Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

die Sätze wieder abdrucken sollen, die der Kanzler unmittelbar nach jenen hin¬
zugefügt: "Ich will nur im Allgemeinen das System entwickeln, nach dem
ich streben würde, wenn sich dieses Streben so leicht verwirklichen ließe wie
die Gedanken, die eben leicht im Kopfe bei einander wohnen; aber im Raum,
da stoßen sich fünfundzwanzig Regierungen und die verschiedenen Interessenten
und Parlamente, ja selbst schon die Ministerien in sich und die eigenen Mit¬
arbeiter, wie wir hier bei einander sitzen, selbst wir würden eine Menge ein¬
ander bekämpfender Gedanken zum Vorschein bringen, die man um des Friedens
willen sich verschweigt, und da ist die Herstellung einer Einigung über große
durchgreifende Reformen eine Herkulesarbeit." Der Kanzler hat, so bemerkte
das Blatt, sein Hauptziel, die Deckung der Staatsbedürfnisse vornehmlich durch
indirekte Steuern, unverändert festgehalten, aber er bedürfte bei dem Wege, der
ihm zunächst vorschwebte, der Unterstützung von Seiten der Regierungen, der
Parlamente und der Bevölkerung, und diese Unterstützung blieb aus. Sie ist
ihm für den in jener Rede angedeuteten Plan, nach englischem Muster nur
wenige ergiebige Finanzartikel, darunter vor allem den Tabak, zu besteuern,
versagt worden, und so mußte ein anderer Weg eingeschlagen werden, um zum
Ziele zu kommen.

Ferner ist das Programm des Reichskanzlers ohne Zweifel durch Beob¬
achtung einer Erscheinung beeinflußt worden, welche von der "Times" unzutref¬
fend als die "Fluthwelle der Schutzzollsucht" bezeichnet worden ist. Es ist das
Bestreben aller Staaten und Völker nach wirthschaftlicher Freiheit auf eigenem
Gebiet, nach Wegschaffung der als verderblich erkannten Folgen der europäischen
Handelsverträge, nach der Möglichkeit für jede Nation, ihre wirthschaftlichen
Forderungen nach den durch ihre Entwickelungsstufe gegebenen natürlichen
Verhältnissen zu gestalten. Vor diesem wahlberechtigten Bestreben fällt das
System jener Verträge allmählich zusammen, und allenthalben sieht man der
Ersetzung dessen, was nach den Grundsätzen des internationalen Freihandels
vereinbart worden ist, durch neue Bedingungen entgegen, wie sie die Forderungen
des nationalen Freihandels vorschreiben.

Die Fluthwelle, die der "Times" das Herz schwer macht, ist selbst in
England, der Heimat des doktrinären Freihandels, mächtig gestiegen. Der
Sekretär des "Liverpool Shipping Trabes Council" schrieb vor kurzem an
Gladstone, täglich breche sich der Glaube mehr Bahn, daß der Mangel an
Beschäftigung fiir geschickte Arbeiter der zollfreien Zulassung ungeheurer Massen
von Fabrikaten des Festlandes und Amerika's zuzuschreiben sei, und daß, ob-
schon der Freihandel in mancher Hinsicht gut sein möge, man dem englischen
Arbeiter doch nicht zumuthen sollte, sich seine Arbeit vom Auslande stehlen zu
lassen. In einer Zuschrift an die "Times" ferner heißt es: "Unsere Lehrmeister


die Sätze wieder abdrucken sollen, die der Kanzler unmittelbar nach jenen hin¬
zugefügt: „Ich will nur im Allgemeinen das System entwickeln, nach dem
ich streben würde, wenn sich dieses Streben so leicht verwirklichen ließe wie
die Gedanken, die eben leicht im Kopfe bei einander wohnen; aber im Raum,
da stoßen sich fünfundzwanzig Regierungen und die verschiedenen Interessenten
und Parlamente, ja selbst schon die Ministerien in sich und die eigenen Mit¬
arbeiter, wie wir hier bei einander sitzen, selbst wir würden eine Menge ein¬
ander bekämpfender Gedanken zum Vorschein bringen, die man um des Friedens
willen sich verschweigt, und da ist die Herstellung einer Einigung über große
durchgreifende Reformen eine Herkulesarbeit." Der Kanzler hat, so bemerkte
das Blatt, sein Hauptziel, die Deckung der Staatsbedürfnisse vornehmlich durch
indirekte Steuern, unverändert festgehalten, aber er bedürfte bei dem Wege, der
ihm zunächst vorschwebte, der Unterstützung von Seiten der Regierungen, der
Parlamente und der Bevölkerung, und diese Unterstützung blieb aus. Sie ist
ihm für den in jener Rede angedeuteten Plan, nach englischem Muster nur
wenige ergiebige Finanzartikel, darunter vor allem den Tabak, zu besteuern,
versagt worden, und so mußte ein anderer Weg eingeschlagen werden, um zum
Ziele zu kommen.

Ferner ist das Programm des Reichskanzlers ohne Zweifel durch Beob¬
achtung einer Erscheinung beeinflußt worden, welche von der „Times" unzutref¬
fend als die „Fluthwelle der Schutzzollsucht" bezeichnet worden ist. Es ist das
Bestreben aller Staaten und Völker nach wirthschaftlicher Freiheit auf eigenem
Gebiet, nach Wegschaffung der als verderblich erkannten Folgen der europäischen
Handelsverträge, nach der Möglichkeit für jede Nation, ihre wirthschaftlichen
Forderungen nach den durch ihre Entwickelungsstufe gegebenen natürlichen
Verhältnissen zu gestalten. Vor diesem wahlberechtigten Bestreben fällt das
System jener Verträge allmählich zusammen, und allenthalben sieht man der
Ersetzung dessen, was nach den Grundsätzen des internationalen Freihandels
vereinbart worden ist, durch neue Bedingungen entgegen, wie sie die Forderungen
des nationalen Freihandels vorschreiben.

Die Fluthwelle, die der „Times" das Herz schwer macht, ist selbst in
England, der Heimat des doktrinären Freihandels, mächtig gestiegen. Der
Sekretär des „Liverpool Shipping Trabes Council" schrieb vor kurzem an
Gladstone, täglich breche sich der Glaube mehr Bahn, daß der Mangel an
Beschäftigung fiir geschickte Arbeiter der zollfreien Zulassung ungeheurer Massen
von Fabrikaten des Festlandes und Amerika's zuzuschreiben sei, und daß, ob-
schon der Freihandel in mancher Hinsicht gut sein möge, man dem englischen
Arbeiter doch nicht zumuthen sollte, sich seine Arbeit vom Auslande stehlen zu
lassen. In einer Zuschrift an die „Times" ferner heißt es: „Unsere Lehrmeister


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0173" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/141584"/>
          <p xml:id="ID_512" prev="#ID_511"> die Sätze wieder abdrucken sollen, die der Kanzler unmittelbar nach jenen hin¬<lb/>
zugefügt: &#x201E;Ich will nur im Allgemeinen das System entwickeln, nach dem<lb/>
ich streben würde, wenn sich dieses Streben so leicht verwirklichen ließe wie<lb/>
die Gedanken, die eben leicht im Kopfe bei einander wohnen; aber im Raum,<lb/>
da stoßen sich fünfundzwanzig Regierungen und die verschiedenen Interessenten<lb/>
und Parlamente, ja selbst schon die Ministerien in sich und die eigenen Mit¬<lb/>
arbeiter, wie wir hier bei einander sitzen, selbst wir würden eine Menge ein¬<lb/>
ander bekämpfender Gedanken zum Vorschein bringen, die man um des Friedens<lb/>
willen sich verschweigt, und da ist die Herstellung einer Einigung über große<lb/>
durchgreifende Reformen eine Herkulesarbeit." Der Kanzler hat, so bemerkte<lb/>
das Blatt, sein Hauptziel, die Deckung der Staatsbedürfnisse vornehmlich durch<lb/>
indirekte Steuern, unverändert festgehalten, aber er bedürfte bei dem Wege, der<lb/>
ihm zunächst vorschwebte, der Unterstützung von Seiten der Regierungen, der<lb/>
Parlamente und der Bevölkerung, und diese Unterstützung blieb aus. Sie ist<lb/>
ihm für den in jener Rede angedeuteten Plan, nach englischem Muster nur<lb/>
wenige ergiebige Finanzartikel, darunter vor allem den Tabak, zu besteuern,<lb/>
versagt worden, und so mußte ein anderer Weg eingeschlagen werden, um zum<lb/>
Ziele zu kommen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_513"> Ferner ist das Programm des Reichskanzlers ohne Zweifel durch Beob¬<lb/>
achtung einer Erscheinung beeinflußt worden, welche von der &#x201E;Times" unzutref¬<lb/>
fend als die &#x201E;Fluthwelle der Schutzzollsucht" bezeichnet worden ist. Es ist das<lb/>
Bestreben aller Staaten und Völker nach wirthschaftlicher Freiheit auf eigenem<lb/>
Gebiet, nach Wegschaffung der als verderblich erkannten Folgen der europäischen<lb/>
Handelsverträge, nach der Möglichkeit für jede Nation, ihre wirthschaftlichen<lb/>
Forderungen nach den durch ihre Entwickelungsstufe gegebenen natürlichen<lb/>
Verhältnissen zu gestalten. Vor diesem wahlberechtigten Bestreben fällt das<lb/>
System jener Verträge allmählich zusammen, und allenthalben sieht man der<lb/>
Ersetzung dessen, was nach den Grundsätzen des internationalen Freihandels<lb/>
vereinbart worden ist, durch neue Bedingungen entgegen, wie sie die Forderungen<lb/>
des nationalen Freihandels vorschreiben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_514" next="#ID_515"> Die Fluthwelle, die der &#x201E;Times" das Herz schwer macht, ist selbst in<lb/>
England, der Heimat des doktrinären Freihandels, mächtig gestiegen. Der<lb/>
Sekretär des &#x201E;Liverpool Shipping Trabes Council" schrieb vor kurzem an<lb/>
Gladstone, täglich breche sich der Glaube mehr Bahn, daß der Mangel an<lb/>
Beschäftigung fiir geschickte Arbeiter der zollfreien Zulassung ungeheurer Massen<lb/>
von Fabrikaten des Festlandes und Amerika's zuzuschreiben sei, und daß, ob-<lb/>
schon der Freihandel in mancher Hinsicht gut sein möge, man dem englischen<lb/>
Arbeiter doch nicht zumuthen sollte, sich seine Arbeit vom Auslande stehlen zu<lb/>
lassen. In einer Zuschrift an die &#x201E;Times" ferner heißt es: &#x201E;Unsere Lehrmeister</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0173] die Sätze wieder abdrucken sollen, die der Kanzler unmittelbar nach jenen hin¬ zugefügt: „Ich will nur im Allgemeinen das System entwickeln, nach dem ich streben würde, wenn sich dieses Streben so leicht verwirklichen ließe wie die Gedanken, die eben leicht im Kopfe bei einander wohnen; aber im Raum, da stoßen sich fünfundzwanzig Regierungen und die verschiedenen Interessenten und Parlamente, ja selbst schon die Ministerien in sich und die eigenen Mit¬ arbeiter, wie wir hier bei einander sitzen, selbst wir würden eine Menge ein¬ ander bekämpfender Gedanken zum Vorschein bringen, die man um des Friedens willen sich verschweigt, und da ist die Herstellung einer Einigung über große durchgreifende Reformen eine Herkulesarbeit." Der Kanzler hat, so bemerkte das Blatt, sein Hauptziel, die Deckung der Staatsbedürfnisse vornehmlich durch indirekte Steuern, unverändert festgehalten, aber er bedürfte bei dem Wege, der ihm zunächst vorschwebte, der Unterstützung von Seiten der Regierungen, der Parlamente und der Bevölkerung, und diese Unterstützung blieb aus. Sie ist ihm für den in jener Rede angedeuteten Plan, nach englischem Muster nur wenige ergiebige Finanzartikel, darunter vor allem den Tabak, zu besteuern, versagt worden, und so mußte ein anderer Weg eingeschlagen werden, um zum Ziele zu kommen. Ferner ist das Programm des Reichskanzlers ohne Zweifel durch Beob¬ achtung einer Erscheinung beeinflußt worden, welche von der „Times" unzutref¬ fend als die „Fluthwelle der Schutzzollsucht" bezeichnet worden ist. Es ist das Bestreben aller Staaten und Völker nach wirthschaftlicher Freiheit auf eigenem Gebiet, nach Wegschaffung der als verderblich erkannten Folgen der europäischen Handelsverträge, nach der Möglichkeit für jede Nation, ihre wirthschaftlichen Forderungen nach den durch ihre Entwickelungsstufe gegebenen natürlichen Verhältnissen zu gestalten. Vor diesem wahlberechtigten Bestreben fällt das System jener Verträge allmählich zusammen, und allenthalben sieht man der Ersetzung dessen, was nach den Grundsätzen des internationalen Freihandels vereinbart worden ist, durch neue Bedingungen entgegen, wie sie die Forderungen des nationalen Freihandels vorschreiben. Die Fluthwelle, die der „Times" das Herz schwer macht, ist selbst in England, der Heimat des doktrinären Freihandels, mächtig gestiegen. Der Sekretär des „Liverpool Shipping Trabes Council" schrieb vor kurzem an Gladstone, täglich breche sich der Glaube mehr Bahn, daß der Mangel an Beschäftigung fiir geschickte Arbeiter der zollfreien Zulassung ungeheurer Massen von Fabrikaten des Festlandes und Amerika's zuzuschreiben sei, und daß, ob- schon der Freihandel in mancher Hinsicht gut sein möge, man dem englischen Arbeiter doch nicht zumuthen sollte, sich seine Arbeit vom Auslande stehlen zu lassen. In einer Zuschrift an die „Times" ferner heißt es: „Unsere Lehrmeister

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/173
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/173>, abgerufen am 23.07.2024.