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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Wort teäs, Glauben. Busone hat jedenfalls die ursprüngliche Form der
Parabel, wie sie wahrscheinlich im Volke lebte, noch gekannt, oder er hat
sie von seinem jüdischen Freunde Manoello gehört. Zu erörtern bliebe noch,
welche Lesart in den von den Herausgebern der C. N. benutzten Handschriften
steht; es wäre möglich, daß t'sah erst in die gedruckte Sammlung eingedrun¬
gen ist.*)

Endlich dürfte der Umstand noch für die Ursprünglichkeit der jüdischen
Quelle sprechen, daß nach allen christlichen Bearbeitungen einem Juden die
Parabel in den Mund gelegt wird. Und nach der Eigenthümlichkeit der Parabel
kann es auch nur ein Jude gewesen sein, der sich durch eine solche kluge
Antwort aus der ihm gelegten Schlinge zu ziehen wußte. Selbst wenn unserer
Parabel keine historisch beglaubigte Thatsache zu Grnnde läge, so könnte sie
nur die Erfindung eines Juden sein. Die jüdische Quelle führt nun wirklich
einen Juden vor, welcher die Parabel macht, und gibt auch das Motiv an,
welches ihn dazu veranlaßt, und wie die Sache liegt, läßt sich wohl kaum ein
gewichtiger Zweifel dagegen erheben.

Dem Haupteinwand, der gemacht werden könnte, die Abfassung des Sche-
dels Jehuda falle erst um's Jahr 1480, also sei noch späteren Datums, als
Busone und Boccaccio, ist einfach damit zu begegnen, daß Salomo aben Verga
in seinem Buche vorzugsweise Alterthümliches erzählt und die Nachrichten
darüber, wie aus Wiener's Vorrede hervorgeht, "mündlichen und schriftlichen
Traditionen verschiedener Zeiten, Fragmenten, alten historischen Schriften, ins¬
besondere einer früheren geschichtlichen Zusammenstellung seines Ahn Jehuda
aben Verga" verdankt. Freilich läßt nach Wolf (Livl. dsvr. I. x. 1052) das
Werk in der Schilderung der berichteten Thatsachen zuweilen die Treue und
Wahrheit vermissen. Auch de Rossi (vis. storivo unter Salomo aben Verga)
behauptet, daß die erzählten Denkwürdigkeiten aus ungenauen Quellen geschöpft
seien oder auf unbegründeten Sagen beruhten. Gesetzt, diese Urtheile hätten
ihre Berechtigung, so würde doch in diesem Falle das eher für als gegen
unsere Quelle sprechen, wir hätten es dann eben mit einer sehr alten Sage zu
thun, deren geschichtliche Haltepunkte sich nach Zeit und Personen nicht mehr
genau fixiren lassen. Die Ansicht, das Märchen sollte aus den christlichen
Quellen erst in die jüdische übergegangen sein, hat wenig Wahrscheinlichkeit.
Angenommen, eine der italienischen Bearbeitungen wäre die ältere, so will es
nicht einleuchten, daß der spätere jüdische Bearbeiter den mohammedanischen
Fragesteller sollte in einen christlichen Fürsten verwandelt haben; wohl aber lag es



*) Sollten noch Handschriften von den C- N, vorhanden sein, so wäre es wohl der
Mühe werth, wenn ein Romanist die Frage nach dieser Seite hin weiter verfolgte.

Wort teäs, Glauben. Busone hat jedenfalls die ursprüngliche Form der
Parabel, wie sie wahrscheinlich im Volke lebte, noch gekannt, oder er hat
sie von seinem jüdischen Freunde Manoello gehört. Zu erörtern bliebe noch,
welche Lesart in den von den Herausgebern der C. N. benutzten Handschriften
steht; es wäre möglich, daß t'sah erst in die gedruckte Sammlung eingedrun¬
gen ist.*)

Endlich dürfte der Umstand noch für die Ursprünglichkeit der jüdischen
Quelle sprechen, daß nach allen christlichen Bearbeitungen einem Juden die
Parabel in den Mund gelegt wird. Und nach der Eigenthümlichkeit der Parabel
kann es auch nur ein Jude gewesen sein, der sich durch eine solche kluge
Antwort aus der ihm gelegten Schlinge zu ziehen wußte. Selbst wenn unserer
Parabel keine historisch beglaubigte Thatsache zu Grnnde läge, so könnte sie
nur die Erfindung eines Juden sein. Die jüdische Quelle führt nun wirklich
einen Juden vor, welcher die Parabel macht, und gibt auch das Motiv an,
welches ihn dazu veranlaßt, und wie die Sache liegt, läßt sich wohl kaum ein
gewichtiger Zweifel dagegen erheben.

Dem Haupteinwand, der gemacht werden könnte, die Abfassung des Sche-
dels Jehuda falle erst um's Jahr 1480, also sei noch späteren Datums, als
Busone und Boccaccio, ist einfach damit zu begegnen, daß Salomo aben Verga
in seinem Buche vorzugsweise Alterthümliches erzählt und die Nachrichten
darüber, wie aus Wiener's Vorrede hervorgeht, „mündlichen und schriftlichen
Traditionen verschiedener Zeiten, Fragmenten, alten historischen Schriften, ins¬
besondere einer früheren geschichtlichen Zusammenstellung seines Ahn Jehuda
aben Verga" verdankt. Freilich läßt nach Wolf (Livl. dsvr. I. x. 1052) das
Werk in der Schilderung der berichteten Thatsachen zuweilen die Treue und
Wahrheit vermissen. Auch de Rossi (vis. storivo unter Salomo aben Verga)
behauptet, daß die erzählten Denkwürdigkeiten aus ungenauen Quellen geschöpft
seien oder auf unbegründeten Sagen beruhten. Gesetzt, diese Urtheile hätten
ihre Berechtigung, so würde doch in diesem Falle das eher für als gegen
unsere Quelle sprechen, wir hätten es dann eben mit einer sehr alten Sage zu
thun, deren geschichtliche Haltepunkte sich nach Zeit und Personen nicht mehr
genau fixiren lassen. Die Ansicht, das Märchen sollte aus den christlichen
Quellen erst in die jüdische übergegangen sein, hat wenig Wahrscheinlichkeit.
Angenommen, eine der italienischen Bearbeitungen wäre die ältere, so will es
nicht einleuchten, daß der spätere jüdische Bearbeiter den mohammedanischen
Fragesteller sollte in einen christlichen Fürsten verwandelt haben; wohl aber lag es



*) Sollten noch Handschriften von den C- N, vorhanden sein, so wäre es wohl der
Mühe werth, wenn ein Romanist die Frage nach dieser Seite hin weiter verfolgte.
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[0144] Wort teäs, Glauben. Busone hat jedenfalls die ursprüngliche Form der Parabel, wie sie wahrscheinlich im Volke lebte, noch gekannt, oder er hat sie von seinem jüdischen Freunde Manoello gehört. Zu erörtern bliebe noch, welche Lesart in den von den Herausgebern der C. N. benutzten Handschriften steht; es wäre möglich, daß t'sah erst in die gedruckte Sammlung eingedrun¬ gen ist.*) Endlich dürfte der Umstand noch für die Ursprünglichkeit der jüdischen Quelle sprechen, daß nach allen christlichen Bearbeitungen einem Juden die Parabel in den Mund gelegt wird. Und nach der Eigenthümlichkeit der Parabel kann es auch nur ein Jude gewesen sein, der sich durch eine solche kluge Antwort aus der ihm gelegten Schlinge zu ziehen wußte. Selbst wenn unserer Parabel keine historisch beglaubigte Thatsache zu Grnnde läge, so könnte sie nur die Erfindung eines Juden sein. Die jüdische Quelle führt nun wirklich einen Juden vor, welcher die Parabel macht, und gibt auch das Motiv an, welches ihn dazu veranlaßt, und wie die Sache liegt, läßt sich wohl kaum ein gewichtiger Zweifel dagegen erheben. Dem Haupteinwand, der gemacht werden könnte, die Abfassung des Sche- dels Jehuda falle erst um's Jahr 1480, also sei noch späteren Datums, als Busone und Boccaccio, ist einfach damit zu begegnen, daß Salomo aben Verga in seinem Buche vorzugsweise Alterthümliches erzählt und die Nachrichten darüber, wie aus Wiener's Vorrede hervorgeht, „mündlichen und schriftlichen Traditionen verschiedener Zeiten, Fragmenten, alten historischen Schriften, ins¬ besondere einer früheren geschichtlichen Zusammenstellung seines Ahn Jehuda aben Verga" verdankt. Freilich läßt nach Wolf (Livl. dsvr. I. x. 1052) das Werk in der Schilderung der berichteten Thatsachen zuweilen die Treue und Wahrheit vermissen. Auch de Rossi (vis. storivo unter Salomo aben Verga) behauptet, daß die erzählten Denkwürdigkeiten aus ungenauen Quellen geschöpft seien oder auf unbegründeten Sagen beruhten. Gesetzt, diese Urtheile hätten ihre Berechtigung, so würde doch in diesem Falle das eher für als gegen unsere Quelle sprechen, wir hätten es dann eben mit einer sehr alten Sage zu thun, deren geschichtliche Haltepunkte sich nach Zeit und Personen nicht mehr genau fixiren lassen. Die Ansicht, das Märchen sollte aus den christlichen Quellen erst in die jüdische übergegangen sein, hat wenig Wahrscheinlichkeit. Angenommen, eine der italienischen Bearbeitungen wäre die ältere, so will es nicht einleuchten, daß der spätere jüdische Bearbeiter den mohammedanischen Fragesteller sollte in einen christlichen Fürsten verwandelt haben; wohl aber lag es *) Sollten noch Handschriften von den C- N, vorhanden sein, so wäre es wohl der Mühe werth, wenn ein Romanist die Frage nach dieser Seite hin weiter verfolgte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/144>, abgerufen am 23.07.2024.