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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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die von ihm in's Freie führende, mit kleinen Figuren belebte Straße darstellte.
Fritz Werner malt in kalten, scharf von einander abgegrenzten Lokaltönen ohne
Lustperspektive. Er weiß aber dafür mit der Linearperspektive so genau Be¬
scheid, daß kein einziges der Figürchen aus seinem Plan heraus- und in einen
anderen hineinfällt, wie es Alma Tadema auf seinem in dem vorigen Artikel
geschilderten Bilde passirt ist.

Unter den Düsseldorfer Genremalern steht dieses Mal L. Bokelmann
obenan, ein Künstler, der erst feit einem Jahre durch den jetzt in Paris be¬
findlichen "Zusammenbruch einer Volksbank" die allgemeine Aufmerksamkeit auf
sich gelenkt hat, weil er durch eine glückliche Stoffwahl den Nerv der Zeit be¬
rührte. War dieses Bild in den Gruppen der Verzweifelten und Wehklagen¬
den, die vor dem Bankgebäude versammelt sind, nicht ohne tiefe, herzbewegende
Tragik, so ist der Hauptzug seines neuen Bildes, das ebenfalls eine Straßen¬
szene darstellt, aber eine fröhlichere, ein feiner, liebenswürdiger Humor, jener
naive, schalkhafte Humor, der unseren Nachbarn jenseits des Rhein's so ganz
und gar ausgegangen ist, oder den sie vielleicht niemals besessen haben. Es
scheint, daß Bokelmann nicht unbeeinflußt von der französischen Technik ge¬
blieben ist. Seine Figuren sind scharf umrissen und vollkommen plastisch her¬
ausgebildet, auch ohne Luftperspektive, so daß jeder Lokalton isolirt wirkt. Das
ist die Manier, welche die junge Generation in Frankreich, die ans den Schul¬
tern Meissonnier's steht, in die Mode gebracht hat. Der Deutsche ist nicht so
fein und geistreich, aber dasür lebensfrischer und ergötzlicher. Vor der geöff¬
neten Thür eines durch ein paar Lampen erhellten Bazars, dessen Inhaber
hoch hinter dem Ladentische stehend ihre spottbilligen Waaren den staunenden
Kleinstädtern anpreisen, steht eine Schaar Frauen und Mädchen mit gerötheten
Wangen -- es ist Winterszeit und der Schnee liegt dick auf der Straße, --
unschlüssig, ob sie den Rufen der Lockvögel folgen oder ihre Wanderung fort¬
setzen sollen. In der Thür drängen sich die Kommenden und die Gehenden.
An einem Fenster des Ladens sieht man zwei Bauerfrauen, die mit mißtraui¬
schen Blicken das Gewebe des eben erhandelten Linnenzeuges prüfen.

Neben diesem lebensvollen, keck hingeworfenen Bilde provinziellen Lebens
verblaßt selbst der Altmeister Vautier, dessen Tanzpause auf einer elsässischen
Hochzeit zwar einen seltenen Reichthum von hübschen, herzigen Mädchenge¬
stalten aufweist, aber so flau gemalt ist, daß man doch nicht zum rechten Ge¬
nusse kommt. Eine andere Tanzpause von dem Düsseldorfer Seyppel zeigt
wenigst eine scharf charcckterisirte Figur, einen langen Flötisten, welcher den
Moment der Ruhe benutzt, um den fälligen Obolus von den Dorfkavalieren
einzusammeln, und der gerade an einen Burschen gekommen ist, dem es offen¬
bar Schwierigkeiten macht, seiner Westentasche den Tribut abzuringen. Carl


die von ihm in's Freie führende, mit kleinen Figuren belebte Straße darstellte.
Fritz Werner malt in kalten, scharf von einander abgegrenzten Lokaltönen ohne
Lustperspektive. Er weiß aber dafür mit der Linearperspektive so genau Be¬
scheid, daß kein einziges der Figürchen aus seinem Plan heraus- und in einen
anderen hineinfällt, wie es Alma Tadema auf seinem in dem vorigen Artikel
geschilderten Bilde passirt ist.

Unter den Düsseldorfer Genremalern steht dieses Mal L. Bokelmann
obenan, ein Künstler, der erst feit einem Jahre durch den jetzt in Paris be¬
findlichen „Zusammenbruch einer Volksbank" die allgemeine Aufmerksamkeit auf
sich gelenkt hat, weil er durch eine glückliche Stoffwahl den Nerv der Zeit be¬
rührte. War dieses Bild in den Gruppen der Verzweifelten und Wehklagen¬
den, die vor dem Bankgebäude versammelt sind, nicht ohne tiefe, herzbewegende
Tragik, so ist der Hauptzug seines neuen Bildes, das ebenfalls eine Straßen¬
szene darstellt, aber eine fröhlichere, ein feiner, liebenswürdiger Humor, jener
naive, schalkhafte Humor, der unseren Nachbarn jenseits des Rhein's so ganz
und gar ausgegangen ist, oder den sie vielleicht niemals besessen haben. Es
scheint, daß Bokelmann nicht unbeeinflußt von der französischen Technik ge¬
blieben ist. Seine Figuren sind scharf umrissen und vollkommen plastisch her¬
ausgebildet, auch ohne Luftperspektive, so daß jeder Lokalton isolirt wirkt. Das
ist die Manier, welche die junge Generation in Frankreich, die ans den Schul¬
tern Meissonnier's steht, in die Mode gebracht hat. Der Deutsche ist nicht so
fein und geistreich, aber dasür lebensfrischer und ergötzlicher. Vor der geöff¬
neten Thür eines durch ein paar Lampen erhellten Bazars, dessen Inhaber
hoch hinter dem Ladentische stehend ihre spottbilligen Waaren den staunenden
Kleinstädtern anpreisen, steht eine Schaar Frauen und Mädchen mit gerötheten
Wangen — es ist Winterszeit und der Schnee liegt dick auf der Straße, —
unschlüssig, ob sie den Rufen der Lockvögel folgen oder ihre Wanderung fort¬
setzen sollen. In der Thür drängen sich die Kommenden und die Gehenden.
An einem Fenster des Ladens sieht man zwei Bauerfrauen, die mit mißtraui¬
schen Blicken das Gewebe des eben erhandelten Linnenzeuges prüfen.

Neben diesem lebensvollen, keck hingeworfenen Bilde provinziellen Lebens
verblaßt selbst der Altmeister Vautier, dessen Tanzpause auf einer elsässischen
Hochzeit zwar einen seltenen Reichthum von hübschen, herzigen Mädchenge¬
stalten aufweist, aber so flau gemalt ist, daß man doch nicht zum rechten Ge¬
nusse kommt. Eine andere Tanzpause von dem Düsseldorfer Seyppel zeigt
wenigst eine scharf charcckterisirte Figur, einen langen Flötisten, welcher den
Moment der Ruhe benutzt, um den fälligen Obolus von den Dorfkavalieren
einzusammeln, und der gerade an einen Burschen gekommen ist, dem es offen¬
bar Schwierigkeiten macht, seiner Westentasche den Tribut abzuringen. Carl


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/92>, abgerufen am 05.02.2025.