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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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seinen Worten ausspricht, der Jude mag kein Urtheil fällen; er will weder
das Christenthum herabsetzen, noch seiner Ueberzeugung etwas vergeben. Da
sein Gebieter jedoch mit diesem Zweckmäßigkeitsbescheide sich nicht zufrieden
gibt, sondern eine runde, klare und bestimmte Antwort fordert, so erbittet er
sich drei Tage Bedenkzeit. Nach Verlauf dieser Frist erscheint er wieder und
erzählt dem Könige ein Begegniß, das sich mit ihm zugetragen, und dies be¬
nutzt er dann und bringt es mit seiner Antwort in Zusammenhang. Die
Parabel erscheint somit als das, was sie in Wahrheit ist, als ein Produkt
reiflicher und allseitiger Erwägung. Nach den christlichen Fassungen ist die
Parabel das Erzeugniß momentaner Inspiration, das Werk eines Augenblicks,
was viel weniger einleuchtet. Man erwäge nur die Situation des Juden.
Nicht nur, daß er vor seinem Herrn und Gebieter steht, es handelt sich auch
um ein Problem, dessen Lösung für ihn und für sein Volk verhängnißvoll
werden kann. Sein eigenes Wohl und Wehe wie das seiner Glaubensgenossen
ist an seine Antwort geknüpft. Welcher Muth, welche Geistesgegenwart, aber
auch welche weise Vorsicht war erforderlich, um in einem so kritischen Momente
zu bestehen. Wie leicht konnte er der Religion des Königs zu nahe treten,
wie leicht konnte er aber auch zum Verräther an seiner eigenen werden! Keins
von beiden ist der Fall. Ohne jeglichen tendenziösen Beigeschmack, ohne jeg¬
liche Voreingenommenheit löst er das Problem in schlichter Einfachheit, aber
zutreffender Schärfe. Die christlichen Fassungen sind im Vergleich dazu viel
matter und hinkender. Sie erweisen sich deshalb nur als Umarbeitungen, als
Variationen des jüdischen Originals.

Ein schlagender Beweis für unsere Annahme liegt aber weiter anch in
der Einkleidung der Antwort in die Form der Parabel. Gerade die Redeform
spielt in der alten jüdischen Literatur eine große Rolle. In den beiden Tal-
muden, sowie in der Midraschim kommt sie sehr oft zur Anwendung. Die mit
der allegorisirenden Schriftauslegung sich beschäftigenden Rabbinen liebten es,
schwierige Lehrsätze oder verfängliche Fragen, um sie den minder gebildeten
Zuhörern verständlich zu machen, in ein parabolisches Gewand zu kleiden,
indem sie Begegnisse aus dem Menschenleben vorführten oder Charakterzüge
von Thieren entlehnten. Die Nutzanwendung ging entweder der Erzählung
voraus, oder sie folgte ihr nach, in vielen Fällen ließ man sie auch ganz weg
und stellte die Lösung dem Fragenden anheim. In unsrer Quelle folgt die
Nutzanwendung erst, als der König die Tendenz des Gleichnisses nicht merkt.

Nicht minder fällt ein sprachliches Moment in die Wagschale: Es handelt
sich um den Ausdruck des Wortes Religion. Die jüdische Quelle gibt den
Begriff durch ä^tu (in) Gesetz, also gerade wie Busone und Boccaccio, welche
ihm entsprechend IsMs haben. Die Cento Novelle dagegen hauen dafür das


seinen Worten ausspricht, der Jude mag kein Urtheil fällen; er will weder
das Christenthum herabsetzen, noch seiner Ueberzeugung etwas vergeben. Da
sein Gebieter jedoch mit diesem Zweckmäßigkeitsbescheide sich nicht zufrieden
gibt, sondern eine runde, klare und bestimmte Antwort fordert, so erbittet er
sich drei Tage Bedenkzeit. Nach Verlauf dieser Frist erscheint er wieder und
erzählt dem Könige ein Begegniß, das sich mit ihm zugetragen, und dies be¬
nutzt er dann und bringt es mit seiner Antwort in Zusammenhang. Die
Parabel erscheint somit als das, was sie in Wahrheit ist, als ein Produkt
reiflicher und allseitiger Erwägung. Nach den christlichen Fassungen ist die
Parabel das Erzeugniß momentaner Inspiration, das Werk eines Augenblicks,
was viel weniger einleuchtet. Man erwäge nur die Situation des Juden.
Nicht nur, daß er vor seinem Herrn und Gebieter steht, es handelt sich auch
um ein Problem, dessen Lösung für ihn und für sein Volk verhängnißvoll
werden kann. Sein eigenes Wohl und Wehe wie das seiner Glaubensgenossen
ist an seine Antwort geknüpft. Welcher Muth, welche Geistesgegenwart, aber
auch welche weise Vorsicht war erforderlich, um in einem so kritischen Momente
zu bestehen. Wie leicht konnte er der Religion des Königs zu nahe treten,
wie leicht konnte er aber auch zum Verräther an seiner eigenen werden! Keins
von beiden ist der Fall. Ohne jeglichen tendenziösen Beigeschmack, ohne jeg¬
liche Voreingenommenheit löst er das Problem in schlichter Einfachheit, aber
zutreffender Schärfe. Die christlichen Fassungen sind im Vergleich dazu viel
matter und hinkender. Sie erweisen sich deshalb nur als Umarbeitungen, als
Variationen des jüdischen Originals.

Ein schlagender Beweis für unsere Annahme liegt aber weiter anch in
der Einkleidung der Antwort in die Form der Parabel. Gerade die Redeform
spielt in der alten jüdischen Literatur eine große Rolle. In den beiden Tal-
muden, sowie in der Midraschim kommt sie sehr oft zur Anwendung. Die mit
der allegorisirenden Schriftauslegung sich beschäftigenden Rabbinen liebten es,
schwierige Lehrsätze oder verfängliche Fragen, um sie den minder gebildeten
Zuhörern verständlich zu machen, in ein parabolisches Gewand zu kleiden,
indem sie Begegnisse aus dem Menschenleben vorführten oder Charakterzüge
von Thieren entlehnten. Die Nutzanwendung ging entweder der Erzählung
voraus, oder sie folgte ihr nach, in vielen Fällen ließ man sie auch ganz weg
und stellte die Lösung dem Fragenden anheim. In unsrer Quelle folgt die
Nutzanwendung erst, als der König die Tendenz des Gleichnisses nicht merkt.

Nicht minder fällt ein sprachliches Moment in die Wagschale: Es handelt
sich um den Ausdruck des Wortes Religion. Die jüdische Quelle gibt den
Begriff durch ä^tu (in) Gesetz, also gerade wie Busone und Boccaccio, welche
ihm entsprechend IsMs haben. Die Cento Novelle dagegen hauen dafür das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/143>, abgerufen am 23.07.2024.