Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Architekten-Verein gegenüber ausführte, daß bereits auf der Universität das
Studium der Mathematik und Naturwissenschaft ohne eigentliche klassische Bil¬
dung betrieben werden könne.

Wir können uns trotzdem für den Vorschlag der Regierung, daß die Abi¬
turienten der Gymnasien und Gewerbeschulen in gleicher Weise Zutritt zur
technischen Hochschule haben sollen, nicht begeistern. Die sachliche Vorbildung
wird dadurch viel zu verschiedenartig, als daß sie für den Unterricht gedeihlich
sein könnte. Die Erfahrungen, die man in dieser Beziehung an den polytechnischen
Schulen gemacht hat, sollten hier zur Lehre dienen. Der Unterricht ist genöthigt,
auf diejenigen, welche mit dem geringsten Fonds von Vorkenntnissen eintreten,
Rücksicht zu nehmen, und vernachlässigt dabei die andern. Diese finden es der
Mühe nicht werth, den Unterricht zu benutzen, verfehlen den Zeitpunkt, wo das¬
jenige kommt, was ihren Kenntnissen angemessen ist, und bleiben so zurück.
Das ist die Erfahrung an Polytechniker mit ungefähr gleicher Anzahl Gym¬
nasial- und Realschul-Abiturienten. An den Universitäten ist es ähnlich; nur
werden dort die Erfahrungen falsch gedeutet. Mau würde an der polytechnischen
Hochschule diesen Gefahren aus dem Wege gehen, wenn die Gymnasien-Abitu-
rienten einem Nachexamen unterworfen würden oder, wenn dies nicht beliebt
würde, an der technischen Hochschule Alle erst ein Aufnahme-Examen zu machen
hätten. Uns erscheint der letztere Ausweg des allgemeinen Aufnahmeexamens
als der beste.

Wegen der Theilung, die das preußische Handelsmiuisterium erfahren hat,
und weil die Verwaltung der Gewerbeschulen eine ungemein zersplitterte ist,
ist es ferner nöthig geworden, das technische Schulwesen dem Kultusministerium
unterzuordnen. Man hatte im Abgeordnetenhause große Bedenken dagegen,
und mit Recht. Man fürchtete, daß in dieser Verwaltung die Fachbildung
noch mehr, als es bei uns in Deutschland ohnehin schon der Fall ist, erdrückt
werden würde. Der Abgeordnete Miquel hat nun in der Budgetkommission
einen glücklichen Ausweg gefunden, um dieser Gefahr zu entgehen. Er stellte
den Antrag: "Die Staatsregierung aufzufordern, bei Ueberweisung der tech¬
nischen Unterrichtsanstalten an das Unterrichtsministerium eine ständige Kom¬
mission, in welcher außer den Ministerien der geistlichen, Unterrichts- und
Medizinal-Angelegenheiten für Handel und Gewerbe und für öffentliche Arbeiten
sachkundige Mitglieder aus dem Gewerbe- und Handwerkerstande vertreten sind,
einzusetzen und dieselbe bei der weiteren Entwickelung des technischen Schul¬
wesens und bei wichtigen Fragen der Verwaltung derselben gutachtlich zu hören."
Der Antrag fand die Zustimmung der Regierungskommission und wird sicher¬
lich angenommen werden. Auch gegen den weiteren Antrag des Abgeordneten
Cohn, die landwirthschaftlichen Schulen gleichfalls dem Unterrichtsminister


Architekten-Verein gegenüber ausführte, daß bereits auf der Universität das
Studium der Mathematik und Naturwissenschaft ohne eigentliche klassische Bil¬
dung betrieben werden könne.

Wir können uns trotzdem für den Vorschlag der Regierung, daß die Abi¬
turienten der Gymnasien und Gewerbeschulen in gleicher Weise Zutritt zur
technischen Hochschule haben sollen, nicht begeistern. Die sachliche Vorbildung
wird dadurch viel zu verschiedenartig, als daß sie für den Unterricht gedeihlich
sein könnte. Die Erfahrungen, die man in dieser Beziehung an den polytechnischen
Schulen gemacht hat, sollten hier zur Lehre dienen. Der Unterricht ist genöthigt,
auf diejenigen, welche mit dem geringsten Fonds von Vorkenntnissen eintreten,
Rücksicht zu nehmen, und vernachlässigt dabei die andern. Diese finden es der
Mühe nicht werth, den Unterricht zu benutzen, verfehlen den Zeitpunkt, wo das¬
jenige kommt, was ihren Kenntnissen angemessen ist, und bleiben so zurück.
Das ist die Erfahrung an Polytechniker mit ungefähr gleicher Anzahl Gym¬
nasial- und Realschul-Abiturienten. An den Universitäten ist es ähnlich; nur
werden dort die Erfahrungen falsch gedeutet. Mau würde an der polytechnischen
Hochschule diesen Gefahren aus dem Wege gehen, wenn die Gymnasien-Abitu-
rienten einem Nachexamen unterworfen würden oder, wenn dies nicht beliebt
würde, an der technischen Hochschule Alle erst ein Aufnahme-Examen zu machen
hätten. Uns erscheint der letztere Ausweg des allgemeinen Aufnahmeexamens
als der beste.

Wegen der Theilung, die das preußische Handelsmiuisterium erfahren hat,
und weil die Verwaltung der Gewerbeschulen eine ungemein zersplitterte ist,
ist es ferner nöthig geworden, das technische Schulwesen dem Kultusministerium
unterzuordnen. Man hatte im Abgeordnetenhause große Bedenken dagegen,
und mit Recht. Man fürchtete, daß in dieser Verwaltung die Fachbildung
noch mehr, als es bei uns in Deutschland ohnehin schon der Fall ist, erdrückt
werden würde. Der Abgeordnete Miquel hat nun in der Budgetkommission
einen glücklichen Ausweg gefunden, um dieser Gefahr zu entgehen. Er stellte
den Antrag: „Die Staatsregierung aufzufordern, bei Ueberweisung der tech¬
nischen Unterrichtsanstalten an das Unterrichtsministerium eine ständige Kom¬
mission, in welcher außer den Ministerien der geistlichen, Unterrichts- und
Medizinal-Angelegenheiten für Handel und Gewerbe und für öffentliche Arbeiten
sachkundige Mitglieder aus dem Gewerbe- und Handwerkerstande vertreten sind,
einzusetzen und dieselbe bei der weiteren Entwickelung des technischen Schul¬
wesens und bei wichtigen Fragen der Verwaltung derselben gutachtlich zu hören."
Der Antrag fand die Zustimmung der Regierungskommission und wird sicher¬
lich angenommen werden. Auch gegen den weiteren Antrag des Abgeordneten
Cohn, die landwirthschaftlichen Schulen gleichfalls dem Unterrichtsminister


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0122" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/141533"/>
          <p xml:id="ID_370" prev="#ID_369"> Architekten-Verein gegenüber ausführte, daß bereits auf der Universität das<lb/>
Studium der Mathematik und Naturwissenschaft ohne eigentliche klassische Bil¬<lb/>
dung betrieben werden könne.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_371"> Wir können uns trotzdem für den Vorschlag der Regierung, daß die Abi¬<lb/>
turienten der Gymnasien und Gewerbeschulen in gleicher Weise Zutritt zur<lb/>
technischen Hochschule haben sollen, nicht begeistern. Die sachliche Vorbildung<lb/>
wird dadurch viel zu verschiedenartig, als daß sie für den Unterricht gedeihlich<lb/>
sein könnte. Die Erfahrungen, die man in dieser Beziehung an den polytechnischen<lb/>
Schulen gemacht hat, sollten hier zur Lehre dienen. Der Unterricht ist genöthigt,<lb/>
auf diejenigen, welche mit dem geringsten Fonds von Vorkenntnissen eintreten,<lb/>
Rücksicht zu nehmen, und vernachlässigt dabei die andern. Diese finden es der<lb/>
Mühe nicht werth, den Unterricht zu benutzen, verfehlen den Zeitpunkt, wo das¬<lb/>
jenige kommt, was ihren Kenntnissen angemessen ist, und bleiben so zurück.<lb/>
Das ist die Erfahrung an Polytechniker mit ungefähr gleicher Anzahl Gym¬<lb/>
nasial- und Realschul-Abiturienten. An den Universitäten ist es ähnlich; nur<lb/>
werden dort die Erfahrungen falsch gedeutet. Mau würde an der polytechnischen<lb/>
Hochschule diesen Gefahren aus dem Wege gehen, wenn die Gymnasien-Abitu-<lb/>
rienten einem Nachexamen unterworfen würden oder, wenn dies nicht beliebt<lb/>
würde, an der technischen Hochschule Alle erst ein Aufnahme-Examen zu machen<lb/>
hätten. Uns erscheint der letztere Ausweg des allgemeinen Aufnahmeexamens<lb/>
als der beste.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_372" next="#ID_373"> Wegen der Theilung, die das preußische Handelsmiuisterium erfahren hat,<lb/>
und weil die Verwaltung der Gewerbeschulen eine ungemein zersplitterte ist,<lb/>
ist es ferner nöthig geworden, das technische Schulwesen dem Kultusministerium<lb/>
unterzuordnen. Man hatte im Abgeordnetenhause große Bedenken dagegen,<lb/>
und mit Recht. Man fürchtete, daß in dieser Verwaltung die Fachbildung<lb/>
noch mehr, als es bei uns in Deutschland ohnehin schon der Fall ist, erdrückt<lb/>
werden würde. Der Abgeordnete Miquel hat nun in der Budgetkommission<lb/>
einen glücklichen Ausweg gefunden, um dieser Gefahr zu entgehen. Er stellte<lb/>
den Antrag: &#x201E;Die Staatsregierung aufzufordern, bei Ueberweisung der tech¬<lb/>
nischen Unterrichtsanstalten an das Unterrichtsministerium eine ständige Kom¬<lb/>
mission, in welcher außer den Ministerien der geistlichen, Unterrichts- und<lb/>
Medizinal-Angelegenheiten für Handel und Gewerbe und für öffentliche Arbeiten<lb/>
sachkundige Mitglieder aus dem Gewerbe- und Handwerkerstande vertreten sind,<lb/>
einzusetzen und dieselbe bei der weiteren Entwickelung des technischen Schul¬<lb/>
wesens und bei wichtigen Fragen der Verwaltung derselben gutachtlich zu hören."<lb/>
Der Antrag fand die Zustimmung der Regierungskommission und wird sicher¬<lb/>
lich angenommen werden. Auch gegen den weiteren Antrag des Abgeordneten<lb/>
Cohn, die landwirthschaftlichen Schulen gleichfalls dem Unterrichtsminister</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0122] Architekten-Verein gegenüber ausführte, daß bereits auf der Universität das Studium der Mathematik und Naturwissenschaft ohne eigentliche klassische Bil¬ dung betrieben werden könne. Wir können uns trotzdem für den Vorschlag der Regierung, daß die Abi¬ turienten der Gymnasien und Gewerbeschulen in gleicher Weise Zutritt zur technischen Hochschule haben sollen, nicht begeistern. Die sachliche Vorbildung wird dadurch viel zu verschiedenartig, als daß sie für den Unterricht gedeihlich sein könnte. Die Erfahrungen, die man in dieser Beziehung an den polytechnischen Schulen gemacht hat, sollten hier zur Lehre dienen. Der Unterricht ist genöthigt, auf diejenigen, welche mit dem geringsten Fonds von Vorkenntnissen eintreten, Rücksicht zu nehmen, und vernachlässigt dabei die andern. Diese finden es der Mühe nicht werth, den Unterricht zu benutzen, verfehlen den Zeitpunkt, wo das¬ jenige kommt, was ihren Kenntnissen angemessen ist, und bleiben so zurück. Das ist die Erfahrung an Polytechniker mit ungefähr gleicher Anzahl Gym¬ nasial- und Realschul-Abiturienten. An den Universitäten ist es ähnlich; nur werden dort die Erfahrungen falsch gedeutet. Mau würde an der polytechnischen Hochschule diesen Gefahren aus dem Wege gehen, wenn die Gymnasien-Abitu- rienten einem Nachexamen unterworfen würden oder, wenn dies nicht beliebt würde, an der technischen Hochschule Alle erst ein Aufnahme-Examen zu machen hätten. Uns erscheint der letztere Ausweg des allgemeinen Aufnahmeexamens als der beste. Wegen der Theilung, die das preußische Handelsmiuisterium erfahren hat, und weil die Verwaltung der Gewerbeschulen eine ungemein zersplitterte ist, ist es ferner nöthig geworden, das technische Schulwesen dem Kultusministerium unterzuordnen. Man hatte im Abgeordnetenhause große Bedenken dagegen, und mit Recht. Man fürchtete, daß in dieser Verwaltung die Fachbildung noch mehr, als es bei uns in Deutschland ohnehin schon der Fall ist, erdrückt werden würde. Der Abgeordnete Miquel hat nun in der Budgetkommission einen glücklichen Ausweg gefunden, um dieser Gefahr zu entgehen. Er stellte den Antrag: „Die Staatsregierung aufzufordern, bei Ueberweisung der tech¬ nischen Unterrichtsanstalten an das Unterrichtsministerium eine ständige Kom¬ mission, in welcher außer den Ministerien der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten für Handel und Gewerbe und für öffentliche Arbeiten sachkundige Mitglieder aus dem Gewerbe- und Handwerkerstande vertreten sind, einzusetzen und dieselbe bei der weiteren Entwickelung des technischen Schul¬ wesens und bei wichtigen Fragen der Verwaltung derselben gutachtlich zu hören." Der Antrag fand die Zustimmung der Regierungskommission und wird sicher¬ lich angenommen werden. Auch gegen den weiteren Antrag des Abgeordneten Cohn, die landwirthschaftlichen Schulen gleichfalls dem Unterrichtsminister

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/122
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/122>, abgerufen am 01.07.2024.