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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Nationalität im Süden, wenn sich anch im Laufe der Zeit durch eine Gegen¬
bewegung die Verluste zum Theil wieder ausgeglichen haben. Aber im Uebrigen
bildet doch bei dem heutigen Umfange des deutschen Reichs der Komplex des
deutschen Mittelgebirges ein nahezu geschlossenes Ganze und erfüllt die Bedin¬
gungen, die man von einer natürlichen Begrenzung verlangen darf. Und weist
nicht, abgesehen von der Donau, der parallele Lauf der Hauptströme im Gegen¬
satz zu den Nachbarländern auf eine gewisse gleichförmige Gestaltung der Ober¬
fläche hin?

Von den sonstigen im ersten Kapitel niedergelegten Beobachtungen ist noch
manche anziehend und beachtenswerth: So erscheint dem Franzosen die deutsche
Sprache als das große Band der verschiedenen Stämme; sie zeichne sich durch
Schönheit, vollen, mächtigen Klang aus, und wenn sie auch den romanischen
Zungen rauh erscheine und zu viel Gaumenlaute besitze, so erhalte sie doch im
Munde der deutschen Dichter eine große Anmuth und zeige sich durch ihre
Biegsamkeit zum Ausdruck der feinsten Schattirungen des Gedankens fähig;
und Kraft und Energie für heftigere Gemüthsbewegungen wohne ihr in ebenso
hohem Maße inne wie Zartheit und Weichheit für die sanfteren Seelenstim¬
mungen. Einen großen Vorzug derselben, nämlich die Möglichkeit, Worte neu
zu schaffen und je nach Bedarf umzugestalten und nach Belieben zu gruppiren,
hält aber Reclus zugleich für einen wesentlichen Mangel der Sprache, da es
ihr in Folge dessen an Bestimmtheit, Klarheit und Präzision gebreche. Neben
der einheitlichen Sprache aber hält, wie Reclus hervorhebt, die deutschen
Stämme ein anderes, gleich festes Band zusammen: der eigenthümliche deutsche
Geist, der in den Vertretern der verschiedensten Stämme leicht erkennbar her¬
vortritt; auch in Bezug auf Sitten, Gewohnheiten und Denkweise beständen
zwischen den Friesen und Bayern, Preußen und Schwaben größere Ähnlich¬
keiten als innerhalb der französischen Republik zwischen Bretonen und Proven-
yalen, Normannen und Basken -- wobei Reclus freilich vergessen zu haben
scheint, daß die Bewohner der Bretagne unverfälschte, nicht romanisirte Kelten
sind, die sich geflissentlich von einer Berührung mit den Franzosen fern halten,
während die Basken nicht einmal dem indogermanischen Stamm, geschweige
denn der französischen Nationalität angehören. Aber dabei sei der besondere
Charakter der einzelnen deutschen Stämme nicht verwischt, sodaß bei aller Ge¬
meinsamkeit in den Hauptzügen der Oesterreicher wie der Friese, der Preuße
wie der Sachse, der Hesse wie der Schwabe als ein eigenartiges Wesen be¬
trachtet werden müsse. Aber welcher unter den zahlreichen Volkstypen dürfe
nun wohl als der eigentliche Repräsentant deutschen Wesens betrachtet werden?
Jedenfalls nicht der Preuße, der trotz seines politischen Uebergewichts und seines
zum Theil schon mit Erfolg gekrönten Strebens, seine militärische Organisation


Nationalität im Süden, wenn sich anch im Laufe der Zeit durch eine Gegen¬
bewegung die Verluste zum Theil wieder ausgeglichen haben. Aber im Uebrigen
bildet doch bei dem heutigen Umfange des deutschen Reichs der Komplex des
deutschen Mittelgebirges ein nahezu geschlossenes Ganze und erfüllt die Bedin¬
gungen, die man von einer natürlichen Begrenzung verlangen darf. Und weist
nicht, abgesehen von der Donau, der parallele Lauf der Hauptströme im Gegen¬
satz zu den Nachbarländern auf eine gewisse gleichförmige Gestaltung der Ober¬
fläche hin?

Von den sonstigen im ersten Kapitel niedergelegten Beobachtungen ist noch
manche anziehend und beachtenswerth: So erscheint dem Franzosen die deutsche
Sprache als das große Band der verschiedenen Stämme; sie zeichne sich durch
Schönheit, vollen, mächtigen Klang aus, und wenn sie auch den romanischen
Zungen rauh erscheine und zu viel Gaumenlaute besitze, so erhalte sie doch im
Munde der deutschen Dichter eine große Anmuth und zeige sich durch ihre
Biegsamkeit zum Ausdruck der feinsten Schattirungen des Gedankens fähig;
und Kraft und Energie für heftigere Gemüthsbewegungen wohne ihr in ebenso
hohem Maße inne wie Zartheit und Weichheit für die sanfteren Seelenstim¬
mungen. Einen großen Vorzug derselben, nämlich die Möglichkeit, Worte neu
zu schaffen und je nach Bedarf umzugestalten und nach Belieben zu gruppiren,
hält aber Reclus zugleich für einen wesentlichen Mangel der Sprache, da es
ihr in Folge dessen an Bestimmtheit, Klarheit und Präzision gebreche. Neben
der einheitlichen Sprache aber hält, wie Reclus hervorhebt, die deutschen
Stämme ein anderes, gleich festes Band zusammen: der eigenthümliche deutsche
Geist, der in den Vertretern der verschiedensten Stämme leicht erkennbar her¬
vortritt; auch in Bezug auf Sitten, Gewohnheiten und Denkweise beständen
zwischen den Friesen und Bayern, Preußen und Schwaben größere Ähnlich¬
keiten als innerhalb der französischen Republik zwischen Bretonen und Proven-
yalen, Normannen und Basken — wobei Reclus freilich vergessen zu haben
scheint, daß die Bewohner der Bretagne unverfälschte, nicht romanisirte Kelten
sind, die sich geflissentlich von einer Berührung mit den Franzosen fern halten,
während die Basken nicht einmal dem indogermanischen Stamm, geschweige
denn der französischen Nationalität angehören. Aber dabei sei der besondere
Charakter der einzelnen deutschen Stämme nicht verwischt, sodaß bei aller Ge¬
meinsamkeit in den Hauptzügen der Oesterreicher wie der Friese, der Preuße
wie der Sachse, der Hesse wie der Schwabe als ein eigenartiges Wesen be¬
trachtet werden müsse. Aber welcher unter den zahlreichen Volkstypen dürfe
nun wohl als der eigentliche Repräsentant deutschen Wesens betrachtet werden?
Jedenfalls nicht der Preuße, der trotz seines politischen Uebergewichts und seines
zum Theil schon mit Erfolg gekrönten Strebens, seine militärische Organisation


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[0272] Nationalität im Süden, wenn sich anch im Laufe der Zeit durch eine Gegen¬ bewegung die Verluste zum Theil wieder ausgeglichen haben. Aber im Uebrigen bildet doch bei dem heutigen Umfange des deutschen Reichs der Komplex des deutschen Mittelgebirges ein nahezu geschlossenes Ganze und erfüllt die Bedin¬ gungen, die man von einer natürlichen Begrenzung verlangen darf. Und weist nicht, abgesehen von der Donau, der parallele Lauf der Hauptströme im Gegen¬ satz zu den Nachbarländern auf eine gewisse gleichförmige Gestaltung der Ober¬ fläche hin? Von den sonstigen im ersten Kapitel niedergelegten Beobachtungen ist noch manche anziehend und beachtenswerth: So erscheint dem Franzosen die deutsche Sprache als das große Band der verschiedenen Stämme; sie zeichne sich durch Schönheit, vollen, mächtigen Klang aus, und wenn sie auch den romanischen Zungen rauh erscheine und zu viel Gaumenlaute besitze, so erhalte sie doch im Munde der deutschen Dichter eine große Anmuth und zeige sich durch ihre Biegsamkeit zum Ausdruck der feinsten Schattirungen des Gedankens fähig; und Kraft und Energie für heftigere Gemüthsbewegungen wohne ihr in ebenso hohem Maße inne wie Zartheit und Weichheit für die sanfteren Seelenstim¬ mungen. Einen großen Vorzug derselben, nämlich die Möglichkeit, Worte neu zu schaffen und je nach Bedarf umzugestalten und nach Belieben zu gruppiren, hält aber Reclus zugleich für einen wesentlichen Mangel der Sprache, da es ihr in Folge dessen an Bestimmtheit, Klarheit und Präzision gebreche. Neben der einheitlichen Sprache aber hält, wie Reclus hervorhebt, die deutschen Stämme ein anderes, gleich festes Band zusammen: der eigenthümliche deutsche Geist, der in den Vertretern der verschiedensten Stämme leicht erkennbar her¬ vortritt; auch in Bezug auf Sitten, Gewohnheiten und Denkweise beständen zwischen den Friesen und Bayern, Preußen und Schwaben größere Ähnlich¬ keiten als innerhalb der französischen Republik zwischen Bretonen und Proven- yalen, Normannen und Basken — wobei Reclus freilich vergessen zu haben scheint, daß die Bewohner der Bretagne unverfälschte, nicht romanisirte Kelten sind, die sich geflissentlich von einer Berührung mit den Franzosen fern halten, während die Basken nicht einmal dem indogermanischen Stamm, geschweige denn der französischen Nationalität angehören. Aber dabei sei der besondere Charakter der einzelnen deutschen Stämme nicht verwischt, sodaß bei aller Ge¬ meinsamkeit in den Hauptzügen der Oesterreicher wie der Friese, der Preuße wie der Sachse, der Hesse wie der Schwabe als ein eigenartiges Wesen be¬ trachtet werden müsse. Aber welcher unter den zahlreichen Volkstypen dürfe nun wohl als der eigentliche Repräsentant deutschen Wesens betrachtet werden? Jedenfalls nicht der Preuße, der trotz seines politischen Uebergewichts und seines zum Theil schon mit Erfolg gekrönten Strebens, seine militärische Organisation

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/272>, abgerufen am 23.07.2024.