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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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in der heiligsten höchsten Begeisterung vermögen wir dieses Bild ganz zu fassen,
in uns aufzunehmen und dem Fluge des Geistes zu folgen, zu welchem
Cranach sich erhoben fühlte ... Moses und Elias, zwei hohe männliche
Gestalten voll Kraft stehen neben dem Erhabenen".

Ueber Ur. 46 endlich, die "Große Kreuzigung", ist bei Goethe zu lesen:
"Die Gruppe der Hirten, die Erhöhung der Schlange, das Lager,
Moses und die Propheten sind fast ganz so wie zu Weimar. Unter
dem Kreuze ist das Lamm; doch steht ein wunderschönes Kind daneben
mit der Siegesfahne. Zur Rechten des Gekreuzigten sehen wir im Hinter¬
grunde das erste Menschenpaar in Eintracht mit der Natur; das scheue
Wild weidet noch vertraulich neben dem Menschen ... Den untern Theil
der Tafel füllt ein zahlreiches Familiengemälde". Bei Quandt lesen
wir: "Noch herrscht Eintracht in der ganzen Natur; die Thiere des
Waldes, welche jetzt den Menschen fliehen, weiden ruhig noch in seiner Nähe...
Diese Gruppe (der Mann, den Tod und Teufel verfolgen), sowie die des
Moses, der die Schlange erhöht, die der Propheten und der
Hirten... gleichen den Gruppen auf jenem Bilde des älteren
Cranach... Christus ist am Kreuze gestorben; unter diesem steht das
Gotteslamm, und ein himmelschönes Kind daneben mit der Sieges¬
fahne... Auch auf diesem Bilde füllt den untern Raum ein sehr
zahlreiches Familiengemälde aus."

Ich denke, diese Zusammenstellung spricht deutlich genug. Was Goethe
veröffentlichte, war nichts anderes als die vorläufige Niederschrift, die Quandt
sich über die Bilder gemacht und die er dann, nachdem er sich inzwischen noch
gründlicher mit ihnen beschäftigt hatte, in seinem Aufsatz in der "Zeitung für
die elegante Welt" weiter ausführte. In dem angeblich Goethischen Aufsatze
rühren nur die paar einleitenden Bemerkungen von Goethe selbst her, alles
übrige ist eine bloße Kopie der von Quandt ihm zur Verfügung gestellten
Notizen, die Goethe wahrscheinlich nicht einmal selbst besorgte, sondern von
seinem Schreiber besorgen ließ. Zu der letzteren Annahme wird man wenig¬
stens durch den Schluß des Aufsatzes gedrängt. Dort heißt es: "Es scheint
mir das Bild mit der Jahreszahl 1557 (die Kreuzigung Ur. 46) im eigent¬
lichsten Sinne mehr gemalt als die anderen. Es ist darin eine Untermalung
unter den Lasuren zu bemerken, dahingegen die älteren Bilder mehr in Oel
lasirte Zeichnungen zu nennen sind." Es scheint mir -- wer konnte so
schreiben? Doch nur Quandt, aber nicht Goethe, der die Bilder gar nicht ge¬
sehen hatte. Goethe's Schreiber hätte wenigstens das mir ans dem Quandt'-
schen Manuskript weglassen sollen; dies eine Wort verräth den Kopisten.

Daß Goethe den Aufsatz vierzehn Jahre später unter seine gesammelten


in der heiligsten höchsten Begeisterung vermögen wir dieses Bild ganz zu fassen,
in uns aufzunehmen und dem Fluge des Geistes zu folgen, zu welchem
Cranach sich erhoben fühlte ... Moses und Elias, zwei hohe männliche
Gestalten voll Kraft stehen neben dem Erhabenen".

Ueber Ur. 46 endlich, die „Große Kreuzigung", ist bei Goethe zu lesen:
„Die Gruppe der Hirten, die Erhöhung der Schlange, das Lager,
Moses und die Propheten sind fast ganz so wie zu Weimar. Unter
dem Kreuze ist das Lamm; doch steht ein wunderschönes Kind daneben
mit der Siegesfahne. Zur Rechten des Gekreuzigten sehen wir im Hinter¬
grunde das erste Menschenpaar in Eintracht mit der Natur; das scheue
Wild weidet noch vertraulich neben dem Menschen ... Den untern Theil
der Tafel füllt ein zahlreiches Familiengemälde". Bei Quandt lesen
wir: „Noch herrscht Eintracht in der ganzen Natur; die Thiere des
Waldes, welche jetzt den Menschen fliehen, weiden ruhig noch in seiner Nähe...
Diese Gruppe (der Mann, den Tod und Teufel verfolgen), sowie die des
Moses, der die Schlange erhöht, die der Propheten und der
Hirten... gleichen den Gruppen auf jenem Bilde des älteren
Cranach... Christus ist am Kreuze gestorben; unter diesem steht das
Gotteslamm, und ein himmelschönes Kind daneben mit der Sieges¬
fahne... Auch auf diesem Bilde füllt den untern Raum ein sehr
zahlreiches Familiengemälde aus."

Ich denke, diese Zusammenstellung spricht deutlich genug. Was Goethe
veröffentlichte, war nichts anderes als die vorläufige Niederschrift, die Quandt
sich über die Bilder gemacht und die er dann, nachdem er sich inzwischen noch
gründlicher mit ihnen beschäftigt hatte, in seinem Aufsatz in der „Zeitung für
die elegante Welt" weiter ausführte. In dem angeblich Goethischen Aufsatze
rühren nur die paar einleitenden Bemerkungen von Goethe selbst her, alles
übrige ist eine bloße Kopie der von Quandt ihm zur Verfügung gestellten
Notizen, die Goethe wahrscheinlich nicht einmal selbst besorgte, sondern von
seinem Schreiber besorgen ließ. Zu der letzteren Annahme wird man wenig¬
stens durch den Schluß des Aufsatzes gedrängt. Dort heißt es: „Es scheint
mir das Bild mit der Jahreszahl 1557 (die Kreuzigung Ur. 46) im eigent¬
lichsten Sinne mehr gemalt als die anderen. Es ist darin eine Untermalung
unter den Lasuren zu bemerken, dahingegen die älteren Bilder mehr in Oel
lasirte Zeichnungen zu nennen sind." Es scheint mir — wer konnte so
schreiben? Doch nur Quandt, aber nicht Goethe, der die Bilder gar nicht ge¬
sehen hatte. Goethe's Schreiber hätte wenigstens das mir ans dem Quandt'-
schen Manuskript weglassen sollen; dies eine Wort verräth den Kopisten.

Daß Goethe den Aufsatz vierzehn Jahre später unter seine gesammelten


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[0037] in der heiligsten höchsten Begeisterung vermögen wir dieses Bild ganz zu fassen, in uns aufzunehmen und dem Fluge des Geistes zu folgen, zu welchem Cranach sich erhoben fühlte ... Moses und Elias, zwei hohe männliche Gestalten voll Kraft stehen neben dem Erhabenen". Ueber Ur. 46 endlich, die „Große Kreuzigung", ist bei Goethe zu lesen: „Die Gruppe der Hirten, die Erhöhung der Schlange, das Lager, Moses und die Propheten sind fast ganz so wie zu Weimar. Unter dem Kreuze ist das Lamm; doch steht ein wunderschönes Kind daneben mit der Siegesfahne. Zur Rechten des Gekreuzigten sehen wir im Hinter¬ grunde das erste Menschenpaar in Eintracht mit der Natur; das scheue Wild weidet noch vertraulich neben dem Menschen ... Den untern Theil der Tafel füllt ein zahlreiches Familiengemälde". Bei Quandt lesen wir: „Noch herrscht Eintracht in der ganzen Natur; die Thiere des Waldes, welche jetzt den Menschen fliehen, weiden ruhig noch in seiner Nähe... Diese Gruppe (der Mann, den Tod und Teufel verfolgen), sowie die des Moses, der die Schlange erhöht, die der Propheten und der Hirten... gleichen den Gruppen auf jenem Bilde des älteren Cranach... Christus ist am Kreuze gestorben; unter diesem steht das Gotteslamm, und ein himmelschönes Kind daneben mit der Sieges¬ fahne... Auch auf diesem Bilde füllt den untern Raum ein sehr zahlreiches Familiengemälde aus." Ich denke, diese Zusammenstellung spricht deutlich genug. Was Goethe veröffentlichte, war nichts anderes als die vorläufige Niederschrift, die Quandt sich über die Bilder gemacht und die er dann, nachdem er sich inzwischen noch gründlicher mit ihnen beschäftigt hatte, in seinem Aufsatz in der „Zeitung für die elegante Welt" weiter ausführte. In dem angeblich Goethischen Aufsatze rühren nur die paar einleitenden Bemerkungen von Goethe selbst her, alles übrige ist eine bloße Kopie der von Quandt ihm zur Verfügung gestellten Notizen, die Goethe wahrscheinlich nicht einmal selbst besorgte, sondern von seinem Schreiber besorgen ließ. Zu der letzteren Annahme wird man wenig¬ stens durch den Schluß des Aufsatzes gedrängt. Dort heißt es: „Es scheint mir das Bild mit der Jahreszahl 1557 (die Kreuzigung Ur. 46) im eigent¬ lichsten Sinne mehr gemalt als die anderen. Es ist darin eine Untermalung unter den Lasuren zu bemerken, dahingegen die älteren Bilder mehr in Oel lasirte Zeichnungen zu nennen sind." Es scheint mir — wer konnte so schreiben? Doch nur Quandt, aber nicht Goethe, der die Bilder gar nicht ge¬ sehen hatte. Goethe's Schreiber hätte wenigstens das mir ans dem Quandt'- schen Manuskript weglassen sollen; dies eine Wort verräth den Kopisten. Daß Goethe den Aufsatz vierzehn Jahre später unter seine gesammelten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/37>, abgerufen am 23.07.2024.