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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Aufsatz im 28. Theile ("Schriften und Aufsätze zur Kunst") S. 550--554
wieder mit abgedruckt."')

Wie konnte Goethe, frage ich mich, über die Bilder schreiben und urtheilen?
Hatte er sie gesehen? War er 1815 im Februar oder März in Leipzig und
hatte dort Gelegenheit, von dem interessanten Funde Kenntniß zu nehmen?
Biedermann (Goethe und Leipzig II, S. 176 fg.) weiß nichts von einem solchen
Besuche; er berichtet nur, was jeder aus dem Goethischen Aufsatze selber ent¬
nehmen kann, daß I. G. Quandt, der bekannte Kunstfreund, der damals noch
als junger Kaufmann in Leipzig lebte, Goethen von dem Funde Mittheilung
gemacht, und dieser sich beeilt habe, ihn im "Morgenblatt" bekannt zu machen.
"Die Entdeckung dieser bedeutenden Schätze," schreibt Goethe, "sind wir Herrn
Quandt schuldig, einem jungen Handelsmann, der mit Enthusiasmus für die
Kunst schöne Kenntnisse derselben verbindet, auch Geschmack und Einsichten auf
Reisen geläutert hat---- Die Nachrichten, welche wir davon erhalten,
bringen wir um so schneller in's Publikum, als bei bevorstehender Jubilate-
Messe gewiß jeder Kunstfreund und Kenner sich nach diesen Tafeln erkundigen
und durch Theilnahme das glücklich begonnene Unternehmen fördern wird."

Es fragt sich also sehr, ob man ein Recht hat, von einem "Goethischen"
Aufsatze über diese Bilder zu sprechen und so, wie es z. B. im Katalog des
Leipziger Museums geschieht, Stellen daraus als Urtheile Goethe's den Bildern
an die Seite zu drucken. Es fragt sich, ob man nicht vielmehr Quandt als
den Verfasser dieser Urtheile anzusehen hat.

Leider ist der ausführliche Bericht, den Quandt selbst drei Monate nach
Goethe in der "Zeitung für die elegante Welt" vom 22. bis 29. Juni 1815
(Ur. 121--126) veröffentlichte, so gut wie unbeachtet geblieben. Weder Chr.
Schuchardt in seinem "Lucas Cranach" hat Rücksicht darauf genommen, noch
der Leipziger Katalog, noch Fr. Strehlke, der Herausgeber von Goethe's
"Schriften und Aufsätzen zur Kunst" in der Berliner Goetheansgabe. Und
doch liefert ein Vergleich des Goethischen Aufsatzes mit dem Quandt'schen, wie
mir scheint, den vollständigen Beweis, daß wir auch in dem ersteren nichts



In den Anmerkungen Strehlke's, des verdienstvollen Herausgebers dieses Bandes,
finden sich bei diesem Aufslitze ein paar kleine Irrthümer. S. SSI sind die Worte: als
"Verklärung Christi auf Tabor" in eine falsche Anmerkung gerathen; sie gehören zu ff)
hinter die Worte: Unter Ur. 45 des Katalogs. Bei dem "Sterbenden" von Cranach d. ä.
ist Strehlke, da er nur den Leipziger Museumskatalog eingesehen hat, S, 553 zu der An¬
nahme verleitet worden, es enthalte dieses Bild außer der Widmungsinschrift nur "noch
zwei andere lateinische Inschriften". Im Ganzen befinden sich aber deren dreizehn auf dem
Bilde. Die Widmungsinschrift gibt Strehlke ungenau. Sie lautet, wenn sie denn einmal
mit diplomatischer Treue gegeben werden soll: ?^?RI 0?,WNIMVL 80HNI1'LVRS.
1.I?!WLIL.IVIUVN VOorvN.?IMiI.?MI?.V0.N.V.XVIII.

Aufsatz im 28. Theile („Schriften und Aufsätze zur Kunst") S. 550—554
wieder mit abgedruckt."')

Wie konnte Goethe, frage ich mich, über die Bilder schreiben und urtheilen?
Hatte er sie gesehen? War er 1815 im Februar oder März in Leipzig und
hatte dort Gelegenheit, von dem interessanten Funde Kenntniß zu nehmen?
Biedermann (Goethe und Leipzig II, S. 176 fg.) weiß nichts von einem solchen
Besuche; er berichtet nur, was jeder aus dem Goethischen Aufsatze selber ent¬
nehmen kann, daß I. G. Quandt, der bekannte Kunstfreund, der damals noch
als junger Kaufmann in Leipzig lebte, Goethen von dem Funde Mittheilung
gemacht, und dieser sich beeilt habe, ihn im „Morgenblatt" bekannt zu machen.
„Die Entdeckung dieser bedeutenden Schätze," schreibt Goethe, „sind wir Herrn
Quandt schuldig, einem jungen Handelsmann, der mit Enthusiasmus für die
Kunst schöne Kenntnisse derselben verbindet, auch Geschmack und Einsichten auf
Reisen geläutert hat---- Die Nachrichten, welche wir davon erhalten,
bringen wir um so schneller in's Publikum, als bei bevorstehender Jubilate-
Messe gewiß jeder Kunstfreund und Kenner sich nach diesen Tafeln erkundigen
und durch Theilnahme das glücklich begonnene Unternehmen fördern wird."

Es fragt sich also sehr, ob man ein Recht hat, von einem „Goethischen"
Aufsatze über diese Bilder zu sprechen und so, wie es z. B. im Katalog des
Leipziger Museums geschieht, Stellen daraus als Urtheile Goethe's den Bildern
an die Seite zu drucken. Es fragt sich, ob man nicht vielmehr Quandt als
den Verfasser dieser Urtheile anzusehen hat.

Leider ist der ausführliche Bericht, den Quandt selbst drei Monate nach
Goethe in der „Zeitung für die elegante Welt" vom 22. bis 29. Juni 1815
(Ur. 121—126) veröffentlichte, so gut wie unbeachtet geblieben. Weder Chr.
Schuchardt in seinem „Lucas Cranach" hat Rücksicht darauf genommen, noch
der Leipziger Katalog, noch Fr. Strehlke, der Herausgeber von Goethe's
„Schriften und Aufsätzen zur Kunst" in der Berliner Goetheansgabe. Und
doch liefert ein Vergleich des Goethischen Aufsatzes mit dem Quandt'schen, wie
mir scheint, den vollständigen Beweis, daß wir auch in dem ersteren nichts



In den Anmerkungen Strehlke's, des verdienstvollen Herausgebers dieses Bandes,
finden sich bei diesem Aufslitze ein paar kleine Irrthümer. S. SSI sind die Worte: als
„Verklärung Christi auf Tabor" in eine falsche Anmerkung gerathen; sie gehören zu ff)
hinter die Worte: Unter Ur. 45 des Katalogs. Bei dem „Sterbenden" von Cranach d. ä.
ist Strehlke, da er nur den Leipziger Museumskatalog eingesehen hat, S, 553 zu der An¬
nahme verleitet worden, es enthalte dieses Bild außer der Widmungsinschrift nur „noch
zwei andere lateinische Inschriften". Im Ganzen befinden sich aber deren dreizehn auf dem
Bilde. Die Widmungsinschrift gibt Strehlke ungenau. Sie lautet, wenn sie denn einmal
mit diplomatischer Treue gegeben werden soll: ?^?RI 0?,WNIMVL 80HNI1'LVRS.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/35>, abgerufen am 23.07.2024.