Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Sprache in seinem Werden, seinem Fluß, seinen tausend und abertausend Neu-
und Umgestaltungen in den letzten vierthalb Jahrhunderten, dem deutschen Volke
anschaulich zu machen, und das diese Aufgabe zu erfüllen begonnen hatte. Es
war ein Ereigniß in der Geschichte unserer Literatur. Der Fortgang entsprach
dem Anfang. Rasch erhob sich in den nächsten beiden Jahren der Ban ans
seinem Fundamente. 1854 war der erste Band (1824 Spalten), 1860 der zweite
(1776 Spalten), 1862 der dritte (1904 Spalten) vollendet. Darüber hiucius
erschien bis zum Herbst des nächsten Jahres nur ein Heft. Während der Be¬
schäftigung mit dem Artikel "Frucht" war Jakob Grimm am 20. September
1863 durch den Tod von der Arbeit abberufen worden, nachdem ihm vier
Jahre vorher schon sein Bruder Wilhelm vorausgegangen war, dem das Wörter¬
buch die Behandlung des Buchstaben v verdankt. Alles übrige von dem bis
dahin Veröffentlichten stammt von Jakob's Hand, und Jedermann, der diese
2184 enggedruckten Seiten größten Lexikonformats überblickt, wird von Staunen
erfüllt werden über die rüstige Kraft des greisen Gelehrten, welcher in verhältni߬
mäßig kurzer Zeit solche Massen von Rohmaterial in wohlgeordnete, gründlich
durchdachte und sauber gefaßte Artikel zu verwandeln im Stande gewesen war.

Der Tod Grimm's war für das Wörterbuch ein großer Verlust, aber kein
völlig unersetzlicher. An die Stelle des Meisters traten sofort tüchtige, kunst¬
erfahrene Gesellen, um den Bau weiter zu fördern, zunächst in der Person des
damaligen Gymnasiallehrers Dr. Hildebrand in Leipzig, der bisher schon als
Korrektor des Werkes sich in den Plan und die Methode desselben eingelebt
hatte und als sachkundiger Rathgeber auch in anderer Hinsicht stiller Mitarbeiter
gewesen war, dann durch Betheiligung des Professor Weigand in Gießen.
Später wurde in Dr. Moritz Heyne in Halle ein dritter rüstiger und wohl-
geschnlter Mitarbeiter gewonnen. Weigand baute da fort, wo Grimm Kelle
und Winkelmaß niedergelegt hatte, und arbeitete langsam, aber gediegen die
weiteren Artikel des Buchstaben 1? aus. An fernerer Mitwirkung hinderte ihn
Krankheit und sein im Juli 1878 erfolgter Tod. Die zweite Abtheilung des
vierten Bandes bis zu Ende des Buchstaben H übernahm Heyne, den Schluß
1 und -1 Professor Lucä in Marburg, der aber, als er bis Ich gekommen, zu¬
rücktrat, worauf dein Bearbeiter von H auch diese Arbeit übertragen und von
ihm verhältnißmäßig rasch vollendet wurde. Nächst Heyne am fleißigsten, wenn
auch -- theils wohl in Folge von Kränklichkeit -- sehr langsam, hat Hildebrand,
seit etwa zehn Jahren Professor an der Leipziger Universität, gearbeitet, der
an den wichtigen Buchstaben 1^ gegangen ist und denselben in einem 2916
Spalten starken Bande vor einiger Zeit bewältigt hat. Das Werk war damit
ungefähr bis zur Hälfte vollendet. Von den noch übrigen Buchstaben konnten
nur N, L und ^ noch sehr viel Arbeit und Raum erfordern, und der jetzige


Sprache in seinem Werden, seinem Fluß, seinen tausend und abertausend Neu-
und Umgestaltungen in den letzten vierthalb Jahrhunderten, dem deutschen Volke
anschaulich zu machen, und das diese Aufgabe zu erfüllen begonnen hatte. Es
war ein Ereigniß in der Geschichte unserer Literatur. Der Fortgang entsprach
dem Anfang. Rasch erhob sich in den nächsten beiden Jahren der Ban ans
seinem Fundamente. 1854 war der erste Band (1824 Spalten), 1860 der zweite
(1776 Spalten), 1862 der dritte (1904 Spalten) vollendet. Darüber hiucius
erschien bis zum Herbst des nächsten Jahres nur ein Heft. Während der Be¬
schäftigung mit dem Artikel „Frucht" war Jakob Grimm am 20. September
1863 durch den Tod von der Arbeit abberufen worden, nachdem ihm vier
Jahre vorher schon sein Bruder Wilhelm vorausgegangen war, dem das Wörter¬
buch die Behandlung des Buchstaben v verdankt. Alles übrige von dem bis
dahin Veröffentlichten stammt von Jakob's Hand, und Jedermann, der diese
2184 enggedruckten Seiten größten Lexikonformats überblickt, wird von Staunen
erfüllt werden über die rüstige Kraft des greisen Gelehrten, welcher in verhältni߬
mäßig kurzer Zeit solche Massen von Rohmaterial in wohlgeordnete, gründlich
durchdachte und sauber gefaßte Artikel zu verwandeln im Stande gewesen war.

Der Tod Grimm's war für das Wörterbuch ein großer Verlust, aber kein
völlig unersetzlicher. An die Stelle des Meisters traten sofort tüchtige, kunst¬
erfahrene Gesellen, um den Bau weiter zu fördern, zunächst in der Person des
damaligen Gymnasiallehrers Dr. Hildebrand in Leipzig, der bisher schon als
Korrektor des Werkes sich in den Plan und die Methode desselben eingelebt
hatte und als sachkundiger Rathgeber auch in anderer Hinsicht stiller Mitarbeiter
gewesen war, dann durch Betheiligung des Professor Weigand in Gießen.
Später wurde in Dr. Moritz Heyne in Halle ein dritter rüstiger und wohl-
geschnlter Mitarbeiter gewonnen. Weigand baute da fort, wo Grimm Kelle
und Winkelmaß niedergelegt hatte, und arbeitete langsam, aber gediegen die
weiteren Artikel des Buchstaben 1? aus. An fernerer Mitwirkung hinderte ihn
Krankheit und sein im Juli 1878 erfolgter Tod. Die zweite Abtheilung des
vierten Bandes bis zu Ende des Buchstaben H übernahm Heyne, den Schluß
1 und -1 Professor Lucä in Marburg, der aber, als er bis Ich gekommen, zu¬
rücktrat, worauf dein Bearbeiter von H auch diese Arbeit übertragen und von
ihm verhältnißmäßig rasch vollendet wurde. Nächst Heyne am fleißigsten, wenn
auch — theils wohl in Folge von Kränklichkeit — sehr langsam, hat Hildebrand,
seit etwa zehn Jahren Professor an der Leipziger Universität, gearbeitet, der
an den wichtigen Buchstaben 1^ gegangen ist und denselben in einem 2916
Spalten starken Bande vor einiger Zeit bewältigt hat. Das Werk war damit
ungefähr bis zur Hälfte vollendet. Von den noch übrigen Buchstaben konnten
nur N, L und ^ noch sehr viel Arbeit und Raum erfordern, und der jetzige


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0330" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/141741"/>
          <p xml:id="ID_969" prev="#ID_968"> Sprache in seinem Werden, seinem Fluß, seinen tausend und abertausend Neu-<lb/>
und Umgestaltungen in den letzten vierthalb Jahrhunderten, dem deutschen Volke<lb/>
anschaulich zu machen, und das diese Aufgabe zu erfüllen begonnen hatte. Es<lb/>
war ein Ereigniß in der Geschichte unserer Literatur. Der Fortgang entsprach<lb/>
dem Anfang. Rasch erhob sich in den nächsten beiden Jahren der Ban ans<lb/>
seinem Fundamente. 1854 war der erste Band (1824 Spalten), 1860 der zweite<lb/>
(1776 Spalten), 1862 der dritte (1904 Spalten) vollendet. Darüber hiucius<lb/>
erschien bis zum Herbst des nächsten Jahres nur ein Heft. Während der Be¬<lb/>
schäftigung mit dem Artikel &#x201E;Frucht" war Jakob Grimm am 20. September<lb/>
1863 durch den Tod von der Arbeit abberufen worden, nachdem ihm vier<lb/>
Jahre vorher schon sein Bruder Wilhelm vorausgegangen war, dem das Wörter¬<lb/>
buch die Behandlung des Buchstaben v verdankt. Alles übrige von dem bis<lb/>
dahin Veröffentlichten stammt von Jakob's Hand, und Jedermann, der diese<lb/>
2184 enggedruckten Seiten größten Lexikonformats überblickt, wird von Staunen<lb/>
erfüllt werden über die rüstige Kraft des greisen Gelehrten, welcher in verhältni߬<lb/>
mäßig kurzer Zeit solche Massen von Rohmaterial in wohlgeordnete, gründlich<lb/>
durchdachte und sauber gefaßte Artikel zu verwandeln im Stande gewesen war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_970" next="#ID_971"> Der Tod Grimm's war für das Wörterbuch ein großer Verlust, aber kein<lb/>
völlig unersetzlicher. An die Stelle des Meisters traten sofort tüchtige, kunst¬<lb/>
erfahrene Gesellen, um den Bau weiter zu fördern, zunächst in der Person des<lb/>
damaligen Gymnasiallehrers Dr. Hildebrand in Leipzig, der bisher schon als<lb/>
Korrektor des Werkes sich in den Plan und die Methode desselben eingelebt<lb/>
hatte und als sachkundiger Rathgeber auch in anderer Hinsicht stiller Mitarbeiter<lb/>
gewesen war, dann durch Betheiligung des Professor Weigand in Gießen.<lb/>
Später wurde in Dr. Moritz Heyne in Halle ein dritter rüstiger und wohl-<lb/>
geschnlter Mitarbeiter gewonnen. Weigand baute da fort, wo Grimm Kelle<lb/>
und Winkelmaß niedergelegt hatte, und arbeitete langsam, aber gediegen die<lb/>
weiteren Artikel des Buchstaben 1? aus. An fernerer Mitwirkung hinderte ihn<lb/>
Krankheit und sein im Juli 1878 erfolgter Tod. Die zweite Abtheilung des<lb/>
vierten Bandes bis zu Ende des Buchstaben H übernahm Heyne, den Schluß<lb/>
1 und -1 Professor Lucä in Marburg, der aber, als er bis Ich gekommen, zu¬<lb/>
rücktrat, worauf dein Bearbeiter von H auch diese Arbeit übertragen und von<lb/>
ihm verhältnißmäßig rasch vollendet wurde. Nächst Heyne am fleißigsten, wenn<lb/>
auch &#x2014; theils wohl in Folge von Kränklichkeit &#x2014; sehr langsam, hat Hildebrand,<lb/>
seit etwa zehn Jahren Professor an der Leipziger Universität, gearbeitet, der<lb/>
an den wichtigen Buchstaben 1^ gegangen ist und denselben in einem 2916<lb/>
Spalten starken Bande vor einiger Zeit bewältigt hat. Das Werk war damit<lb/>
ungefähr bis zur Hälfte vollendet. Von den noch übrigen Buchstaben konnten<lb/>
nur N, L und ^ noch sehr viel Arbeit und Raum erfordern, und der jetzige</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0330] Sprache in seinem Werden, seinem Fluß, seinen tausend und abertausend Neu- und Umgestaltungen in den letzten vierthalb Jahrhunderten, dem deutschen Volke anschaulich zu machen, und das diese Aufgabe zu erfüllen begonnen hatte. Es war ein Ereigniß in der Geschichte unserer Literatur. Der Fortgang entsprach dem Anfang. Rasch erhob sich in den nächsten beiden Jahren der Ban ans seinem Fundamente. 1854 war der erste Band (1824 Spalten), 1860 der zweite (1776 Spalten), 1862 der dritte (1904 Spalten) vollendet. Darüber hiucius erschien bis zum Herbst des nächsten Jahres nur ein Heft. Während der Be¬ schäftigung mit dem Artikel „Frucht" war Jakob Grimm am 20. September 1863 durch den Tod von der Arbeit abberufen worden, nachdem ihm vier Jahre vorher schon sein Bruder Wilhelm vorausgegangen war, dem das Wörter¬ buch die Behandlung des Buchstaben v verdankt. Alles übrige von dem bis dahin Veröffentlichten stammt von Jakob's Hand, und Jedermann, der diese 2184 enggedruckten Seiten größten Lexikonformats überblickt, wird von Staunen erfüllt werden über die rüstige Kraft des greisen Gelehrten, welcher in verhältni߬ mäßig kurzer Zeit solche Massen von Rohmaterial in wohlgeordnete, gründlich durchdachte und sauber gefaßte Artikel zu verwandeln im Stande gewesen war. Der Tod Grimm's war für das Wörterbuch ein großer Verlust, aber kein völlig unersetzlicher. An die Stelle des Meisters traten sofort tüchtige, kunst¬ erfahrene Gesellen, um den Bau weiter zu fördern, zunächst in der Person des damaligen Gymnasiallehrers Dr. Hildebrand in Leipzig, der bisher schon als Korrektor des Werkes sich in den Plan und die Methode desselben eingelebt hatte und als sachkundiger Rathgeber auch in anderer Hinsicht stiller Mitarbeiter gewesen war, dann durch Betheiligung des Professor Weigand in Gießen. Später wurde in Dr. Moritz Heyne in Halle ein dritter rüstiger und wohl- geschnlter Mitarbeiter gewonnen. Weigand baute da fort, wo Grimm Kelle und Winkelmaß niedergelegt hatte, und arbeitete langsam, aber gediegen die weiteren Artikel des Buchstaben 1? aus. An fernerer Mitwirkung hinderte ihn Krankheit und sein im Juli 1878 erfolgter Tod. Die zweite Abtheilung des vierten Bandes bis zu Ende des Buchstaben H übernahm Heyne, den Schluß 1 und -1 Professor Lucä in Marburg, der aber, als er bis Ich gekommen, zu¬ rücktrat, worauf dein Bearbeiter von H auch diese Arbeit übertragen und von ihm verhältnißmäßig rasch vollendet wurde. Nächst Heyne am fleißigsten, wenn auch — theils wohl in Folge von Kränklichkeit — sehr langsam, hat Hildebrand, seit etwa zehn Jahren Professor an der Leipziger Universität, gearbeitet, der an den wichtigen Buchstaben 1^ gegangen ist und denselben in einem 2916 Spalten starken Bande vor einiger Zeit bewältigt hat. Das Werk war damit ungefähr bis zur Hälfte vollendet. Von den noch übrigen Buchstaben konnten nur N, L und ^ noch sehr viel Arbeit und Raum erfordern, und der jetzige

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/330
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/330>, abgerufen am 23.07.2024.