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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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licher Grausamkeit geführten Kriege bis auf geringe Reste ausgerottet wurde.
Eine wunderbare Welt tritt uns hier aus dem bisherigen Dunkel, farbig, pla¬
stisch, lebendig, bis in's Detail geschildert entgegen, die Natur der Wildnisse
an den nördlichen Seen und Strömen, der Charakter und die Sitten der Roth¬
häute, die Klugheit und der furchtlose Glaubenseifer der Jesuiten, ihre Sünd¬
haftigkeit und Unermüdlichkeit. Episode auf Episode der ergreifendsten Art
spielt sich vor unseren Augen ab. Verhungernde Völker, ganze Stämme von
Seuchen hingerafft, volkreiche Städte vom Tomahawk und der Brandfackel
eines erbarmungslosen Feindes in blutige Aschenhaufen verwandelt, Teufel in
Menschengestalt um Martergerttste versammelt und die Opfer mit der Er¬
findungsgabe des Satans peinigend und verstümmelnd, die Hölle auf Erden
-- alle diese Nachtbilder ziehen an uns vorüber, während uns in ihrer Mitte
die lichten Gestalten der Jesuiten, licht trotz ihres Aberglaubens, durch ihren
vor keiner Gefahr zurückschreckenden Opfermuth und ihre Ausdauer in der Ver¬
folgung ihrer Zwecke wie Wesen einer höheren Welt mit Bewunderung er¬
füllen. Zuletzt legen wir das Buch in der Stimmung hin, die ein erschütterndes
Drama hinterläßt.

Neben diesem ästhetischen Werthe des Werkes besitzt es aber auch einen
bedeutenden historischen, auf den wir eingehend zurückkommen werden, wenn
wir, wie demnächst geschehen soll, ausführliche Mittheilungen aus seinem In¬
halt bringen. Für jetzt bemerken wir nur noch, daß der Verfasser durchgängig
aus den Quellen geschöpft hat, und daß ihm sehr reichlich fließende Quellen
zunächst in den Berichten zu Gebote standen, welche die canadischen Jesuiten
vierzig Jahre hindurch in jedem Sommer ihrem Provinzial in Paris abstatte¬
ten, und welche, durchaus ehrlich und in gutem Glauben geschrieben, als au¬
thentische geschichtliche Urkunden zu betrachten sind. Neben diesen offiziellen
und 1850 von der canadischen Regierung veröffentlichten Relationen existiren
aber noch eine große Menge privater Berichte, Denkschriften, Tagebücher und
Briefe, von denen einige vor kurzem ebenfalls gedruckt worden, andere aber nur
im Manuskripte vorhanden sind. Parkman hat dieses Material gewissenhaft
studirt und verglichen, und es ist ihm, da er die dichterische Ader besitzt, welche
wir heutzutage von jedem Geschichtschreiber verlangen, die Gabe, gut zu grup-
piren, das Leben im Kleinen wie im Großen zu sehen und in seiner Darstel¬
lung abzuspiegeln, gelungen, die größte Genauigkeit zu erreichen und uns die
Vergangenheit aufzuwecken wie sie leibt und lebt. Nur selten hat er unserm
Gefühle nach zu viel gethan, sodaß man in der Fülle des Details den Faden
zu verlieren Gefahr läuft, und der Fluß der Erzählung durch zu weit ausge¬
sponnene Beschreibung und Schilderung beeinträchtigt wird.


licher Grausamkeit geführten Kriege bis auf geringe Reste ausgerottet wurde.
Eine wunderbare Welt tritt uns hier aus dem bisherigen Dunkel, farbig, pla¬
stisch, lebendig, bis in's Detail geschildert entgegen, die Natur der Wildnisse
an den nördlichen Seen und Strömen, der Charakter und die Sitten der Roth¬
häute, die Klugheit und der furchtlose Glaubenseifer der Jesuiten, ihre Sünd¬
haftigkeit und Unermüdlichkeit. Episode auf Episode der ergreifendsten Art
spielt sich vor unseren Augen ab. Verhungernde Völker, ganze Stämme von
Seuchen hingerafft, volkreiche Städte vom Tomahawk und der Brandfackel
eines erbarmungslosen Feindes in blutige Aschenhaufen verwandelt, Teufel in
Menschengestalt um Martergerttste versammelt und die Opfer mit der Er¬
findungsgabe des Satans peinigend und verstümmelnd, die Hölle auf Erden
— alle diese Nachtbilder ziehen an uns vorüber, während uns in ihrer Mitte
die lichten Gestalten der Jesuiten, licht trotz ihres Aberglaubens, durch ihren
vor keiner Gefahr zurückschreckenden Opfermuth und ihre Ausdauer in der Ver¬
folgung ihrer Zwecke wie Wesen einer höheren Welt mit Bewunderung er¬
füllen. Zuletzt legen wir das Buch in der Stimmung hin, die ein erschütterndes
Drama hinterläßt.

Neben diesem ästhetischen Werthe des Werkes besitzt es aber auch einen
bedeutenden historischen, auf den wir eingehend zurückkommen werden, wenn
wir, wie demnächst geschehen soll, ausführliche Mittheilungen aus seinem In¬
halt bringen. Für jetzt bemerken wir nur noch, daß der Verfasser durchgängig
aus den Quellen geschöpft hat, und daß ihm sehr reichlich fließende Quellen
zunächst in den Berichten zu Gebote standen, welche die canadischen Jesuiten
vierzig Jahre hindurch in jedem Sommer ihrem Provinzial in Paris abstatte¬
ten, und welche, durchaus ehrlich und in gutem Glauben geschrieben, als au¬
thentische geschichtliche Urkunden zu betrachten sind. Neben diesen offiziellen
und 1850 von der canadischen Regierung veröffentlichten Relationen existiren
aber noch eine große Menge privater Berichte, Denkschriften, Tagebücher und
Briefe, von denen einige vor kurzem ebenfalls gedruckt worden, andere aber nur
im Manuskripte vorhanden sind. Parkman hat dieses Material gewissenhaft
studirt und verglichen, und es ist ihm, da er die dichterische Ader besitzt, welche
wir heutzutage von jedem Geschichtschreiber verlangen, die Gabe, gut zu grup-
piren, das Leben im Kleinen wie im Großen zu sehen und in seiner Darstel¬
lung abzuspiegeln, gelungen, die größte Genauigkeit zu erreichen und uns die
Vergangenheit aufzuwecken wie sie leibt und lebt. Nur selten hat er unserm
Gefühle nach zu viel gethan, sodaß man in der Fülle des Details den Faden
zu verlieren Gefahr läuft, und der Fluß der Erzählung durch zu weit ausge¬
sponnene Beschreibung und Schilderung beeinträchtigt wird.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/165>, abgerufen am 23.07.2024.