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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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der Städte nach Prag sollte dann die kaiserliche Bestätigung dieses Abkommens
einholen.*) Indessen ehe diese noch erfolgen konnte, wurde Basta durch eine
Meuterei seiner unbezahlten Söldner zur Räumung seiner festen Stellung bei
Eperies und zum Rückzüge nach Preßburg gezwungen (Anfang April 1605),
während fast ganz Ungarn den Insurgenten zufiel. Da ergaben sich auch
Bartfeld und Zehen wieder an Bocskay, der um dieselbe Zeit auf dem Land¬
tage in Szerencs (Konütat Zemplin) als Fürst von Siebenbürgen und Ober-
Uugarn anerkannt wurde.

Erst der Friede, welcher am 23. Juni 1606 mit dem Erzherzog Matthias
als Stellvertreter des Kaisers in Wien zu Stande kam und an Bocskay außer
Siebenbürgen auch das gesammte nordöstliche Ungarn als kaiserliches Lehen
überließ, machte der Bedrängniß der deutschen Städte Ober-Ungarn's vorläufig
ein Ende. Nur Kaschau fiel an Bocskay, die übrigen blieben den Habsbur-
gern, aber auch ihnen wie dem Adel des kaiserlichen Ungarn wurde volle Frei¬
heit der Konfession zugestanden und so der heillose Zwiespalt zwischen der
Pflicht gegen den Landesherrn und der Treue gegen ihren Glauben aufgehoben.

Man wird den Schicksalen jener Städte eine warme Theilnahme nicht
versagen können. War die Lage evangelischer Gemeinden schon im deutsch¬
slavischen Oesterreich der steigenden Fluth der katholischen Reaktion gegenüber
oft wahrhaft entsetzlich, hier in Ungarn an den Grenzen der Zivilisation und
Barbarei war sie doch am schrecklichsten. Denn hier hatten die deutscheu
Städte nur die Wahl zwischen Vernichtung ihres gesammten religiösen Lebens
sammt ihrer fröhlich aufblühenden Bildung, wie sie sich unter dem Einflüsse des
deutschen Protestantismus kräftig entfaltet hatte, und der Unterwerfung unter
eine fremde Gewalt, die ebenso durch ihre nationalen wie durch ihre ständischen
Tendenzen dem deutschen Bürgerthume feindlich war. Denn der Kampf um
die Freiheit Ungarn's war zugleich auch ein Kampf um die schrankenlose Un¬
abhängigkeit und Herrschaft des magyarischen Adels, der sich stets auf die
ohnehin ihm -stammverwandten Türken stützte und mit ihnen die engsten Be¬
ziehungen unterhielt. Wenn die deutsch-evangelischen Städte in dieser wahrhaft
schrecklichen Alternative sich der Partei anschlössen, welche wenigstens ihren
Glauben theilte und schützte, so wird niemand sie deshalb anklagen können.
Nirgends aber tritt das selbstmörderische Beginnen der Habsburgischen Restau¬
rationspolitik in grellere Beleuchtung als hier. Alle Interessen des Staates
geboten die Schonung des neueutwickelten kirchlichen Lebens dieser Gemeinden,
die die festesten Stützen der kaiserlichen Herrschaft in Ungarn hätten sein können
gegenüber den Türken wie gegenüber dem magyarischen Adel. Nur die sema-



*) Kopien der Aktenstücke im Dresdner Archiv.

der Städte nach Prag sollte dann die kaiserliche Bestätigung dieses Abkommens
einholen.*) Indessen ehe diese noch erfolgen konnte, wurde Basta durch eine
Meuterei seiner unbezahlten Söldner zur Räumung seiner festen Stellung bei
Eperies und zum Rückzüge nach Preßburg gezwungen (Anfang April 1605),
während fast ganz Ungarn den Insurgenten zufiel. Da ergaben sich auch
Bartfeld und Zehen wieder an Bocskay, der um dieselbe Zeit auf dem Land¬
tage in Szerencs (Konütat Zemplin) als Fürst von Siebenbürgen und Ober-
Uugarn anerkannt wurde.

Erst der Friede, welcher am 23. Juni 1606 mit dem Erzherzog Matthias
als Stellvertreter des Kaisers in Wien zu Stande kam und an Bocskay außer
Siebenbürgen auch das gesammte nordöstliche Ungarn als kaiserliches Lehen
überließ, machte der Bedrängniß der deutschen Städte Ober-Ungarn's vorläufig
ein Ende. Nur Kaschau fiel an Bocskay, die übrigen blieben den Habsbur-
gern, aber auch ihnen wie dem Adel des kaiserlichen Ungarn wurde volle Frei¬
heit der Konfession zugestanden und so der heillose Zwiespalt zwischen der
Pflicht gegen den Landesherrn und der Treue gegen ihren Glauben aufgehoben.

Man wird den Schicksalen jener Städte eine warme Theilnahme nicht
versagen können. War die Lage evangelischer Gemeinden schon im deutsch¬
slavischen Oesterreich der steigenden Fluth der katholischen Reaktion gegenüber
oft wahrhaft entsetzlich, hier in Ungarn an den Grenzen der Zivilisation und
Barbarei war sie doch am schrecklichsten. Denn hier hatten die deutscheu
Städte nur die Wahl zwischen Vernichtung ihres gesammten religiösen Lebens
sammt ihrer fröhlich aufblühenden Bildung, wie sie sich unter dem Einflüsse des
deutschen Protestantismus kräftig entfaltet hatte, und der Unterwerfung unter
eine fremde Gewalt, die ebenso durch ihre nationalen wie durch ihre ständischen
Tendenzen dem deutschen Bürgerthume feindlich war. Denn der Kampf um
die Freiheit Ungarn's war zugleich auch ein Kampf um die schrankenlose Un¬
abhängigkeit und Herrschaft des magyarischen Adels, der sich stets auf die
ohnehin ihm -stammverwandten Türken stützte und mit ihnen die engsten Be¬
ziehungen unterhielt. Wenn die deutsch-evangelischen Städte in dieser wahrhaft
schrecklichen Alternative sich der Partei anschlössen, welche wenigstens ihren
Glauben theilte und schützte, so wird niemand sie deshalb anklagen können.
Nirgends aber tritt das selbstmörderische Beginnen der Habsburgischen Restau¬
rationspolitik in grellere Beleuchtung als hier. Alle Interessen des Staates
geboten die Schonung des neueutwickelten kirchlichen Lebens dieser Gemeinden,
die die festesten Stützen der kaiserlichen Herrschaft in Ungarn hätten sein können
gegenüber den Türken wie gegenüber dem magyarischen Adel. Nur die sema-



*) Kopien der Aktenstücke im Dresdner Archiv.
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[0236] der Städte nach Prag sollte dann die kaiserliche Bestätigung dieses Abkommens einholen.*) Indessen ehe diese noch erfolgen konnte, wurde Basta durch eine Meuterei seiner unbezahlten Söldner zur Räumung seiner festen Stellung bei Eperies und zum Rückzüge nach Preßburg gezwungen (Anfang April 1605), während fast ganz Ungarn den Insurgenten zufiel. Da ergaben sich auch Bartfeld und Zehen wieder an Bocskay, der um dieselbe Zeit auf dem Land¬ tage in Szerencs (Konütat Zemplin) als Fürst von Siebenbürgen und Ober- Uugarn anerkannt wurde. Erst der Friede, welcher am 23. Juni 1606 mit dem Erzherzog Matthias als Stellvertreter des Kaisers in Wien zu Stande kam und an Bocskay außer Siebenbürgen auch das gesammte nordöstliche Ungarn als kaiserliches Lehen überließ, machte der Bedrängniß der deutschen Städte Ober-Ungarn's vorläufig ein Ende. Nur Kaschau fiel an Bocskay, die übrigen blieben den Habsbur- gern, aber auch ihnen wie dem Adel des kaiserlichen Ungarn wurde volle Frei¬ heit der Konfession zugestanden und so der heillose Zwiespalt zwischen der Pflicht gegen den Landesherrn und der Treue gegen ihren Glauben aufgehoben. Man wird den Schicksalen jener Städte eine warme Theilnahme nicht versagen können. War die Lage evangelischer Gemeinden schon im deutsch¬ slavischen Oesterreich der steigenden Fluth der katholischen Reaktion gegenüber oft wahrhaft entsetzlich, hier in Ungarn an den Grenzen der Zivilisation und Barbarei war sie doch am schrecklichsten. Denn hier hatten die deutscheu Städte nur die Wahl zwischen Vernichtung ihres gesammten religiösen Lebens sammt ihrer fröhlich aufblühenden Bildung, wie sie sich unter dem Einflüsse des deutschen Protestantismus kräftig entfaltet hatte, und der Unterwerfung unter eine fremde Gewalt, die ebenso durch ihre nationalen wie durch ihre ständischen Tendenzen dem deutschen Bürgerthume feindlich war. Denn der Kampf um die Freiheit Ungarn's war zugleich auch ein Kampf um die schrankenlose Un¬ abhängigkeit und Herrschaft des magyarischen Adels, der sich stets auf die ohnehin ihm -stammverwandten Türken stützte und mit ihnen die engsten Be¬ ziehungen unterhielt. Wenn die deutsch-evangelischen Städte in dieser wahrhaft schrecklichen Alternative sich der Partei anschlössen, welche wenigstens ihren Glauben theilte und schützte, so wird niemand sie deshalb anklagen können. Nirgends aber tritt das selbstmörderische Beginnen der Habsburgischen Restau¬ rationspolitik in grellere Beleuchtung als hier. Alle Interessen des Staates geboten die Schonung des neueutwickelten kirchlichen Lebens dieser Gemeinden, die die festesten Stützen der kaiserlichen Herrschaft in Ungarn hätten sein können gegenüber den Türken wie gegenüber dem magyarischen Adel. Nur die sema- *) Kopien der Aktenstücke im Dresdner Archiv.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/236>, abgerufen am 23.07.2024.