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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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die Frage, ob das vom Reichskanzler jetzt befürwortete System gut oder schlecht,
durch die Erfahrung gerechtfertigt oder widerrathen sei. Die folgenden Zeilen sind
nicht bestimmt, diese Frage zu beantworten. Wir schlagen hier vielmehr gewisser¬
maßen das Verfahren der genannten Freihändler ein und haben dabei das Vergnü¬
gen, ausnahmsweise einmal in einem Punkte mit Herrn Richter beinahe derselben
Meinung zu sein. Er vermuthete zuletzt ungefähr: dann habe Fürst Bismarck
wohl gar kein System. Das würde richtig sein, wenn man es so ausdrückte:
er habe in wirthschaftlichen Dingen geraume Zeit gar keins gehabt. Er hatte,
im Begriff, eine große politische Reform durchzuführen, sich der Betrachtung
dieser Dinge nicht widmen, sich keine bestimmte Ansicht über sie bilden können.
Er ordnete die wirthschaftlichen Fragen seinen politischen Zwecken unter und
entschied sie in Folge dessen so, daß der Ausgang die letzteren förderte. Für
den Handelsvertrag mit Frankreich z. B., der 1862 abgeschlossen wurde, ist er
zwar nicht verantwortlich zu machen, da derselbe vor seinem Amtsantritte zu
Stande kam. Er würde sich aber nicht geweigert haben, seinen Namen dar¬
unter zu setzen, weil der Kampf mit Oesterreich um die Hegemonie in Deutsch¬
land damals gewaltsamen Ausgange sich näherte, und weil der Vertrag ein
Mittel war, Frankreich, in dieser Zeit die einzige Macht, mit der Preußen auf
gutem Fuße stand, bei wohlwollender Gesinnung zu erhalten und ein Ein¬
greifen dieses Nachbars in den Gang der Dinge zu verhüten. Wenn der
Minister von dem Vertrage nicht zurücktrat, so unterblieb es aus denselben
Rücksichten. Eine wirthschaftliche Tendenz wurde von ihm dabei nicht verfolgt;
denn er hatte eben noch keine. Alles Wirthschaftliche war und blieb in diesen
und den nächsten Jahren Herrn Delbrück überlassen, zu dessen Sachkunde,
Umsicht und Arbeitskraft der Kanzler unbedingtes Vertrauen hegte, der in der
That in seinem Fache die erste Autorität Deutschland's war, und dessen Unter¬
stützung bei den nächsten politischen Aufgaben nach 1866, der Gründung des
Norddeutschen Bundes und der Entwickelung des letzteren zum Deutschen Reiche,
so wenig zu entbehren war, daß der Kanzler auch dann nicht daran hätte
denken können, sich von ihm zu trennen, wenn er in wirthschaftlichen Angele¬
genheiten wesentlich anderer Meinung gewesen wäre, wenn er z. B. geglaubt
hätte, den Handelsvertrag mit Oesterreich-Ungarn als sür Deutschland nach¬
theilig nicht unterzeichnen zu können. Delbrück handelte deshalb durchaus selb¬
ständig, und wenn der Fürst später, zunächst durch Vorstellungen und Klagen
aus dem Publikum angeregt, sich mehr und mehr Ansichten bildete, die von
denen des Präsidenten des Reichskanzleramtes abwichen, so kam es wohl ge¬
legentlich zu Erörterungen, aber nicht zu amtlichen Einsprüche.*)



*) Der Fürst beantwortete am 20. April 1876 eine Anspielung Richter's auf die
Motive von Delbrück's Rücktritt folgendermaßen: "Es ist durchaus unrichtig, und auch

die Frage, ob das vom Reichskanzler jetzt befürwortete System gut oder schlecht,
durch die Erfahrung gerechtfertigt oder widerrathen sei. Die folgenden Zeilen sind
nicht bestimmt, diese Frage zu beantworten. Wir schlagen hier vielmehr gewisser¬
maßen das Verfahren der genannten Freihändler ein und haben dabei das Vergnü¬
gen, ausnahmsweise einmal in einem Punkte mit Herrn Richter beinahe derselben
Meinung zu sein. Er vermuthete zuletzt ungefähr: dann habe Fürst Bismarck
wohl gar kein System. Das würde richtig sein, wenn man es so ausdrückte:
er habe in wirthschaftlichen Dingen geraume Zeit gar keins gehabt. Er hatte,
im Begriff, eine große politische Reform durchzuführen, sich der Betrachtung
dieser Dinge nicht widmen, sich keine bestimmte Ansicht über sie bilden können.
Er ordnete die wirthschaftlichen Fragen seinen politischen Zwecken unter und
entschied sie in Folge dessen so, daß der Ausgang die letzteren förderte. Für
den Handelsvertrag mit Frankreich z. B., der 1862 abgeschlossen wurde, ist er
zwar nicht verantwortlich zu machen, da derselbe vor seinem Amtsantritte zu
Stande kam. Er würde sich aber nicht geweigert haben, seinen Namen dar¬
unter zu setzen, weil der Kampf mit Oesterreich um die Hegemonie in Deutsch¬
land damals gewaltsamen Ausgange sich näherte, und weil der Vertrag ein
Mittel war, Frankreich, in dieser Zeit die einzige Macht, mit der Preußen auf
gutem Fuße stand, bei wohlwollender Gesinnung zu erhalten und ein Ein¬
greifen dieses Nachbars in den Gang der Dinge zu verhüten. Wenn der
Minister von dem Vertrage nicht zurücktrat, so unterblieb es aus denselben
Rücksichten. Eine wirthschaftliche Tendenz wurde von ihm dabei nicht verfolgt;
denn er hatte eben noch keine. Alles Wirthschaftliche war und blieb in diesen
und den nächsten Jahren Herrn Delbrück überlassen, zu dessen Sachkunde,
Umsicht und Arbeitskraft der Kanzler unbedingtes Vertrauen hegte, der in der
That in seinem Fache die erste Autorität Deutschland's war, und dessen Unter¬
stützung bei den nächsten politischen Aufgaben nach 1866, der Gründung des
Norddeutschen Bundes und der Entwickelung des letzteren zum Deutschen Reiche,
so wenig zu entbehren war, daß der Kanzler auch dann nicht daran hätte
denken können, sich von ihm zu trennen, wenn er in wirthschaftlichen Angele¬
genheiten wesentlich anderer Meinung gewesen wäre, wenn er z. B. geglaubt
hätte, den Handelsvertrag mit Oesterreich-Ungarn als sür Deutschland nach¬
theilig nicht unterzeichnen zu können. Delbrück handelte deshalb durchaus selb¬
ständig, und wenn der Fürst später, zunächst durch Vorstellungen und Klagen
aus dem Publikum angeregt, sich mehr und mehr Ansichten bildete, die von
denen des Präsidenten des Reichskanzleramtes abwichen, so kam es wohl ge¬
legentlich zu Erörterungen, aber nicht zu amtlichen Einsprüche.*)



*) Der Fürst beantwortete am 20. April 1876 eine Anspielung Richter's auf die
Motive von Delbrück's Rücktritt folgendermaßen: „Es ist durchaus unrichtig, und auch
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/374>, abgerufen am 23.07.2024.