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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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gelischen Gottesdienst einrichten könnte. Der Umstand, daß es "viel katholische
Bürger und Leute" in Berlin gab, war für den König genügend. Ein wirth¬
schaftliches Interesse war es, welches den König bestimmte, in der Grafschaft Lingen
den katholischen Kultus zu gestatten: die katholischen Bewohner der Grafschaft
stellten ihm vor, daß sie durch den weiten Weg zum Gotteshause jedesmal einen
ganzen Tag versäumen müßten. Aus dem gleichen Interesse gestattete er den katho¬
lischen Gottesdienst in Tilsit -- er fürchtete, daß seine katholischen Unterthanen
daselbst das Land verlassen möchten -- und hob in der Grafschaft Lingen die von
dem oranisch-holländischen Regiments herrührenden Erbrechts-Beschränkungen der
Katholiken auf, nach welchen wohl die Deszendenten, nicht aber die Kollateralen
katholischer Bürger in den Besitz nachgelassener Güter gelangen konnten. Wie wenig
sich freilich die Katholiken solcher Milde würdig zeigten, beweist der Umstand,
daß mehrere Geistliche und die Jesuiten in Preußen die Abhaltung des Kirchen¬
gebetes für den König und sein Haus verweigerten. Diese Unduldsamkeit der
Katholiken machte es auch ihm wie seinen Vorgängern unmöglich, immer duldsam
zu sein. Aber selbst die wenigen und geringfügigen Repressalien, zu denen er durch
den katholischen Klerus provozirt wurde, wandte er mit der größten Schonung
und auf kürzeste Frist an. Und er verblieb bei der Tradition seines Hauses
auch dann, als in Rom, in der nächsten Umgebung des Papstes, eine Denk¬
schrift verfaßt wurde, welche einen großen Kreuzzug gegen die Ketzer im Stile
des dreißigjährigen Krieges anregen sollte, und in der es hieß, Brandenburg
solle "gänzlich supprimirt werden".

Um zu einer festen Regelung der Beziehungen zum katholischen Klerus
und zum römischen Stuhle zu gelangen, wünschte der König die Ernennung
eines Vikars, in welchem die katholischen Unterthanen seiner Monarchie ihr
gemeinsames Oberhaupt erblicken sollten. Der Amtsbezirk des Vikars sollte
zuerst Magdeburg, Halberstadt, Minden, später die ganze Monarchie umfassen,
dann wieder nur einen Theil der letzteren. Auch hier war ein wirthschaftliches
Interesse auf Seiten des Königs wenigstens mit bestimmend. Es sollte durch
Errichtung des Vikariats verhindert werden, daß die Gebühren für Weihen,
Visitationen und Dispensationen an auswärtige geistliche Würdenträger, also
außer Landes gingen.

Soweit die Darstellung des Verfassers. Das ganze Werk bestätigt in
überraschender Weise den Satz v. Sybel's in seinem Prospekte zu den vorlie¬
genden archivalischen Publikationen: "Es gibt keine bessere Propaganda für
das Ansehen Preußen's in der Welt, als die authentische Kenntniß der preu¬
ßischen Geschichte." Und nun erinnere man sich angesichts der urkundlichen
Dokumente, die uns hier über die Religionspolitik der hohenzollern'schen Fürsten
mitgetheilt werden, der Worte, welche Windthorst (Meppen) in der Sitzung


gelischen Gottesdienst einrichten könnte. Der Umstand, daß es „viel katholische
Bürger und Leute" in Berlin gab, war für den König genügend. Ein wirth¬
schaftliches Interesse war es, welches den König bestimmte, in der Grafschaft Lingen
den katholischen Kultus zu gestatten: die katholischen Bewohner der Grafschaft
stellten ihm vor, daß sie durch den weiten Weg zum Gotteshause jedesmal einen
ganzen Tag versäumen müßten. Aus dem gleichen Interesse gestattete er den katho¬
lischen Gottesdienst in Tilsit — er fürchtete, daß seine katholischen Unterthanen
daselbst das Land verlassen möchten — und hob in der Grafschaft Lingen die von
dem oranisch-holländischen Regiments herrührenden Erbrechts-Beschränkungen der
Katholiken auf, nach welchen wohl die Deszendenten, nicht aber die Kollateralen
katholischer Bürger in den Besitz nachgelassener Güter gelangen konnten. Wie wenig
sich freilich die Katholiken solcher Milde würdig zeigten, beweist der Umstand,
daß mehrere Geistliche und die Jesuiten in Preußen die Abhaltung des Kirchen¬
gebetes für den König und sein Haus verweigerten. Diese Unduldsamkeit der
Katholiken machte es auch ihm wie seinen Vorgängern unmöglich, immer duldsam
zu sein. Aber selbst die wenigen und geringfügigen Repressalien, zu denen er durch
den katholischen Klerus provozirt wurde, wandte er mit der größten Schonung
und auf kürzeste Frist an. Und er verblieb bei der Tradition seines Hauses
auch dann, als in Rom, in der nächsten Umgebung des Papstes, eine Denk¬
schrift verfaßt wurde, welche einen großen Kreuzzug gegen die Ketzer im Stile
des dreißigjährigen Krieges anregen sollte, und in der es hieß, Brandenburg
solle „gänzlich supprimirt werden".

Um zu einer festen Regelung der Beziehungen zum katholischen Klerus
und zum römischen Stuhle zu gelangen, wünschte der König die Ernennung
eines Vikars, in welchem die katholischen Unterthanen seiner Monarchie ihr
gemeinsames Oberhaupt erblicken sollten. Der Amtsbezirk des Vikars sollte
zuerst Magdeburg, Halberstadt, Minden, später die ganze Monarchie umfassen,
dann wieder nur einen Theil der letzteren. Auch hier war ein wirthschaftliches
Interesse auf Seiten des Königs wenigstens mit bestimmend. Es sollte durch
Errichtung des Vikariats verhindert werden, daß die Gebühren für Weihen,
Visitationen und Dispensationen an auswärtige geistliche Würdenträger, also
außer Landes gingen.

Soweit die Darstellung des Verfassers. Das ganze Werk bestätigt in
überraschender Weise den Satz v. Sybel's in seinem Prospekte zu den vorlie¬
genden archivalischen Publikationen: „Es gibt keine bessere Propaganda für
das Ansehen Preußen's in der Welt, als die authentische Kenntniß der preu¬
ßischen Geschichte." Und nun erinnere man sich angesichts der urkundlichen
Dokumente, die uns hier über die Religionspolitik der hohenzollern'schen Fürsten
mitgetheilt werden, der Worte, welche Windthorst (Meppen) in der Sitzung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/353>, abgerufen am 01.07.2024.