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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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reitungsstadien hinwegkommen, und daß keine Verschleppung stattfinden, d. h.
daß der für die betreffende Kommission arbeitende Apparat sich die Förderung
des nöthigen Materials mehr angelegen sein lassen möge als bisher.

Am Reichskanzler liegt die Verzögerung nicht. An Energie bei der Durch¬
führung des von ihm als richtig Erkannten wird er es auch nicht fehlen lassen.
Einer Auflösung des Reichstages für den Fall, daß in ihm keine Majorität
für das Wesentliche im Plane des Kanzlers zu erlangen wäre, wird unseres
Erachtens von den Gegnern desselben nicht ohne Grund entgegengesehen, und
wenn die, welchen geholfen werden soll, dann bei den Wahlen ihr Interesse
nicht verkennen und einig sind, wenn die Industriellen ihre Sache nicht von
derjenigen der Bauern trennen, wie es jetzt hin und wieder den Anschein hat,
so ist die Niederlage der Freihändler -- wir denken dabei immer an die, welche
aus Manchester gebürtig sind -- und der Sieg der nationalen Reform oder,
wenn man will, der Rückkehr zu den Grundsätzen der früheren wohlbewährten
Zollpolitik gewiß.

Wir knüpfen daran noch ein paar Worte über eine Wendung in der Rede
des Herrn Bamberger. Gegen das Ende derselben erklang ein gewisser Ton, den
wir als einen empfindsamen bezeichnen möchten. Mit einer Art Wehmuth
schien der Redner anzudeuten, daß die Nationalliberalen vom Kanzler Rücksicht,
wohl auch Dank zu erwarten berechtigt gewesen wären. Als ob man aus
Gründen des Gefühls mit ihm gegangen wäre! Sie haben zu ihm gehalten,
weil sie national dachten und strebten wie er, und sie haben sich 1877 von
ihm abgewandt, weil er nicht so liberal sein wollte, nicht so liberal sein konnte
wie sie. Sie hätten damals viel und mit der Zeit mehr erreichen können mit
dem Kanzler, wenn ihre Führer wirkliche Politiker gewesen wären. Aber der
Bestand der Partei galt ihnen mehr als die Aussicht auf thatsächlichen Erfolg.
Als v. Bennigsen aus Varzin wiederkam, hieß es in diesen Kreisen, mit
diesem Minister könne er nicht dienen, aber nach ihm. Es war zu wünschen,
daß die vierzehn oder fünfzehn Mitglieder der Partei, die von Rechtswegen
zu den Fortfchrittsleuten gehörten, ausschieden, aber sie blieben. Die national¬
liberalen Zeitungen, die Kölnische und die National - Zeitung mit dem Han¬
noverischen Kourier, der wohl nicht mit Unrecht für das Organ v. Bennigsen's
gehalten wird, voran und eine Anzahl anderer Blätter hinterher bliesen in ihr
Sturmhorn, dessen Töne sich kaum von denen unterschieden, welche die Posaunen
des Fortschritts von sich geben. In allen Fragen wurde Opposition gemacht,
offenbar um zu zeigen, daß der Kanzler der Unterstützung der Partei bedürfe,
unter allen Umständen bedürfe. Man trat gegen das Tabaksmonopol und
gegen die Tabakssteuer, wie sie die Regierung beabsichtigte, auf, man sträubte
sich gegen das Sozialistengesetz, und man war damit in Wahrheit und'in


reitungsstadien hinwegkommen, und daß keine Verschleppung stattfinden, d. h.
daß der für die betreffende Kommission arbeitende Apparat sich die Förderung
des nöthigen Materials mehr angelegen sein lassen möge als bisher.

Am Reichskanzler liegt die Verzögerung nicht. An Energie bei der Durch¬
führung des von ihm als richtig Erkannten wird er es auch nicht fehlen lassen.
Einer Auflösung des Reichstages für den Fall, daß in ihm keine Majorität
für das Wesentliche im Plane des Kanzlers zu erlangen wäre, wird unseres
Erachtens von den Gegnern desselben nicht ohne Grund entgegengesehen, und
wenn die, welchen geholfen werden soll, dann bei den Wahlen ihr Interesse
nicht verkennen und einig sind, wenn die Industriellen ihre Sache nicht von
derjenigen der Bauern trennen, wie es jetzt hin und wieder den Anschein hat,
so ist die Niederlage der Freihändler — wir denken dabei immer an die, welche
aus Manchester gebürtig sind — und der Sieg der nationalen Reform oder,
wenn man will, der Rückkehr zu den Grundsätzen der früheren wohlbewährten
Zollpolitik gewiß.

Wir knüpfen daran noch ein paar Worte über eine Wendung in der Rede
des Herrn Bamberger. Gegen das Ende derselben erklang ein gewisser Ton, den
wir als einen empfindsamen bezeichnen möchten. Mit einer Art Wehmuth
schien der Redner anzudeuten, daß die Nationalliberalen vom Kanzler Rücksicht,
wohl auch Dank zu erwarten berechtigt gewesen wären. Als ob man aus
Gründen des Gefühls mit ihm gegangen wäre! Sie haben zu ihm gehalten,
weil sie national dachten und strebten wie er, und sie haben sich 1877 von
ihm abgewandt, weil er nicht so liberal sein wollte, nicht so liberal sein konnte
wie sie. Sie hätten damals viel und mit der Zeit mehr erreichen können mit
dem Kanzler, wenn ihre Führer wirkliche Politiker gewesen wären. Aber der
Bestand der Partei galt ihnen mehr als die Aussicht auf thatsächlichen Erfolg.
Als v. Bennigsen aus Varzin wiederkam, hieß es in diesen Kreisen, mit
diesem Minister könne er nicht dienen, aber nach ihm. Es war zu wünschen,
daß die vierzehn oder fünfzehn Mitglieder der Partei, die von Rechtswegen
zu den Fortfchrittsleuten gehörten, ausschieden, aber sie blieben. Die national¬
liberalen Zeitungen, die Kölnische und die National - Zeitung mit dem Han¬
noverischen Kourier, der wohl nicht mit Unrecht für das Organ v. Bennigsen's
gehalten wird, voran und eine Anzahl anderer Blätter hinterher bliesen in ihr
Sturmhorn, dessen Töne sich kaum von denen unterschieden, welche die Posaunen
des Fortschritts von sich geben. In allen Fragen wurde Opposition gemacht,
offenbar um zu zeigen, daß der Kanzler der Unterstützung der Partei bedürfe,
unter allen Umständen bedürfe. Man trat gegen das Tabaksmonopol und
gegen die Tabakssteuer, wie sie die Regierung beabsichtigte, auf, man sträubte
sich gegen das Sozialistengesetz, und man war damit in Wahrheit und'in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/376>, abgerufen am 23.07.2024.