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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Leben, Licht und Kraft erschien, eine Offenbarung der Gottheit gefühlt , ihre
ordnende Schöpferkraft und Wunderthaten angeschaut habe. Da sehen wir
wieder des Dichters Verständniß für die aesthetische Seite auch der Religion,
für das Walten der Phantasie in den religiösen Vorstellungen, für den Einfluß
der Natur auf Weckung und Gestaltung des religiösen Bewußtseins, kurz sür
die Poesie in den religiösen Anschauungsformen. Und diese Ansicht wandte
Herder auch auf die Bibel an. Er war einer der Ersten, die dem deutschen
Geiste die aesthetische Erhabenheit des alten Testaments wiederum erschlossen;
nicht minder wies er z. B. auf die aesthetische Schönheit des vierten Evange¬
liums hin. In der mosaischen Erzählung von der Schöpfung der Welt erkannte
er -- Wahrheit, aber nicht historische und naturgeschichtliche, sondern religiöse,
und gleichzeitig erkannte er darin -- Poesie, aber nicht spielende und leere,
sondern ernste und inhaltvolle. Er fand darin Naturbilder und Sinnbilder
höherer Ideen, nicht geschichtlich Wirkliches, aber religiös und ideal Wahres.

Jn's Maßlose gesteigert und übertrieben erscheint nun die genialische Welt¬
anschauung in der sogenannten Romantik, und in dieser begegnet uns nicht blos
ein lebendiges Ineinandergreifen der Dichtkunst und der Religion, sondern
geradezu eine Verwischung der Grenzen beider. Für unsere Frage kommt von
den Romantikern besonders Novalis in Betracht. Vorzüglich seine geistlichen
Lieder haben ihm den Ruf eines herzlich und innig frommen Christen ver¬
schafft, und es ist uicht zu verkennen, daß sich in denselben geradezu ein zartes
persönliches Verhältniß zu Christus ausspricht, in dem er die Quelle des Trostes
und des Friedens findet. Nur darf man nicht übersehen, daß seine Religio¬
sität im Ganzen doch pantheistisch gefärbt ist, und namentlich, daß er einen
Unterschied zwischen Religion und Poesie eigentlich uicht kennt. Zu seiner
Charakteristik im Allgemeinen dient, daß er selbst sagt: das Beste ist überall
die Stimmung"); nicht bestimmte Empfindungen und Gefühle, sondern Stim¬
mungen und unbestimmte Empfindungen machen glücklich. Die Nacht, die heilige
geheimnißvolle Nacht ist das Bild des Todes, des mystischen Todes in dem
Unendlichen, und dieser Tod oder dieses Sterben ist Religion. Ferner ist be¬
zeichnend, daß er selbst als das vorzüglichste Element seiner Existenz die Phan¬
tasie bezeichnet, durch welche er sich auch in der Bildung seiner Religionsansicht
leiten lasse; daß er sogar sagt, wie es eine Logik gebe, so gelte es, auch eine
Phantastik aufzustellen.**) Die Physik erklärt er für die Lehre von der Ein¬
bildungskraft; für den Schlüssel der Welt aber: das Herz. Durch diese Vor¬
dersätze wird es deutlich, wie es gemeint ist, wenn er nun sagt, das eigentliche



*) Novalis' Schriften, II, 4? f.; vgl. überhaupt R. Haym, a. a. O,, S. 32S--390,
bes. S. 350 und 377. Haym, a. a. O, S. 365 und 363.

Leben, Licht und Kraft erschien, eine Offenbarung der Gottheit gefühlt , ihre
ordnende Schöpferkraft und Wunderthaten angeschaut habe. Da sehen wir
wieder des Dichters Verständniß für die aesthetische Seite auch der Religion,
für das Walten der Phantasie in den religiösen Vorstellungen, für den Einfluß
der Natur auf Weckung und Gestaltung des religiösen Bewußtseins, kurz sür
die Poesie in den religiösen Anschauungsformen. Und diese Ansicht wandte
Herder auch auf die Bibel an. Er war einer der Ersten, die dem deutschen
Geiste die aesthetische Erhabenheit des alten Testaments wiederum erschlossen;
nicht minder wies er z. B. auf die aesthetische Schönheit des vierten Evange¬
liums hin. In der mosaischen Erzählung von der Schöpfung der Welt erkannte
er — Wahrheit, aber nicht historische und naturgeschichtliche, sondern religiöse,
und gleichzeitig erkannte er darin — Poesie, aber nicht spielende und leere,
sondern ernste und inhaltvolle. Er fand darin Naturbilder und Sinnbilder
höherer Ideen, nicht geschichtlich Wirkliches, aber religiös und ideal Wahres.

Jn's Maßlose gesteigert und übertrieben erscheint nun die genialische Welt¬
anschauung in der sogenannten Romantik, und in dieser begegnet uns nicht blos
ein lebendiges Ineinandergreifen der Dichtkunst und der Religion, sondern
geradezu eine Verwischung der Grenzen beider. Für unsere Frage kommt von
den Romantikern besonders Novalis in Betracht. Vorzüglich seine geistlichen
Lieder haben ihm den Ruf eines herzlich und innig frommen Christen ver¬
schafft, und es ist uicht zu verkennen, daß sich in denselben geradezu ein zartes
persönliches Verhältniß zu Christus ausspricht, in dem er die Quelle des Trostes
und des Friedens findet. Nur darf man nicht übersehen, daß seine Religio¬
sität im Ganzen doch pantheistisch gefärbt ist, und namentlich, daß er einen
Unterschied zwischen Religion und Poesie eigentlich uicht kennt. Zu seiner
Charakteristik im Allgemeinen dient, daß er selbst sagt: das Beste ist überall
die Stimmung"); nicht bestimmte Empfindungen und Gefühle, sondern Stim¬
mungen und unbestimmte Empfindungen machen glücklich. Die Nacht, die heilige
geheimnißvolle Nacht ist das Bild des Todes, des mystischen Todes in dem
Unendlichen, und dieser Tod oder dieses Sterben ist Religion. Ferner ist be¬
zeichnend, daß er selbst als das vorzüglichste Element seiner Existenz die Phan¬
tasie bezeichnet, durch welche er sich auch in der Bildung seiner Religionsansicht
leiten lasse; daß er sogar sagt, wie es eine Logik gebe, so gelte es, auch eine
Phantastik aufzustellen.**) Die Physik erklärt er für die Lehre von der Ein¬
bildungskraft; für den Schlüssel der Welt aber: das Herz. Durch diese Vor¬
dersätze wird es deutlich, wie es gemeint ist, wenn er nun sagt, das eigentliche



*) Novalis' Schriften, II, 4? f.; vgl. überhaupt R. Haym, a. a. O,, S. 32S—390,
bes. S. 350 und 377. Haym, a. a. O, S. 365 und 363.
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[0314] Leben, Licht und Kraft erschien, eine Offenbarung der Gottheit gefühlt , ihre ordnende Schöpferkraft und Wunderthaten angeschaut habe. Da sehen wir wieder des Dichters Verständniß für die aesthetische Seite auch der Religion, für das Walten der Phantasie in den religiösen Vorstellungen, für den Einfluß der Natur auf Weckung und Gestaltung des religiösen Bewußtseins, kurz sür die Poesie in den religiösen Anschauungsformen. Und diese Ansicht wandte Herder auch auf die Bibel an. Er war einer der Ersten, die dem deutschen Geiste die aesthetische Erhabenheit des alten Testaments wiederum erschlossen; nicht minder wies er z. B. auf die aesthetische Schönheit des vierten Evange¬ liums hin. In der mosaischen Erzählung von der Schöpfung der Welt erkannte er — Wahrheit, aber nicht historische und naturgeschichtliche, sondern religiöse, und gleichzeitig erkannte er darin — Poesie, aber nicht spielende und leere, sondern ernste und inhaltvolle. Er fand darin Naturbilder und Sinnbilder höherer Ideen, nicht geschichtlich Wirkliches, aber religiös und ideal Wahres. Jn's Maßlose gesteigert und übertrieben erscheint nun die genialische Welt¬ anschauung in der sogenannten Romantik, und in dieser begegnet uns nicht blos ein lebendiges Ineinandergreifen der Dichtkunst und der Religion, sondern geradezu eine Verwischung der Grenzen beider. Für unsere Frage kommt von den Romantikern besonders Novalis in Betracht. Vorzüglich seine geistlichen Lieder haben ihm den Ruf eines herzlich und innig frommen Christen ver¬ schafft, und es ist uicht zu verkennen, daß sich in denselben geradezu ein zartes persönliches Verhältniß zu Christus ausspricht, in dem er die Quelle des Trostes und des Friedens findet. Nur darf man nicht übersehen, daß seine Religio¬ sität im Ganzen doch pantheistisch gefärbt ist, und namentlich, daß er einen Unterschied zwischen Religion und Poesie eigentlich uicht kennt. Zu seiner Charakteristik im Allgemeinen dient, daß er selbst sagt: das Beste ist überall die Stimmung"); nicht bestimmte Empfindungen und Gefühle, sondern Stim¬ mungen und unbestimmte Empfindungen machen glücklich. Die Nacht, die heilige geheimnißvolle Nacht ist das Bild des Todes, des mystischen Todes in dem Unendlichen, und dieser Tod oder dieses Sterben ist Religion. Ferner ist be¬ zeichnend, daß er selbst als das vorzüglichste Element seiner Existenz die Phan¬ tasie bezeichnet, durch welche er sich auch in der Bildung seiner Religionsansicht leiten lasse; daß er sogar sagt, wie es eine Logik gebe, so gelte es, auch eine Phantastik aufzustellen.**) Die Physik erklärt er für die Lehre von der Ein¬ bildungskraft; für den Schlüssel der Welt aber: das Herz. Durch diese Vor¬ dersätze wird es deutlich, wie es gemeint ist, wenn er nun sagt, das eigentliche *) Novalis' Schriften, II, 4? f.; vgl. überhaupt R. Haym, a. a. O,, S. 32S—390, bes. S. 350 und 377. Haym, a. a. O, S. 365 und 363.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/314>, abgerufen am 27.08.2024.