreichen, sich ein Bild
von der Sache zu machen.

Die Bauerngerichte bestehen aus einem Dreimännergericht nebst Ge¬
meindeschreiber. Da dies Richter-Triumvirat wählbar ist, so besteht es natür¬
lich aus den angesehensten Bauern des "Mir", d. h. der kommunistischen
Landgemeinde der altslavischen Verfassung, die kein Grundeigenthum kennt.
Die Zeitdauer des Richteramtes ist in den verschiedenen Gegenden verschieden,
aber stets gleich mit der Umtheilungsperiode des Gemeindebesitzes.

Trotz mancher Nachtheile eines solchen Gerichtsverfahrens, trotz mancher
Schwierigkeiten und Mißbräuche, die von seiner ersten Einführung an bis
jetzt dabei hervorgetreten sind, überwiegen doch die Vortheile bei weitem, und
es ist bewundernswürdig, wie schnell eine Bevölkerung, die noch vor wenigen
Jahren schlechter wie das Thier behandelt wurde und sich auch geringer achtete
als selbst die Thiere der Herrschaft, sich in die neue Lage gefunden hat.

Ich habe selbst ein paar Gerichtsverhandlungen in einem echt russischen
Gouvernement im Jahre 1876 beigewohnt. Es kamen zweierlei Sachen zur
Verhandlung, eine Zivil- und eine Kriminal-Klage, wie wir sagen würden.
Natürlich war es an einem Sonntage, denn der Landwirthschaft durfte die
Gerechtigkeit keinen Abbruch thun. Es imponirte mir schon, zu sehen, daß
man ein eigenes Lokal für diese Gerichts-Verhandlungen erbaut hatte, während
der hochknltivirte Deutsche nichts dabei findet, zu ähnlichen Verhandlungen
die Schnapskneipe seines Heimatdorfes als geeigneten Schauplatz anzusehen.
Dieser russische Gerichtssaal, den die armen, unwissenden "Muschigks" in dem
dunklen, aber richtigen Gefühle erbaut hatten, daß sie sich selbst ehrten, wenn
sie ihre Richter ehrten, zeigt deutlich, daß sie bestrebt sind, sich des Ver¬
trauens würdig zu machen, welches die Regierung ihnen entgegenbringt. Der
einzige Schmuck der sauber geweißter Wände bestand in einer schlechten Litho¬
graphie des Kaisers, während in der Ecke die landesüblichen Schutzheiligen
über dem Weihwasserbecken thronten. Die drei Richter saßen bedeckten Hauptes
mit ihren laugen Bärten und wallenden Kaftanen hinter einem breiten Tische,
ihnen zur Seite der "Pisar" oder "Unterzeichnete", wie der Bauer komischer
Weise den Gemeindeschreiber zu nennen pflegt. Er bildet übrigens häufig die
wichtigste Instanz des Gerichtes, da er der Einzige ist, welcher eine gewisse
Federgewandtheit und Gesetzeskunde besitzt. Meistenteils ist er ein Repräsentant


korps", man kann nur sagen Gott sei Dank, entschieden beschränkt worden.
Zwei Hilfsmittel ergriff dazu der Kaiser. Es wurden errichtet: 1. Die
Bauerngerichte. 2. Die Schwurgerichte. Wie man sieht, handelt es sich um
einen Versuch, zugleich mit der Fortbildung volksthümlicher Einrichtungen die
fremde Kultur Westeuropa's zu verbinden. Wir brauchen uns hier auf Einzel¬
heiten nicht einzulassen; einige wenige Züge werden hinreichen, sich ein Bild
von der Sache zu machen.

Die Bauerngerichte bestehen aus einem Dreimännergericht nebst Ge¬
meindeschreiber. Da dies Richter-Triumvirat wählbar ist, so besteht es natür¬
lich aus den angesehensten Bauern des „Mir", d. h. der kommunistischen
Landgemeinde der altslavischen Verfassung, die kein Grundeigenthum kennt.
Die Zeitdauer des Richteramtes ist in den verschiedenen Gegenden verschieden,
aber stets gleich mit der Umtheilungsperiode des Gemeindebesitzes.

Trotz mancher Nachtheile eines solchen Gerichtsverfahrens, trotz mancher
Schwierigkeiten und Mißbräuche, die von seiner ersten Einführung an bis
jetzt dabei hervorgetreten sind, überwiegen doch die Vortheile bei weitem, und
es ist bewundernswürdig, wie schnell eine Bevölkerung, die noch vor wenigen
Jahren schlechter wie das Thier behandelt wurde und sich auch geringer achtete
als selbst die Thiere der Herrschaft, sich in die neue Lage gefunden hat.

Ich habe selbst ein paar Gerichtsverhandlungen in einem echt russischen
Gouvernement im Jahre 1876 beigewohnt. Es kamen zweierlei Sachen zur
Verhandlung, eine Zivil- und eine Kriminal-Klage, wie wir sagen würden.
Natürlich war es an einem Sonntage, denn der Landwirthschaft durfte die
Gerechtigkeit keinen Abbruch thun. Es imponirte mir schon, zu sehen, daß
man ein eigenes Lokal für diese Gerichts-Verhandlungen erbaut hatte, während
der hochknltivirte Deutsche nichts dabei findet, zu ähnlichen Verhandlungen
die Schnapskneipe seines Heimatdorfes als geeigneten Schauplatz anzusehen.
Dieser russische Gerichtssaal, den die armen, unwissenden „Muschigks" in dem
dunklen, aber richtigen Gefühle erbaut hatten, daß sie sich selbst ehrten, wenn
sie ihre Richter ehrten, zeigt deutlich, daß sie bestrebt sind, sich des Ver¬
trauens würdig zu machen, welches die Regierung ihnen entgegenbringt. Der
einzige Schmuck der sauber geweißter Wände bestand in einer schlechten Litho¬
graphie des Kaisers, während in der Ecke die landesüblichen Schutzheiligen
über dem Weihwasserbecken thronten. Die drei Richter saßen bedeckten Hauptes
mit ihren laugen Bärten und wallenden Kaftanen hinter einem breiten Tische,
ihnen zur Seite der „Pisar" oder „Unterzeichnete", wie der Bauer komischer
Weise den Gemeindeschreiber zu nennen pflegt. Er bildet übrigens häufig die
wichtigste Instanz des Gerichtes, da er der Einzige ist, welcher eine gewisse
Federgewandtheit und Gesetzeskunde besitzt. Meistenteils ist er ein Repräsentant


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0383" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/141794"/>
          <p xml:id="ID_1114" prev="#ID_1113"> korps", man kann nur sagen Gott sei Dank, entschieden beschränkt worden.<lb/>
Zwei Hilfsmittel ergriff dazu der Kaiser. Es wurden errichtet: 1. Die<lb/>
Bauerngerichte. 2. Die Schwurgerichte. Wie man sieht, handelt es sich um<lb/>
einen Versuch, zugleich mit der Fortbildung volksthümlicher Einrichtungen die<lb/>
fremde Kultur Westeuropa's zu verbinden. Wir brauchen uns hier auf Einzel¬<lb/>
heiten nicht einzulassen; einige wenige Züge werden hinreichen, sich ein Bild<lb/>
von der Sache zu machen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1115"> Die Bauerngerichte bestehen aus einem Dreimännergericht nebst Ge¬<lb/>
meindeschreiber. Da dies Richter-Triumvirat wählbar ist, so besteht es natür¬<lb/>
lich aus den angesehensten Bauern des &#x201E;Mir", d. h. der kommunistischen<lb/>
Landgemeinde der altslavischen Verfassung, die kein Grundeigenthum kennt.<lb/>
Die Zeitdauer des Richteramtes ist in den verschiedenen Gegenden verschieden,<lb/>
aber stets gleich mit der Umtheilungsperiode des Gemeindebesitzes.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1116"> Trotz mancher Nachtheile eines solchen Gerichtsverfahrens, trotz mancher<lb/>
Schwierigkeiten und Mißbräuche, die von seiner ersten Einführung an bis<lb/>
jetzt dabei hervorgetreten sind, überwiegen doch die Vortheile bei weitem, und<lb/>
es ist bewundernswürdig, wie schnell eine Bevölkerung, die noch vor wenigen<lb/>
Jahren schlechter wie das Thier behandelt wurde und sich auch geringer achtete<lb/>
als selbst die Thiere der Herrschaft, sich in die neue Lage gefunden hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1117" next="#ID_1118"> Ich habe selbst ein paar Gerichtsverhandlungen in einem echt russischen<lb/>
Gouvernement im Jahre 1876 beigewohnt. Es kamen zweierlei Sachen zur<lb/>
Verhandlung, eine Zivil- und eine Kriminal-Klage, wie wir sagen würden.<lb/>
Natürlich war es an einem Sonntage, denn der Landwirthschaft durfte die<lb/>
Gerechtigkeit keinen Abbruch thun. Es imponirte mir schon, zu sehen, daß<lb/>
man ein eigenes Lokal für diese Gerichts-Verhandlungen erbaut hatte, während<lb/>
der hochknltivirte Deutsche nichts dabei findet, zu ähnlichen Verhandlungen<lb/>
die Schnapskneipe seines Heimatdorfes als geeigneten Schauplatz anzusehen.<lb/>
Dieser russische Gerichtssaal, den die armen, unwissenden &#x201E;Muschigks" in dem<lb/>
dunklen, aber richtigen Gefühle erbaut hatten, daß sie sich selbst ehrten, wenn<lb/>
sie ihre Richter ehrten, zeigt deutlich, daß sie bestrebt sind, sich des Ver¬<lb/>
trauens würdig zu machen, welches die Regierung ihnen entgegenbringt. Der<lb/>
einzige Schmuck der sauber geweißter Wände bestand in einer schlechten Litho¬<lb/>
graphie des Kaisers, während in der Ecke die landesüblichen Schutzheiligen<lb/>
über dem Weihwasserbecken thronten. Die drei Richter saßen bedeckten Hauptes<lb/>
mit ihren laugen Bärten und wallenden Kaftanen hinter einem breiten Tische,<lb/>
ihnen zur Seite der &#x201E;Pisar" oder &#x201E;Unterzeichnete", wie der Bauer komischer<lb/>
Weise den Gemeindeschreiber zu nennen pflegt. Er bildet übrigens häufig die<lb/>
wichtigste Instanz des Gerichtes, da er der Einzige ist, welcher eine gewisse<lb/>
Federgewandtheit und Gesetzeskunde besitzt. Meistenteils ist er ein Repräsentant</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0383] korps", man kann nur sagen Gott sei Dank, entschieden beschränkt worden. Zwei Hilfsmittel ergriff dazu der Kaiser. Es wurden errichtet: 1. Die Bauerngerichte. 2. Die Schwurgerichte. Wie man sieht, handelt es sich um einen Versuch, zugleich mit der Fortbildung volksthümlicher Einrichtungen die fremde Kultur Westeuropa's zu verbinden. Wir brauchen uns hier auf Einzel¬ heiten nicht einzulassen; einige wenige Züge werden hinreichen, sich ein Bild von der Sache zu machen. Die Bauerngerichte bestehen aus einem Dreimännergericht nebst Ge¬ meindeschreiber. Da dies Richter-Triumvirat wählbar ist, so besteht es natür¬ lich aus den angesehensten Bauern des „Mir", d. h. der kommunistischen Landgemeinde der altslavischen Verfassung, die kein Grundeigenthum kennt. Die Zeitdauer des Richteramtes ist in den verschiedenen Gegenden verschieden, aber stets gleich mit der Umtheilungsperiode des Gemeindebesitzes. Trotz mancher Nachtheile eines solchen Gerichtsverfahrens, trotz mancher Schwierigkeiten und Mißbräuche, die von seiner ersten Einführung an bis jetzt dabei hervorgetreten sind, überwiegen doch die Vortheile bei weitem, und es ist bewundernswürdig, wie schnell eine Bevölkerung, die noch vor wenigen Jahren schlechter wie das Thier behandelt wurde und sich auch geringer achtete als selbst die Thiere der Herrschaft, sich in die neue Lage gefunden hat. Ich habe selbst ein paar Gerichtsverhandlungen in einem echt russischen Gouvernement im Jahre 1876 beigewohnt. Es kamen zweierlei Sachen zur Verhandlung, eine Zivil- und eine Kriminal-Klage, wie wir sagen würden. Natürlich war es an einem Sonntage, denn der Landwirthschaft durfte die Gerechtigkeit keinen Abbruch thun. Es imponirte mir schon, zu sehen, daß man ein eigenes Lokal für diese Gerichts-Verhandlungen erbaut hatte, während der hochknltivirte Deutsche nichts dabei findet, zu ähnlichen Verhandlungen die Schnapskneipe seines Heimatdorfes als geeigneten Schauplatz anzusehen. Dieser russische Gerichtssaal, den die armen, unwissenden „Muschigks" in dem dunklen, aber richtigen Gefühle erbaut hatten, daß sie sich selbst ehrten, wenn sie ihre Richter ehrten, zeigt deutlich, daß sie bestrebt sind, sich des Ver¬ trauens würdig zu machen, welches die Regierung ihnen entgegenbringt. Der einzige Schmuck der sauber geweißter Wände bestand in einer schlechten Litho¬ graphie des Kaisers, während in der Ecke die landesüblichen Schutzheiligen über dem Weihwasserbecken thronten. Die drei Richter saßen bedeckten Hauptes mit ihren laugen Bärten und wallenden Kaftanen hinter einem breiten Tische, ihnen zur Seite der „Pisar" oder „Unterzeichnete", wie der Bauer komischer Weise den Gemeindeschreiber zu nennen pflegt. Er bildet übrigens häufig die wichtigste Instanz des Gerichtes, da er der Einzige ist, welcher eine gewisse Federgewandtheit und Gesetzeskunde besitzt. Meistenteils ist er ein Repräsentant

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/383
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/383>, abgerufen am 23.07.2024.