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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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wicht fallenden Zollschntz. und so würden wir reichlich berechtigt gewesen sein,
Manchestermissionären, die uns das Evangelium der Großfabrikanten von
Aorkshire und Lancashire zu predigen kamen, den freundlichen Rath zu er¬
theilen : Habt die Gefälligkeit, mit eurer Belehrung bei euren Landsleuten an¬
zufangen.

Die Engländer denken nicht daran, die Manchesterdoktrin auf ihre Kolonien
anzuwenden. Diese Weisheit ist nur für die "Foreigners" erfunden. Trotz
alles Freihandelsgetöses der vierziger Jahre hat man die innerste Tendenz der
alten wirthschaftlichen Politik beibehalten, das Bestreben, der Manufaktur¬
kraft England's den Weltmarkt zu sichern, die fremde Konkurrenz
auszuschließen oder in ihrem Aufkeimen, wenn anch Anfaugs mit eignem Ver¬
luste, zu ersticken und das Ausland, namentlich aber die Kolonien, zu nöthigen,
Rohprodukte zu exportiren, um sie so durch allmähliche Verarmung zu gänz¬
licher Tributpflichtigkeit heranzuziehen.

Es handelte sich also darum, das Ausland und die Kolonien wirthschaft¬
lich abhängig von England zu erhalten, und dies war nur möglich, wenn man
dieselben zwingen konnte, in der wirthschaftlichen Produktion ans niedriger
Stufe zu verbleiben. Nun aber ist klar, daß eine Produktion, die mehr auf
den Umfang, die Masse ihrer Erzeugnisse angewiesen ist, stets niedriger steht,
als eine Produktion, die sich dnrch Ausbildung derjenigen Zweige ihrer Thätig¬
keit, welche große Summen aufgehäufter Arbeit beanspruchen, zu vertiefen
strebt und auf den inneren Werth das Hauptgewicht legt, und so that die
englische Handelspolitik alles, was geeignet war, das Ausland bei jener, der
Produktion von Rohstoffen zu erhalten und zu verhindern, daß es sich von
der Stufe der Agrikultur auf diejenige der Manufaktur erhob. Wo dies, wie
in Deutschland, nicht gelingen konnte, versäumte man englischerseits wenig¬
stens nichts, was sich zur Hemmung und Störung der Entwickelung der fremden
Fabrikthätigkeit bis zu einem Ueberwiegen über die englische empfahl. 1853
zerfloß ganz England über "Onkel Tom's Hütte" in Rührung, besonders
als die Verfasserin dieses Tendenzromanes Ehrengast der Herzogin v. Snther-
land gewesen. Aber King Cottvn ist ein mächtiger König. Acht Jahre nach
dieser allgemeinen Rührung war mau ganz anders gesinnt. "Heute findet man
unter zehn Engländern vielleicht einen, der es nicht fanatisch mit den Sklaven-
haltern hält, und der Eine hat wahrscheinlich nicht den Muth, seine Ansicht
auszusprechen. Der Grund ist einfach: man wünscht, daß die Südstaaten ihren
eignen Tarif haben, die Baumwolle nach England verkaufen und alle Fabrik-
und Manufaktnrwaaren aus England zollfrei einführen." Vgl. L. Bücher,
Bilder aus der Fremde, II. Bd. S. 155. Sehr erbaulich ist ebendaselbst
die Geschichte von Mr. Cobden's "Algierischer Baumwollen-, Land- und Ueber-


wicht fallenden Zollschntz. und so würden wir reichlich berechtigt gewesen sein,
Manchestermissionären, die uns das Evangelium der Großfabrikanten von
Aorkshire und Lancashire zu predigen kamen, den freundlichen Rath zu er¬
theilen : Habt die Gefälligkeit, mit eurer Belehrung bei euren Landsleuten an¬
zufangen.

Die Engländer denken nicht daran, die Manchesterdoktrin auf ihre Kolonien
anzuwenden. Diese Weisheit ist nur für die „Foreigners" erfunden. Trotz
alles Freihandelsgetöses der vierziger Jahre hat man die innerste Tendenz der
alten wirthschaftlichen Politik beibehalten, das Bestreben, der Manufaktur¬
kraft England's den Weltmarkt zu sichern, die fremde Konkurrenz
auszuschließen oder in ihrem Aufkeimen, wenn anch Anfaugs mit eignem Ver¬
luste, zu ersticken und das Ausland, namentlich aber die Kolonien, zu nöthigen,
Rohprodukte zu exportiren, um sie so durch allmähliche Verarmung zu gänz¬
licher Tributpflichtigkeit heranzuziehen.

Es handelte sich also darum, das Ausland und die Kolonien wirthschaft¬
lich abhängig von England zu erhalten, und dies war nur möglich, wenn man
dieselben zwingen konnte, in der wirthschaftlichen Produktion ans niedriger
Stufe zu verbleiben. Nun aber ist klar, daß eine Produktion, die mehr auf
den Umfang, die Masse ihrer Erzeugnisse angewiesen ist, stets niedriger steht,
als eine Produktion, die sich dnrch Ausbildung derjenigen Zweige ihrer Thätig¬
keit, welche große Summen aufgehäufter Arbeit beanspruchen, zu vertiefen
strebt und auf den inneren Werth das Hauptgewicht legt, und so that die
englische Handelspolitik alles, was geeignet war, das Ausland bei jener, der
Produktion von Rohstoffen zu erhalten und zu verhindern, daß es sich von
der Stufe der Agrikultur auf diejenige der Manufaktur erhob. Wo dies, wie
in Deutschland, nicht gelingen konnte, versäumte man englischerseits wenig¬
stens nichts, was sich zur Hemmung und Störung der Entwickelung der fremden
Fabrikthätigkeit bis zu einem Ueberwiegen über die englische empfahl. 1853
zerfloß ganz England über „Onkel Tom's Hütte" in Rührung, besonders
als die Verfasserin dieses Tendenzromanes Ehrengast der Herzogin v. Snther-
land gewesen. Aber King Cottvn ist ein mächtiger König. Acht Jahre nach
dieser allgemeinen Rührung war mau ganz anders gesinnt. „Heute findet man
unter zehn Engländern vielleicht einen, der es nicht fanatisch mit den Sklaven-
haltern hält, und der Eine hat wahrscheinlich nicht den Muth, seine Ansicht
auszusprechen. Der Grund ist einfach: man wünscht, daß die Südstaaten ihren
eignen Tarif haben, die Baumwolle nach England verkaufen und alle Fabrik-
und Manufaktnrwaaren aus England zollfrei einführen." Vgl. L. Bücher,
Bilder aus der Fremde, II. Bd. S. 155. Sehr erbaulich ist ebendaselbst
die Geschichte von Mr. Cobden's „Algierischer Baumwollen-, Land- und Ueber-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/19>, abgerufen am 29.09.2024.