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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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dem bestand der regste geistige Verkehr zwischen den fernen Kolonieen des
Karpathenlandes und den protestantischen Universitäten der alten Heimat; zahl¬
reiche junge Deutsch-Ungarn saßen zu den Füßen der Professoren von LÜitten-
berg, Jena und Tübingen, und nicht wenige Deutsche aus dem Reiche fanden
in Ungarn lohnende Stellung. Auch die seit der Unglücksschlacht von Mohäcs
(1526) kaum jemals endenden Türkenkriege störten diese Entwickelung wenig,
weil sie Ober-Ungarn selten direkt berührten. Aber schlechthin unerträglich
gestaltete sich die Lage der deutsch-protestantischen Städte, als sie in's Gedränge
geriethen zwischen der Habsburgischen Gewalt, die ihren evangelischen Glauben,
und der magyarischen Erhebung, welche ihre Nationalität bedrohte.

Seit der Katastrophe von MohÄs war Ungarn getheilt zwischen den
Türken, die den ganzen Kern des Landes -- seit 1541 als Paschalik Buda --
beherrschten, und den Habsburgern, welche den Westen und Norden mit schwan¬
kendem Kriegsglück behaupteten. Siebenbürgen, von beiden begehrt als mäch¬
tige Gebirgsfeste, war am Anfange des 17. Jahrhunderts nach langem Schwanken
den Habsburgern zugefallen. Die politische Spaltung zu vergrößern kam die
kirchliche Trennung hinzu. Der magyarische Adel im deutschen wie im tür¬
kischen Ungarn fiel der protestantischen, zumal kalvinischen Lehre zu in einem
Grade, daß die reformirte Konfession seitdem in Ungarn als "ungarischer
Glaube" (irmA^ar dir) bezeichnet wurde, die deutschen Städte Ober-Ungarn's
dem Lutherthume, das den Ungarn seitdem "der deutsche Glaube" (nüinst. Jut)
hieß. Bereits im Jahre 1549 verständigten sich die fünf königlichen Freistätte
Ober-Ungarn's: Kaschau, Eperies, Bartfeld, Zehen, Leutschau, die seit dem
15. Jahrhundert unter Kaschau's Leitung in festem Bunde vereinigt waren,
über ein gemeinschaftliches Glaubensbekenntniß; zehn Jahre später folgten die
sogenannten Bergstädte: Schemnitz, Kremnitz, Alt-Sohl, Neu-Sohl, Libethen,
Bries, Königsberg, Pukancz diesem Beispiele. Da Ferdinand I. und Maxi¬
milian II. weder die Neigung noch die Macht besaßen, in diesen schwerbedrohten
Grenzmarken eine starke Bewegung gewaltsam zu unterdrücken, so gelang es
den deutschen Städten, die landesherrliche Anerkennung ihrer kirchlichen Neue¬
rungen durchzusetzen und mehrere Jahrzehnte hindurch von dieser Seite unge¬
stört ihre Verhältnisse zu behaupten und zu entwickeln.

Erst mit dem Anfange des 17. Jahrhunderts wirkte die veränderte kaiser¬
liche Politik auch auf sie ein.*) Im Jahre 1592 war der türkische Krieg von



*) Für das Folgende sind, soweit es die allgemeinen Verhältnisse betrifft, benützt: Ist.n-
o^nkr>, Listoriarnm as roof IlunA-n'lois liori XXXIV (Köln, 1622). Der Verfasser ist habs-
burgisch und katholisch gesinnt, aber als hochgestellter Zeitgenosse gut unterrichtet. -- Ks-tons,,
Historik regni UrmAü.r. Bd. XXVIII. -- Ribini, Uoworadilw ^,uAnstg,"As oontossionis in
xexno UrmMr. I. (1737). -- Gindelh, Rudolf II. und seine Zeit, I. (18"3), -- Klein-

dem bestand der regste geistige Verkehr zwischen den fernen Kolonieen des
Karpathenlandes und den protestantischen Universitäten der alten Heimat; zahl¬
reiche junge Deutsch-Ungarn saßen zu den Füßen der Professoren von LÜitten-
berg, Jena und Tübingen, und nicht wenige Deutsche aus dem Reiche fanden
in Ungarn lohnende Stellung. Auch die seit der Unglücksschlacht von Mohäcs
(1526) kaum jemals endenden Türkenkriege störten diese Entwickelung wenig,
weil sie Ober-Ungarn selten direkt berührten. Aber schlechthin unerträglich
gestaltete sich die Lage der deutsch-protestantischen Städte, als sie in's Gedränge
geriethen zwischen der Habsburgischen Gewalt, die ihren evangelischen Glauben,
und der magyarischen Erhebung, welche ihre Nationalität bedrohte.

Seit der Katastrophe von MohÄs war Ungarn getheilt zwischen den
Türken, die den ganzen Kern des Landes — seit 1541 als Paschalik Buda —
beherrschten, und den Habsburgern, welche den Westen und Norden mit schwan¬
kendem Kriegsglück behaupteten. Siebenbürgen, von beiden begehrt als mäch¬
tige Gebirgsfeste, war am Anfange des 17. Jahrhunderts nach langem Schwanken
den Habsburgern zugefallen. Die politische Spaltung zu vergrößern kam die
kirchliche Trennung hinzu. Der magyarische Adel im deutschen wie im tür¬
kischen Ungarn fiel der protestantischen, zumal kalvinischen Lehre zu in einem
Grade, daß die reformirte Konfession seitdem in Ungarn als „ungarischer
Glaube" (irmA^ar dir) bezeichnet wurde, die deutschen Städte Ober-Ungarn's
dem Lutherthume, das den Ungarn seitdem „der deutsche Glaube" (nüinst. Jut)
hieß. Bereits im Jahre 1549 verständigten sich die fünf königlichen Freistätte
Ober-Ungarn's: Kaschau, Eperies, Bartfeld, Zehen, Leutschau, die seit dem
15. Jahrhundert unter Kaschau's Leitung in festem Bunde vereinigt waren,
über ein gemeinschaftliches Glaubensbekenntniß; zehn Jahre später folgten die
sogenannten Bergstädte: Schemnitz, Kremnitz, Alt-Sohl, Neu-Sohl, Libethen,
Bries, Königsberg, Pukancz diesem Beispiele. Da Ferdinand I. und Maxi¬
milian II. weder die Neigung noch die Macht besaßen, in diesen schwerbedrohten
Grenzmarken eine starke Bewegung gewaltsam zu unterdrücken, so gelang es
den deutschen Städten, die landesherrliche Anerkennung ihrer kirchlichen Neue¬
rungen durchzusetzen und mehrere Jahrzehnte hindurch von dieser Seite unge¬
stört ihre Verhältnisse zu behaupten und zu entwickeln.

Erst mit dem Anfange des 17. Jahrhunderts wirkte die veränderte kaiser¬
liche Politik auch auf sie ein.*) Im Jahre 1592 war der türkische Krieg von



*) Für das Folgende sind, soweit es die allgemeinen Verhältnisse betrifft, benützt: Ist.n-
o^nkr>, Listoriarnm as roof IlunA-n'lois liori XXXIV (Köln, 1622). Der Verfasser ist habs-
burgisch und katholisch gesinnt, aber als hochgestellter Zeitgenosse gut unterrichtet. — Ks-tons,,
Historik regni UrmAü.r. Bd. XXVIII. — Ribini, Uoworadilw ^,uAnstg,»As oontossionis in
xexno UrmMr. I. (1737). — Gindelh, Rudolf II. und seine Zeit, I. (18«3), — Klein-
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[0184] dem bestand der regste geistige Verkehr zwischen den fernen Kolonieen des Karpathenlandes und den protestantischen Universitäten der alten Heimat; zahl¬ reiche junge Deutsch-Ungarn saßen zu den Füßen der Professoren von LÜitten- berg, Jena und Tübingen, und nicht wenige Deutsche aus dem Reiche fanden in Ungarn lohnende Stellung. Auch die seit der Unglücksschlacht von Mohäcs (1526) kaum jemals endenden Türkenkriege störten diese Entwickelung wenig, weil sie Ober-Ungarn selten direkt berührten. Aber schlechthin unerträglich gestaltete sich die Lage der deutsch-protestantischen Städte, als sie in's Gedränge geriethen zwischen der Habsburgischen Gewalt, die ihren evangelischen Glauben, und der magyarischen Erhebung, welche ihre Nationalität bedrohte. Seit der Katastrophe von MohÄs war Ungarn getheilt zwischen den Türken, die den ganzen Kern des Landes — seit 1541 als Paschalik Buda — beherrschten, und den Habsburgern, welche den Westen und Norden mit schwan¬ kendem Kriegsglück behaupteten. Siebenbürgen, von beiden begehrt als mäch¬ tige Gebirgsfeste, war am Anfange des 17. Jahrhunderts nach langem Schwanken den Habsburgern zugefallen. Die politische Spaltung zu vergrößern kam die kirchliche Trennung hinzu. Der magyarische Adel im deutschen wie im tür¬ kischen Ungarn fiel der protestantischen, zumal kalvinischen Lehre zu in einem Grade, daß die reformirte Konfession seitdem in Ungarn als „ungarischer Glaube" (irmA^ar dir) bezeichnet wurde, die deutschen Städte Ober-Ungarn's dem Lutherthume, das den Ungarn seitdem „der deutsche Glaube" (nüinst. Jut) hieß. Bereits im Jahre 1549 verständigten sich die fünf königlichen Freistätte Ober-Ungarn's: Kaschau, Eperies, Bartfeld, Zehen, Leutschau, die seit dem 15. Jahrhundert unter Kaschau's Leitung in festem Bunde vereinigt waren, über ein gemeinschaftliches Glaubensbekenntniß; zehn Jahre später folgten die sogenannten Bergstädte: Schemnitz, Kremnitz, Alt-Sohl, Neu-Sohl, Libethen, Bries, Königsberg, Pukancz diesem Beispiele. Da Ferdinand I. und Maxi¬ milian II. weder die Neigung noch die Macht besaßen, in diesen schwerbedrohten Grenzmarken eine starke Bewegung gewaltsam zu unterdrücken, so gelang es den deutschen Städten, die landesherrliche Anerkennung ihrer kirchlichen Neue¬ rungen durchzusetzen und mehrere Jahrzehnte hindurch von dieser Seite unge¬ stört ihre Verhältnisse zu behaupten und zu entwickeln. Erst mit dem Anfange des 17. Jahrhunderts wirkte die veränderte kaiser¬ liche Politik auch auf sie ein.*) Im Jahre 1592 war der türkische Krieg von *) Für das Folgende sind, soweit es die allgemeinen Verhältnisse betrifft, benützt: Ist.n- o^nkr>, Listoriarnm as roof IlunA-n'lois liori XXXIV (Köln, 1622). Der Verfasser ist habs- burgisch und katholisch gesinnt, aber als hochgestellter Zeitgenosse gut unterrichtet. — Ks-tons,, Historik regni UrmAü.r. Bd. XXVIII. — Ribini, Uoworadilw ^,uAnstg,»As oontossionis in xexno UrmMr. I. (1737). — Gindelh, Rudolf II. und seine Zeit, I. (18«3), — Klein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/184>, abgerufen am 01.07.2024.