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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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auf ihre Bekenner." Der Weise sprach: "Nach einer dreitägigen Ueberlegung
will ich meinem Könige Bescheid geben, wenn es ihm recht ist", womit sich der
König einverstanden erklärte. Nach drei Tagen erschien der Weise wieder und
stellte sich aufgebracht und verstimmt. Auf die Früge des Königs: "Warum
bist du so verstimmt?" gab er zur Antwort: "Man hat mich heute wegen
nichts geschmäht, und dir, unserm Herrn, liegt es ob, meine Rechtssache zu
führen. Dieselbe besteht darin: Vor einem Monate reiste mein Nachbar in
die Ferne, und um seine beiden Söhne zu trösten, ließ er ihnen zwei Edelsteine
zurück. Nun kamen die beiden Brüder zu mir und verlangten von mir, ich
sollte sie von der Eigenthümlichkeit der Steine und deren Unterschied in
Kenntniß setzen. Als ich ihnen bemerkte, daß dazu niemand geeigneter sei, als
ihr Vater, der ja eine große Meisterschaft in der Kenntniß der Steine nach
Werth und Form besitze, da er Juwelier sei, sie also an ihn sich wenden
möchten, schlugen sie mich und schmähten mich wegen dieses Bescheides." --
"Da haben sie Unrecht gethan," sprach der König, "sie verdienen bestraft zu
werden." Der Weise versetzte darauf: "So mögen denn deine Ohren, o König,
vernehmen, was soeben dein Mund gesprochen!*) Siehe, auch Esau und Jakob
sind Brüder, von denen jeder einen Edelstein erhielt, und unser Herr fragt nun,
welches der bessere sei. Möge unser Herr doch einen Boten an den Vater im
Himmel senden, denn das ist der größte Juwelier, er wird den Unterschied der
Steine schon angeben." Da sprach der König: "Siehst du, Nikolas, die Klug¬
heit der Juden? Wahrlich, ein solcher Weiser verdient mit Geschenken und
Ehren entlassen zu werden, du aber müßtest Strafe erhalten, weil du die ge-
sammten Juden verleumdet hast."

Vergleichen wir die Relation des Schedels Jehuda mit den drei italienischen
Darstellungen, so müssen wir gestehen, daß eine Reihe von inneren Gründen
ihr den Stempel der Ursprünglichkeit aufdrückt. Vor allem zeigt die jüdische
Quelle in der ganzen Komposition größere Konzinnität. Alles ordnet sich besser
zusammen und ist schlagender und zutreffender. Dazu kommt, daß die Quelle
nicht nur die Parabel, sondern auch ganz ausführlich eine Thatsache angibt.
Wir sehen deutlich, wodurch die Parabel veranlaßt wird und wie sie zu Stande
kommt. Die Parabel selbst zeigt größere Schärfe und Praegnanz. Die beiden
Edelsteine sind die beiden Religionen, der Vater ist Gott, die beiden Söhne
sind die Juden und Christen.**) In den italienischen Darstellungen hinkt die




*) Eine oft im talmudischen Schriftthum vorkommende Redensart.
**) Nach talmudisch-rabbinischer Anschauung gilt Esau als Repräsentant von Eton,
dieses aber steht in übertragener Bedeutung für Rom und dann auch für die Christen.
Eton bedeutet Rom, weil Jdumäer die ersten Bekenner des Christenthums waren, welches
Constantin zur römischen Staatsreligion erhob.

auf ihre Bekenner." Der Weise sprach: „Nach einer dreitägigen Ueberlegung
will ich meinem Könige Bescheid geben, wenn es ihm recht ist", womit sich der
König einverstanden erklärte. Nach drei Tagen erschien der Weise wieder und
stellte sich aufgebracht und verstimmt. Auf die Früge des Königs: „Warum
bist du so verstimmt?" gab er zur Antwort: „Man hat mich heute wegen
nichts geschmäht, und dir, unserm Herrn, liegt es ob, meine Rechtssache zu
führen. Dieselbe besteht darin: Vor einem Monate reiste mein Nachbar in
die Ferne, und um seine beiden Söhne zu trösten, ließ er ihnen zwei Edelsteine
zurück. Nun kamen die beiden Brüder zu mir und verlangten von mir, ich
sollte sie von der Eigenthümlichkeit der Steine und deren Unterschied in
Kenntniß setzen. Als ich ihnen bemerkte, daß dazu niemand geeigneter sei, als
ihr Vater, der ja eine große Meisterschaft in der Kenntniß der Steine nach
Werth und Form besitze, da er Juwelier sei, sie also an ihn sich wenden
möchten, schlugen sie mich und schmähten mich wegen dieses Bescheides." —
„Da haben sie Unrecht gethan," sprach der König, „sie verdienen bestraft zu
werden." Der Weise versetzte darauf: „So mögen denn deine Ohren, o König,
vernehmen, was soeben dein Mund gesprochen!*) Siehe, auch Esau und Jakob
sind Brüder, von denen jeder einen Edelstein erhielt, und unser Herr fragt nun,
welches der bessere sei. Möge unser Herr doch einen Boten an den Vater im
Himmel senden, denn das ist der größte Juwelier, er wird den Unterschied der
Steine schon angeben." Da sprach der König: „Siehst du, Nikolas, die Klug¬
heit der Juden? Wahrlich, ein solcher Weiser verdient mit Geschenken und
Ehren entlassen zu werden, du aber müßtest Strafe erhalten, weil du die ge-
sammten Juden verleumdet hast."

Vergleichen wir die Relation des Schedels Jehuda mit den drei italienischen
Darstellungen, so müssen wir gestehen, daß eine Reihe von inneren Gründen
ihr den Stempel der Ursprünglichkeit aufdrückt. Vor allem zeigt die jüdische
Quelle in der ganzen Komposition größere Konzinnität. Alles ordnet sich besser
zusammen und ist schlagender und zutreffender. Dazu kommt, daß die Quelle
nicht nur die Parabel, sondern auch ganz ausführlich eine Thatsache angibt.
Wir sehen deutlich, wodurch die Parabel veranlaßt wird und wie sie zu Stande
kommt. Die Parabel selbst zeigt größere Schärfe und Praegnanz. Die beiden
Edelsteine sind die beiden Religionen, der Vater ist Gott, die beiden Söhne
sind die Juden und Christen.**) In den italienischen Darstellungen hinkt die




*) Eine oft im talmudischen Schriftthum vorkommende Redensart.
**) Nach talmudisch-rabbinischer Anschauung gilt Esau als Repräsentant von Eton,
dieses aber steht in übertragener Bedeutung für Rom und dann auch für die Christen.
Eton bedeutet Rom, weil Jdumäer die ersten Bekenner des Christenthums waren, welches
Constantin zur römischen Staatsreligion erhob.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/140>, abgerufen am 23.07.2024.