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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Ueberzeugung gelangt ist. daß sich in der Republik leben läßt, daß sie Frieden,
Ordnung und Gedeihen bedeuten kann, und daß man den Versuch fortsetzen
darf, dies durch die Erfahrung zu erproben. Eine Umkehrung der Verhältnisse
wie diese ist selten dagewesen. Bisher waren die Reaktionäre im Senat um
38 Stimmen stärker als die Freunde der Republik, fortan werden die letzteren
58 Stimmen mehr als jene zählen. Bei der ersten Senatorenwahl belief sich
die Zahl der Wähler, die für reaktionäre Kandidaten stimmten, auf 14000,
während sie jetzt auf 3000 herabgesunken ist, die der republikanisch votirenden
war damals nur etwa 5000, wogegen sie bei der Wahl vom 5. Januar 16000
betrug.

Am übelsten aber sind gerade die Bonapartisten gefahren, diejenige
Partei, welche in den letzten fünf Jahren am sichersten und anspruchvollsten
auftrat. Für immer abgethan jedoch sind sie keineswegs. Sie sind unpopulär
geworden, aber sie können ihre einstige Popularität unter Umständen wieder¬
gewinnen. Der Graf Chambord ist bei der großen Mehrheit der Franzosen
entschieden in Mißkredit gerathen und völlig ungefährlich geworden. Er be¬
deutet dem Bauer -- abgesehen von wenigen Gegenden, die sich daran nicht
stoßen -- Adelsvorrechte und Priesterherrschaft. Mit den Orleans steht es
wenig besser: sie hatten in den dreißiger Jahren den größten Theil der Intelligenz
des Landes für sich, haben aber diese Gunst durch unstaatsmännisches Ver¬
fahren, durch unfürstliche Betriebsamkeit und durch ihre damit zusammenhängende
Förderung unlauterer Manöver der Geldaristokratie verscherzt. Stirbt der
Graf Chambord, so werden diese Vettern von ihm mit seinen Ansprüchen zu
den genannten Makeln auf ihrem Schilde auch seine UnPopularität erben.
Der Stern der Imperialisten aber kann sehr wohl wieder einmal aufgehen und
hell erglänzen, wenn die Republikaner sich in ihrem Glücke nicht zu mäßigen
verstehen, und die Mehrheit der Bevölkerung durch Ueberstürzungen und Ueber-
eilungen der Gesetzgebung und Regierung an dem Glauben irre wird, die
Republik gewährleiste ihnen die ersehnte Entwickelung in Ruhe und Frieden.

Für die nächste Zeit sind, wie gesagt, derartige Abweichungen von dem
Wege, den die politische Klugheit vorzeichnet, nicht zu erwarten. Allerdings
soll Gambetta geäußert haben, auf die Zeit der Gefahren werde jetzt die Zeit
der Schwierigkeiten folgen, und allerdings liegen einige Fragen vor, die zu
überspannten Forderungen von Seiten der Radikalen und zu Konflikten der¬
selben mit den gemäßigten Republikanern am Ruder führen könnten. Eine
der ernstesten von diesen Fragen ist in dem Beschluß der zur Untersuchung
der Amtshandlungen des Ministeriums vom 16. Mai 1877 eingesetzten Kom¬
mission gegeben, die Mitglieder desselben in Anklagestand zu versetzen. Der
Marschall Mac Mahon hat sich bei der Beseitigung dieses Ministeriums


Ueberzeugung gelangt ist. daß sich in der Republik leben läßt, daß sie Frieden,
Ordnung und Gedeihen bedeuten kann, und daß man den Versuch fortsetzen
darf, dies durch die Erfahrung zu erproben. Eine Umkehrung der Verhältnisse
wie diese ist selten dagewesen. Bisher waren die Reaktionäre im Senat um
38 Stimmen stärker als die Freunde der Republik, fortan werden die letzteren
58 Stimmen mehr als jene zählen. Bei der ersten Senatorenwahl belief sich
die Zahl der Wähler, die für reaktionäre Kandidaten stimmten, auf 14000,
während sie jetzt auf 3000 herabgesunken ist, die der republikanisch votirenden
war damals nur etwa 5000, wogegen sie bei der Wahl vom 5. Januar 16000
betrug.

Am übelsten aber sind gerade die Bonapartisten gefahren, diejenige
Partei, welche in den letzten fünf Jahren am sichersten und anspruchvollsten
auftrat. Für immer abgethan jedoch sind sie keineswegs. Sie sind unpopulär
geworden, aber sie können ihre einstige Popularität unter Umständen wieder¬
gewinnen. Der Graf Chambord ist bei der großen Mehrheit der Franzosen
entschieden in Mißkredit gerathen und völlig ungefährlich geworden. Er be¬
deutet dem Bauer — abgesehen von wenigen Gegenden, die sich daran nicht
stoßen — Adelsvorrechte und Priesterherrschaft. Mit den Orleans steht es
wenig besser: sie hatten in den dreißiger Jahren den größten Theil der Intelligenz
des Landes für sich, haben aber diese Gunst durch unstaatsmännisches Ver¬
fahren, durch unfürstliche Betriebsamkeit und durch ihre damit zusammenhängende
Förderung unlauterer Manöver der Geldaristokratie verscherzt. Stirbt der
Graf Chambord, so werden diese Vettern von ihm mit seinen Ansprüchen zu
den genannten Makeln auf ihrem Schilde auch seine UnPopularität erben.
Der Stern der Imperialisten aber kann sehr wohl wieder einmal aufgehen und
hell erglänzen, wenn die Republikaner sich in ihrem Glücke nicht zu mäßigen
verstehen, und die Mehrheit der Bevölkerung durch Ueberstürzungen und Ueber-
eilungen der Gesetzgebung und Regierung an dem Glauben irre wird, die
Republik gewährleiste ihnen die ersehnte Entwickelung in Ruhe und Frieden.

Für die nächste Zeit sind, wie gesagt, derartige Abweichungen von dem
Wege, den die politische Klugheit vorzeichnet, nicht zu erwarten. Allerdings
soll Gambetta geäußert haben, auf die Zeit der Gefahren werde jetzt die Zeit
der Schwierigkeiten folgen, und allerdings liegen einige Fragen vor, die zu
überspannten Forderungen von Seiten der Radikalen und zu Konflikten der¬
selben mit den gemäßigten Republikanern am Ruder führen könnten. Eine
der ernstesten von diesen Fragen ist in dem Beschluß der zur Untersuchung
der Amtshandlungen des Ministeriums vom 16. Mai 1877 eingesetzten Kom¬
mission gegeben, die Mitglieder desselben in Anklagestand zu versetzen. Der
Marschall Mac Mahon hat sich bei der Beseitigung dieses Ministeriums


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[0134] Ueberzeugung gelangt ist. daß sich in der Republik leben läßt, daß sie Frieden, Ordnung und Gedeihen bedeuten kann, und daß man den Versuch fortsetzen darf, dies durch die Erfahrung zu erproben. Eine Umkehrung der Verhältnisse wie diese ist selten dagewesen. Bisher waren die Reaktionäre im Senat um 38 Stimmen stärker als die Freunde der Republik, fortan werden die letzteren 58 Stimmen mehr als jene zählen. Bei der ersten Senatorenwahl belief sich die Zahl der Wähler, die für reaktionäre Kandidaten stimmten, auf 14000, während sie jetzt auf 3000 herabgesunken ist, die der republikanisch votirenden war damals nur etwa 5000, wogegen sie bei der Wahl vom 5. Januar 16000 betrug. Am übelsten aber sind gerade die Bonapartisten gefahren, diejenige Partei, welche in den letzten fünf Jahren am sichersten und anspruchvollsten auftrat. Für immer abgethan jedoch sind sie keineswegs. Sie sind unpopulär geworden, aber sie können ihre einstige Popularität unter Umständen wieder¬ gewinnen. Der Graf Chambord ist bei der großen Mehrheit der Franzosen entschieden in Mißkredit gerathen und völlig ungefährlich geworden. Er be¬ deutet dem Bauer — abgesehen von wenigen Gegenden, die sich daran nicht stoßen — Adelsvorrechte und Priesterherrschaft. Mit den Orleans steht es wenig besser: sie hatten in den dreißiger Jahren den größten Theil der Intelligenz des Landes für sich, haben aber diese Gunst durch unstaatsmännisches Ver¬ fahren, durch unfürstliche Betriebsamkeit und durch ihre damit zusammenhängende Förderung unlauterer Manöver der Geldaristokratie verscherzt. Stirbt der Graf Chambord, so werden diese Vettern von ihm mit seinen Ansprüchen zu den genannten Makeln auf ihrem Schilde auch seine UnPopularität erben. Der Stern der Imperialisten aber kann sehr wohl wieder einmal aufgehen und hell erglänzen, wenn die Republikaner sich in ihrem Glücke nicht zu mäßigen verstehen, und die Mehrheit der Bevölkerung durch Ueberstürzungen und Ueber- eilungen der Gesetzgebung und Regierung an dem Glauben irre wird, die Republik gewährleiste ihnen die ersehnte Entwickelung in Ruhe und Frieden. Für die nächste Zeit sind, wie gesagt, derartige Abweichungen von dem Wege, den die politische Klugheit vorzeichnet, nicht zu erwarten. Allerdings soll Gambetta geäußert haben, auf die Zeit der Gefahren werde jetzt die Zeit der Schwierigkeiten folgen, und allerdings liegen einige Fragen vor, die zu überspannten Forderungen von Seiten der Radikalen und zu Konflikten der¬ selben mit den gemäßigten Republikanern am Ruder führen könnten. Eine der ernstesten von diesen Fragen ist in dem Beschluß der zur Untersuchung der Amtshandlungen des Ministeriums vom 16. Mai 1877 eingesetzten Kom¬ mission gegeben, die Mitglieder desselben in Anklagestand zu versetzen. Der Marschall Mac Mahon hat sich bei der Beseitigung dieses Ministeriums

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/134>, abgerufen am 01.07.2024.