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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Schriften aufnahm, wird niemand für seine Autorschaft geltend machen wollen,
nachdem durch hinlängliche Beispiele bewiesen ist, mit welchem unbegrenzten
Wohlwollen Goethe auch fremdes und halbfremdes literarisches Gut unter seine
breiten Fittige nahm.


G. Wustmann.


Sylvesternacht und AreiKönigstag.

Wiederholt schon haben diese Blätter auf die Bedeutung der "Zwölften"
oder der "zwölf heiligen Nächte" im Volksglauben und auf dem Gebiete des
Vvllsbrauchs hingewiesen, und so wird, wenn wir im Folgenden die beiden
Haupttage der letzten Hälfte dieser Zeit zu ausführlicher Behandlung in's
Auge fassen, nur in der Kürze daran zu erinnern sein, daß die Vorstellungen,
Sagen und Sitten, die sich in den von der modernen Bildung weniger be¬
rührten Kreisen des deutschen Volkes an jene Periode des Jahres, d. h. an
seine letzten sechs und seine ersten sechs Tage knüpfen, Erzeugnisse altheidnischen
Geistes sind. Sie sind es groszentheils anch in den Füllen, wo sie ein mehr
oder minder christliches Gewand tragen. Sie sind dann eben nur verhülltes
Heidenthum, abgeblaßte oder nachgedunkelte Erinnerungen an die Tage des
Jul- oder Sonnenwendfestes mit dem entweder in Visionen geschauten oder
dramatisch dargestellten Umzüge der Götter, mit den Wundern, die sich in dieser
heiligen, von Götterkrast erfüllten und bewegten Zeit begaben, und mit dem
Zauber, der in ihr besonders erfolgreich getrieben wurde. In der einen Land¬
schaft wiegen die einen, in der andern die andern Nachklänge der alten Religion
vor, im Süden ist es dieser, im Norden jener Tag des kirchlichen Jahres,
mit dem sie sich verbunden haben; vergleichen und gruppiren wir aber das
gesammte Material, das die Sagen- und Sitteuforschung der letzten fünfzig
Jahre in dieser Beziehung zusammengebracht hat, ergänzen und erklären wir
das Eine mit dem Andern, so gibt es ein Bild, dem zwar vielfach die scharfen
Umrisse und die klaren Farben fehlen, das aber immerhin Anspruch erheben
kann, wenigstens die Hauptzüge des Originals leidlich erkennbar wiederzugeben.

Nach diesen einleitenden Bemerkungen wollen wir zunächst versuchen, jenes
Bild der alten Zeit, soweit es sich im Aberglauben von der Sylvesternacht
und dem ihr folgenden Tage erhalten hat, mosaikartig zusammenzustellen.
Jene ist wie dieser zunächst allenthalben, wo Altgläubige wohnen, eine Zeit
bedeutungsvoller Offenbarung der Zukunft. Wer sich in Schwaben während


Schriften aufnahm, wird niemand für seine Autorschaft geltend machen wollen,
nachdem durch hinlängliche Beispiele bewiesen ist, mit welchem unbegrenzten
Wohlwollen Goethe auch fremdes und halbfremdes literarisches Gut unter seine
breiten Fittige nahm.


G. Wustmann.


Sylvesternacht und AreiKönigstag.

Wiederholt schon haben diese Blätter auf die Bedeutung der „Zwölften"
oder der „zwölf heiligen Nächte" im Volksglauben und auf dem Gebiete des
Vvllsbrauchs hingewiesen, und so wird, wenn wir im Folgenden die beiden
Haupttage der letzten Hälfte dieser Zeit zu ausführlicher Behandlung in's
Auge fassen, nur in der Kürze daran zu erinnern sein, daß die Vorstellungen,
Sagen und Sitten, die sich in den von der modernen Bildung weniger be¬
rührten Kreisen des deutschen Volkes an jene Periode des Jahres, d. h. an
seine letzten sechs und seine ersten sechs Tage knüpfen, Erzeugnisse altheidnischen
Geistes sind. Sie sind es groszentheils anch in den Füllen, wo sie ein mehr
oder minder christliches Gewand tragen. Sie sind dann eben nur verhülltes
Heidenthum, abgeblaßte oder nachgedunkelte Erinnerungen an die Tage des
Jul- oder Sonnenwendfestes mit dem entweder in Visionen geschauten oder
dramatisch dargestellten Umzüge der Götter, mit den Wundern, die sich in dieser
heiligen, von Götterkrast erfüllten und bewegten Zeit begaben, und mit dem
Zauber, der in ihr besonders erfolgreich getrieben wurde. In der einen Land¬
schaft wiegen die einen, in der andern die andern Nachklänge der alten Religion
vor, im Süden ist es dieser, im Norden jener Tag des kirchlichen Jahres,
mit dem sie sich verbunden haben; vergleichen und gruppiren wir aber das
gesammte Material, das die Sagen- und Sitteuforschung der letzten fünfzig
Jahre in dieser Beziehung zusammengebracht hat, ergänzen und erklären wir
das Eine mit dem Andern, so gibt es ein Bild, dem zwar vielfach die scharfen
Umrisse und die klaren Farben fehlen, das aber immerhin Anspruch erheben
kann, wenigstens die Hauptzüge des Originals leidlich erkennbar wiederzugeben.

Nach diesen einleitenden Bemerkungen wollen wir zunächst versuchen, jenes
Bild der alten Zeit, soweit es sich im Aberglauben von der Sylvesternacht
und dem ihr folgenden Tage erhalten hat, mosaikartig zusammenzustellen.
Jene ist wie dieser zunächst allenthalben, wo Altgläubige wohnen, eine Zeit
bedeutungsvoller Offenbarung der Zukunft. Wer sich in Schwaben während


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[0038] Schriften aufnahm, wird niemand für seine Autorschaft geltend machen wollen, nachdem durch hinlängliche Beispiele bewiesen ist, mit welchem unbegrenzten Wohlwollen Goethe auch fremdes und halbfremdes literarisches Gut unter seine breiten Fittige nahm. G. Wustmann. Sylvesternacht und AreiKönigstag. Wiederholt schon haben diese Blätter auf die Bedeutung der „Zwölften" oder der „zwölf heiligen Nächte" im Volksglauben und auf dem Gebiete des Vvllsbrauchs hingewiesen, und so wird, wenn wir im Folgenden die beiden Haupttage der letzten Hälfte dieser Zeit zu ausführlicher Behandlung in's Auge fassen, nur in der Kürze daran zu erinnern sein, daß die Vorstellungen, Sagen und Sitten, die sich in den von der modernen Bildung weniger be¬ rührten Kreisen des deutschen Volkes an jene Periode des Jahres, d. h. an seine letzten sechs und seine ersten sechs Tage knüpfen, Erzeugnisse altheidnischen Geistes sind. Sie sind es groszentheils anch in den Füllen, wo sie ein mehr oder minder christliches Gewand tragen. Sie sind dann eben nur verhülltes Heidenthum, abgeblaßte oder nachgedunkelte Erinnerungen an die Tage des Jul- oder Sonnenwendfestes mit dem entweder in Visionen geschauten oder dramatisch dargestellten Umzüge der Götter, mit den Wundern, die sich in dieser heiligen, von Götterkrast erfüllten und bewegten Zeit begaben, und mit dem Zauber, der in ihr besonders erfolgreich getrieben wurde. In der einen Land¬ schaft wiegen die einen, in der andern die andern Nachklänge der alten Religion vor, im Süden ist es dieser, im Norden jener Tag des kirchlichen Jahres, mit dem sie sich verbunden haben; vergleichen und gruppiren wir aber das gesammte Material, das die Sagen- und Sitteuforschung der letzten fünfzig Jahre in dieser Beziehung zusammengebracht hat, ergänzen und erklären wir das Eine mit dem Andern, so gibt es ein Bild, dem zwar vielfach die scharfen Umrisse und die klaren Farben fehlen, das aber immerhin Anspruch erheben kann, wenigstens die Hauptzüge des Originals leidlich erkennbar wiederzugeben. Nach diesen einleitenden Bemerkungen wollen wir zunächst versuchen, jenes Bild der alten Zeit, soweit es sich im Aberglauben von der Sylvesternacht und dem ihr folgenden Tage erhalten hat, mosaikartig zusammenzustellen. Jene ist wie dieser zunächst allenthalben, wo Altgläubige wohnen, eine Zeit bedeutungsvoller Offenbarung der Zukunft. Wer sich in Schwaben während

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/38>, abgerufen am 26.08.2024.