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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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glauben, nicht viel dagegen haben. Die Form ist nicht wesentlich, ja sie kann
gleichgiltig erscheinen, wenn nur die Sache erreicht wird. Die Genossenschafts¬
gerichte, welche die Würde einer Korporation erhalten und erhöhen, die Ehren¬
gerichte unserer Offiziere, ähnliche Einrichtungen bei den früheren Zünften --
alles das kann hier Anhaltspunkte und Fingerzeige geben.

Zum Schlüsse sei noch darauf aufmerksam gemacht, daß unsere Geschäfts¬
ordnungen sämmtlich nach französischen und belgischen Vorbildern eingerichtet
sind. In der Zeit, wo sie entstanden (seit 1848), wußte man von der engli¬
schen mit ihrem Sergeant at Arms, ihrem Kärzer, ihrer hohen Karzergebühr
u. a. d. noch nichts. Die Engländer aber finden das nicht despektirlich. Nach
altem Herkommen und Gesetz darf ein Parlamentsmitglied für das von ihm
als solchem Gesagte nicht außerhalb des Parlaments zur Rechenschaft gezogen
werden, aber es ist dem Hause, dem es angehört, dafür verantwortlich, dieses
übt die Strafgewalt.*) In vielen Fällen wurden früher Parlamentsmitglieder
wegen beleidigender Ausdrücke, deren sie sich im Hause bedient hatten, zur
Rechenschaft gezogen und gestraft, einige durch Verweise, andere durch Ein-
sperrung, wieder andere (im Unterhause) durch Ausstoßung. In neuerer Zeit
war man bei Beurtheilung von Ausschreitungen in Rede und Gegenrede weniger
streng. Mitglieder, die den Anstand verletzten, wurden zur Ordnung gerufen
und gaben in der Regel durch Erklärung oder Entschuldigung dem Hause Ge¬
nugthuung. Hütet der Abgeordnete sich vor Verstößen gegen die dem letzteren
schuldige Ehrerbietung, so darf er in der Diskussion sagen, was ihm beliebt,
mag es selbst den Ruf von Individuen beflecken. Aber dies beruht, auf
der Fiktion, daß die Debatten, die eigentlich nicht öffentlich sein
und nicht veröffentlicht werden sollen, wirklich geheim sind und
bleiben. May sagt hierüber: "Aeußerungen im Parlament werden -- so
fingirt man -- nirgendwo anders bekannt; sie können nur durch Privilegien¬
bruch verbreitet werden. Veröffentlicht ein Parlamentsmitglied seine Rede, so
wird der Druck als eine mit den Verhandlungen des Parlaments in keinem
Zusammenhange stehende Veröffentlichung angesehen." Diese Auslegung kann
keinem der Häuser als eine irrthümliche oder auf Täuschung berechnete vor¬
gehalten werden, da nach ihren eigenen Gesetzen die Veröffentlichung der
Debatten unzulässig ist. "Unmöglich aber kann ein Privilegium einer Handlung
zu gute kommen, welche selbst als Verstoß, als Privilegienbrnch gilt." Diese
Auffassung kam in zwei bemerkenswerthen Fällen zur Geltung, und zwar ein¬
mal im Oberhause und das zweite Mal im Hause der Gemeinen.



*) Vgl. May, das englische Parlament und sein Verfahren. Deutsch von Oppenheim.
S, 104 ff.

glauben, nicht viel dagegen haben. Die Form ist nicht wesentlich, ja sie kann
gleichgiltig erscheinen, wenn nur die Sache erreicht wird. Die Genossenschafts¬
gerichte, welche die Würde einer Korporation erhalten und erhöhen, die Ehren¬
gerichte unserer Offiziere, ähnliche Einrichtungen bei den früheren Zünften —
alles das kann hier Anhaltspunkte und Fingerzeige geben.

Zum Schlüsse sei noch darauf aufmerksam gemacht, daß unsere Geschäfts¬
ordnungen sämmtlich nach französischen und belgischen Vorbildern eingerichtet
sind. In der Zeit, wo sie entstanden (seit 1848), wußte man von der engli¬
schen mit ihrem Sergeant at Arms, ihrem Kärzer, ihrer hohen Karzergebühr
u. a. d. noch nichts. Die Engländer aber finden das nicht despektirlich. Nach
altem Herkommen und Gesetz darf ein Parlamentsmitglied für das von ihm
als solchem Gesagte nicht außerhalb des Parlaments zur Rechenschaft gezogen
werden, aber es ist dem Hause, dem es angehört, dafür verantwortlich, dieses
übt die Strafgewalt.*) In vielen Fällen wurden früher Parlamentsmitglieder
wegen beleidigender Ausdrücke, deren sie sich im Hause bedient hatten, zur
Rechenschaft gezogen und gestraft, einige durch Verweise, andere durch Ein-
sperrung, wieder andere (im Unterhause) durch Ausstoßung. In neuerer Zeit
war man bei Beurtheilung von Ausschreitungen in Rede und Gegenrede weniger
streng. Mitglieder, die den Anstand verletzten, wurden zur Ordnung gerufen
und gaben in der Regel durch Erklärung oder Entschuldigung dem Hause Ge¬
nugthuung. Hütet der Abgeordnete sich vor Verstößen gegen die dem letzteren
schuldige Ehrerbietung, so darf er in der Diskussion sagen, was ihm beliebt,
mag es selbst den Ruf von Individuen beflecken. Aber dies beruht, auf
der Fiktion, daß die Debatten, die eigentlich nicht öffentlich sein
und nicht veröffentlicht werden sollen, wirklich geheim sind und
bleiben. May sagt hierüber: „Aeußerungen im Parlament werden — so
fingirt man — nirgendwo anders bekannt; sie können nur durch Privilegien¬
bruch verbreitet werden. Veröffentlicht ein Parlamentsmitglied seine Rede, so
wird der Druck als eine mit den Verhandlungen des Parlaments in keinem
Zusammenhange stehende Veröffentlichung angesehen." Diese Auslegung kann
keinem der Häuser als eine irrthümliche oder auf Täuschung berechnete vor¬
gehalten werden, da nach ihren eigenen Gesetzen die Veröffentlichung der
Debatten unzulässig ist. „Unmöglich aber kann ein Privilegium einer Handlung
zu gute kommen, welche selbst als Verstoß, als Privilegienbrnch gilt." Diese
Auffassung kam in zwei bemerkenswerthen Fällen zur Geltung, und zwar ein¬
mal im Oberhause und das zweite Mal im Hause der Gemeinen.



*) Vgl. May, das englische Parlament und sein Verfahren. Deutsch von Oppenheim.
S, 104 ff.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/218>, abgerufen am 23.07.2024.