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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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unserer aus dem Richter- und Advokatsnstande hervorgegangenen Volksvertreter
mehr oder minder klar und mehr oder minder eingestandenermaßen im Auge
hat, wäre als ein rein juristisch eingerichtetes, die Alleinherrschaft der Juristen
darstellendes Gemeinwesen das gerade Gegentheil von dem, was die Befür¬
worter desselben in den Parlamenten und in der Presse zu erstreben sich ein¬
reden oder vorgeben. Er wäre die Unfreiheit und die Lahmlegung aller der
Mächte und Klassen im Staate, die in diesem neben dem Juristenstande existiren
und zur Entwickelung und Geltendmachung ihrer Interessen so gut das Recht
haben wie jener. Das Streben nach dem Rechts- oder richtiger dem Juristen¬
staate ist also um nichts besser und gerechter als das der Theologen nach einem
Staate, in dem durchaus nach theologischen Gesichtspunkten regiert wird, als
die Bemühungen Rom's, die Kirche zur Herrscherin auf politischem Gebiete zu
erheben, als etwaige Absichten, einen Staat zu schaffen, in welchem der Feu¬
dalherr oder der Großkaufmann zu bestimmen hätte, was zu thun oder zu lassen.

Blicken wir auf die letzten anderthalb Jahrzehnte zurück, so sehen wir,
daß die Anschauungen und das Verfahren des juristischen Elements in unseren
Parlamenten nicht nnr den Gang der Gesetzgebung zu sehr bestimmten, sondern
auch indirekt hemmend und hindernd die Aktion des Staates nach anßen hin
beeinflußten, indem dieses Element die hier in Betracht kommenden Fragen
und Verhältnisse vom privatrechtlichen Staudpunkte aus beurtheilte und be¬
handeln wollte.

Erinnern wir uns der Schleswig-holsteinischen Angelegenheit, wo nach der
Meinung von herzoglichen Advokaten, welche den Minister spielten, nicht die
preußische Armee, sondern das Augustenburgische Recht, d. h. ein altes oliven¬
grünes Pergament, vor dem nicht einmal die Würmer Respekt gehabt, "die
Düppelschanzen genommen hatte", und wo der preußischen Fortschrittspartei
dieses Recht höher stand als das Recht Deutschland's auf Zusammenfassung
seiner Kräfte. Denken wir daran zurück, wie es Maßregeln zur Zurückdrän¬
gung Rom's zu treffen galt, und wie dabei selbst nationalliberale Politiker*)
sich sträubten, "mit dem zweiten Paragraphen des Jesuitengesetzes das Funda¬
ment des kaum betretenen deutschen Rechtsstaates zu durchbrechen". Entsinne
man sich der Pedanterie, die sich gegen die Verlängerung des Provisoriums in
den Reichslanden erklärte, weil sie der gesetzlichen Zwangsform Alles und Jedes
unterwerfen wollte.

Vergegenwärtige man sich endlich die letzten Debatten der Kommission, die
das Gesetz gegen die Umtriebe der Sozialdemokraten berieth. Einmüthig wurde
hier anerkannt, daß dieselben eine schwere Gefahr heraufbeschworen hatten, und



*) Bgl. "Die Gegenwart", II. Band, Ur. 24, S. 2.

unserer aus dem Richter- und Advokatsnstande hervorgegangenen Volksvertreter
mehr oder minder klar und mehr oder minder eingestandenermaßen im Auge
hat, wäre als ein rein juristisch eingerichtetes, die Alleinherrschaft der Juristen
darstellendes Gemeinwesen das gerade Gegentheil von dem, was die Befür¬
worter desselben in den Parlamenten und in der Presse zu erstreben sich ein¬
reden oder vorgeben. Er wäre die Unfreiheit und die Lahmlegung aller der
Mächte und Klassen im Staate, die in diesem neben dem Juristenstande existiren
und zur Entwickelung und Geltendmachung ihrer Interessen so gut das Recht
haben wie jener. Das Streben nach dem Rechts- oder richtiger dem Juristen¬
staate ist also um nichts besser und gerechter als das der Theologen nach einem
Staate, in dem durchaus nach theologischen Gesichtspunkten regiert wird, als
die Bemühungen Rom's, die Kirche zur Herrscherin auf politischem Gebiete zu
erheben, als etwaige Absichten, einen Staat zu schaffen, in welchem der Feu¬
dalherr oder der Großkaufmann zu bestimmen hätte, was zu thun oder zu lassen.

Blicken wir auf die letzten anderthalb Jahrzehnte zurück, so sehen wir,
daß die Anschauungen und das Verfahren des juristischen Elements in unseren
Parlamenten nicht nnr den Gang der Gesetzgebung zu sehr bestimmten, sondern
auch indirekt hemmend und hindernd die Aktion des Staates nach anßen hin
beeinflußten, indem dieses Element die hier in Betracht kommenden Fragen
und Verhältnisse vom privatrechtlichen Staudpunkte aus beurtheilte und be¬
handeln wollte.

Erinnern wir uns der Schleswig-holsteinischen Angelegenheit, wo nach der
Meinung von herzoglichen Advokaten, welche den Minister spielten, nicht die
preußische Armee, sondern das Augustenburgische Recht, d. h. ein altes oliven¬
grünes Pergament, vor dem nicht einmal die Würmer Respekt gehabt, „die
Düppelschanzen genommen hatte", und wo der preußischen Fortschrittspartei
dieses Recht höher stand als das Recht Deutschland's auf Zusammenfassung
seiner Kräfte. Denken wir daran zurück, wie es Maßregeln zur Zurückdrän¬
gung Rom's zu treffen galt, und wie dabei selbst nationalliberale Politiker*)
sich sträubten, „mit dem zweiten Paragraphen des Jesuitengesetzes das Funda¬
ment des kaum betretenen deutschen Rechtsstaates zu durchbrechen". Entsinne
man sich der Pedanterie, die sich gegen die Verlängerung des Provisoriums in
den Reichslanden erklärte, weil sie der gesetzlichen Zwangsform Alles und Jedes
unterwerfen wollte.

Vergegenwärtige man sich endlich die letzten Debatten der Kommission, die
das Gesetz gegen die Umtriebe der Sozialdemokraten berieth. Einmüthig wurde
hier anerkannt, daß dieselben eine schwere Gefahr heraufbeschworen hatten, und



*) Bgl. „Die Gegenwart", II. Band, Ur. 24, S. 2.
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[0254] unserer aus dem Richter- und Advokatsnstande hervorgegangenen Volksvertreter mehr oder minder klar und mehr oder minder eingestandenermaßen im Auge hat, wäre als ein rein juristisch eingerichtetes, die Alleinherrschaft der Juristen darstellendes Gemeinwesen das gerade Gegentheil von dem, was die Befür¬ worter desselben in den Parlamenten und in der Presse zu erstreben sich ein¬ reden oder vorgeben. Er wäre die Unfreiheit und die Lahmlegung aller der Mächte und Klassen im Staate, die in diesem neben dem Juristenstande existiren und zur Entwickelung und Geltendmachung ihrer Interessen so gut das Recht haben wie jener. Das Streben nach dem Rechts- oder richtiger dem Juristen¬ staate ist also um nichts besser und gerechter als das der Theologen nach einem Staate, in dem durchaus nach theologischen Gesichtspunkten regiert wird, als die Bemühungen Rom's, die Kirche zur Herrscherin auf politischem Gebiete zu erheben, als etwaige Absichten, einen Staat zu schaffen, in welchem der Feu¬ dalherr oder der Großkaufmann zu bestimmen hätte, was zu thun oder zu lassen. Blicken wir auf die letzten anderthalb Jahrzehnte zurück, so sehen wir, daß die Anschauungen und das Verfahren des juristischen Elements in unseren Parlamenten nicht nnr den Gang der Gesetzgebung zu sehr bestimmten, sondern auch indirekt hemmend und hindernd die Aktion des Staates nach anßen hin beeinflußten, indem dieses Element die hier in Betracht kommenden Fragen und Verhältnisse vom privatrechtlichen Staudpunkte aus beurtheilte und be¬ handeln wollte. Erinnern wir uns der Schleswig-holsteinischen Angelegenheit, wo nach der Meinung von herzoglichen Advokaten, welche den Minister spielten, nicht die preußische Armee, sondern das Augustenburgische Recht, d. h. ein altes oliven¬ grünes Pergament, vor dem nicht einmal die Würmer Respekt gehabt, „die Düppelschanzen genommen hatte", und wo der preußischen Fortschrittspartei dieses Recht höher stand als das Recht Deutschland's auf Zusammenfassung seiner Kräfte. Denken wir daran zurück, wie es Maßregeln zur Zurückdrän¬ gung Rom's zu treffen galt, und wie dabei selbst nationalliberale Politiker*) sich sträubten, „mit dem zweiten Paragraphen des Jesuitengesetzes das Funda¬ ment des kaum betretenen deutschen Rechtsstaates zu durchbrechen". Entsinne man sich der Pedanterie, die sich gegen die Verlängerung des Provisoriums in den Reichslanden erklärte, weil sie der gesetzlichen Zwangsform Alles und Jedes unterwerfen wollte. Vergegenwärtige man sich endlich die letzten Debatten der Kommission, die das Gesetz gegen die Umtriebe der Sozialdemokraten berieth. Einmüthig wurde hier anerkannt, daß dieselben eine schwere Gefahr heraufbeschworen hatten, und *) Bgl. „Die Gegenwart", II. Band, Ur. 24, S. 2.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/254>, abgerufen am 01.07.2024.