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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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reformation die Wegnahme der Kirchen, die Verjagung der evangelischen Geist¬
lichen stets die Maßregeln, die dem Zwange zum Uebertritt oder zur Aus¬
wanderung vorhergingen. Dem letzten Schritte konnte Kaschau jetzt entgegensehen.
Dagegen schien nur eine Hilfe zu bleiben: die Appellation an des Kaisers Maje¬
stät. So schickte denn die Bürgerschaft gemeinsam mit den andern vier Frei¬
städter eine Deputation nach Prag, bei welcher sich wie natürlich auch Johannes
Bocatius befand, um fernere Gewährung freier Religionsttbung zu erbitten.
Es war umsonst; fast fünf Monate verweilte die Deputation in der böhmischen
Hauptstadt, ohne trotz zahlreicher dringender Eingaben auch nur eine Audienz
bei Rudolf II. zu erlangen. Denn war der Monarch überhaupt damals äußerst
schwer zugänglich, so arbeiteten in diesem Falle feindliche Einflüsse direkt den
Kaschauern entgegen und erwirkten endlich einen Bescheid, der ihre Beschwerden
und Bitten thatsächlich abwies durch die Berufung auf die soeben dem Pre߬
burger Landtage aufgezwungene Wiederherstellung der Ketzergesetze König
Stephan's (s. oben S. 178).

Inzwischen hatte in der Heimat die Lage sich nur noch verschlimmert.
Zwar hatte Belgiojoso vom Aeußersten noch abgesehen, aber gereizt durch die
Abordnung der Gesandtschaft nach Prag hatte er jetzt auch Pfarrhof und
Schule nebst den dort aufgespeicherten Vorräthen okkupirt und dem Rathe,
von welchem in diesem Momente nur fünf oder sechs Mitglieder zur Stelle
waren, eine schriftliche Erklärung abgenöthigt, daß diese Güter bisher der
Stadt nicht zu Recht gehört hätten, und daß ein genaues Verzeichniß aller
Kirchengüter sowie alle städtischen Privilegien eingereicht werden sollten. Das
erste Versprechen war denn auch erfüllt worden; mit der Uebergabe der Pri¬
vilegien hatte man begreiflicherweise gezögert, so sehr auch der Gegner drängte.

So standen die Dinge, als im Juni Johannes Bocatius mit seinen Ge¬
nossen aus Prag zurückkehrte. Doch sie sollten noch Schlimmeres erleben;
nachdem ihre Kultusfreiheit vernichtet worden" sollte auch ihre Gewissensfreiheit
angetastet werden. Denn am 23. Juni forderte Belgiojoso, Richter und Rath
sollten insgesammt am Johannistage ihm das Geleit zur Kirche geben und
daselbst der (katholischen) Predigt beiwohnen. Doch die Kirche hatte er ihnen
wegnehmen, die Prediger verjagen können; seine jetzige Forderung stieß auf
unbeugsamen Widerstand. Es half nichts, daß er drohte, er werde ihre Geißel
und Peitsche sein, nichts, daß er wiederum die geladenen Geschütze ans dem
Hauptplatze auffahren ließ. Rath und Bürgerschaft beharrten fest auf ihrer
Weigerung. Und doch mußten sie den äußersten Maßregeln des erbitterten
Drängers entgegensehen, der mit allen Schreckmitteln und aller Gewalt die
geängstete Stadt zu beugen suchte. Es hieß, er habe einige Tausend Mann
ungarischer Irregulärer ("Hajduken") in der Nahe zusammengezogen, um hie


reformation die Wegnahme der Kirchen, die Verjagung der evangelischen Geist¬
lichen stets die Maßregeln, die dem Zwange zum Uebertritt oder zur Aus¬
wanderung vorhergingen. Dem letzten Schritte konnte Kaschau jetzt entgegensehen.
Dagegen schien nur eine Hilfe zu bleiben: die Appellation an des Kaisers Maje¬
stät. So schickte denn die Bürgerschaft gemeinsam mit den andern vier Frei¬
städter eine Deputation nach Prag, bei welcher sich wie natürlich auch Johannes
Bocatius befand, um fernere Gewährung freier Religionsttbung zu erbitten.
Es war umsonst; fast fünf Monate verweilte die Deputation in der böhmischen
Hauptstadt, ohne trotz zahlreicher dringender Eingaben auch nur eine Audienz
bei Rudolf II. zu erlangen. Denn war der Monarch überhaupt damals äußerst
schwer zugänglich, so arbeiteten in diesem Falle feindliche Einflüsse direkt den
Kaschauern entgegen und erwirkten endlich einen Bescheid, der ihre Beschwerden
und Bitten thatsächlich abwies durch die Berufung auf die soeben dem Pre߬
burger Landtage aufgezwungene Wiederherstellung der Ketzergesetze König
Stephan's (s. oben S. 178).

Inzwischen hatte in der Heimat die Lage sich nur noch verschlimmert.
Zwar hatte Belgiojoso vom Aeußersten noch abgesehen, aber gereizt durch die
Abordnung der Gesandtschaft nach Prag hatte er jetzt auch Pfarrhof und
Schule nebst den dort aufgespeicherten Vorräthen okkupirt und dem Rathe,
von welchem in diesem Momente nur fünf oder sechs Mitglieder zur Stelle
waren, eine schriftliche Erklärung abgenöthigt, daß diese Güter bisher der
Stadt nicht zu Recht gehört hätten, und daß ein genaues Verzeichniß aller
Kirchengüter sowie alle städtischen Privilegien eingereicht werden sollten. Das
erste Versprechen war denn auch erfüllt worden; mit der Uebergabe der Pri¬
vilegien hatte man begreiflicherweise gezögert, so sehr auch der Gegner drängte.

So standen die Dinge, als im Juni Johannes Bocatius mit seinen Ge¬
nossen aus Prag zurückkehrte. Doch sie sollten noch Schlimmeres erleben;
nachdem ihre Kultusfreiheit vernichtet worden« sollte auch ihre Gewissensfreiheit
angetastet werden. Denn am 23. Juni forderte Belgiojoso, Richter und Rath
sollten insgesammt am Johannistage ihm das Geleit zur Kirche geben und
daselbst der (katholischen) Predigt beiwohnen. Doch die Kirche hatte er ihnen
wegnehmen, die Prediger verjagen können; seine jetzige Forderung stieß auf
unbeugsamen Widerstand. Es half nichts, daß er drohte, er werde ihre Geißel
und Peitsche sein, nichts, daß er wiederum die geladenen Geschütze ans dem
Hauptplatze auffahren ließ. Rath und Bürgerschaft beharrten fest auf ihrer
Weigerung. Und doch mußten sie den äußersten Maßregeln des erbitterten
Drängers entgegensehen, der mit allen Schreckmitteln und aller Gewalt die
geängstete Stadt zu beugen suchte. Es hieß, er habe einige Tausend Mann
ungarischer Irregulärer („Hajduken") in der Nahe zusammengezogen, um hie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/194>, abgerufen am 06.02.2025.