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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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"Die Gewinnbetheiligung. Untersuchungen über Arbeitslohn und Unternehmerge¬
winn" (Leipzig, Brockhaus). Der Autor ist bekanntlich Direktor des statistischen
Amts für das Königreich Sachsen und liest am Dresdener Polytechnikum über
Volkswirthschaft. Wie zu unseren namhaftesten, so gehört er zu den in unserem
gesegneten Vaterlande nicht allzuhäufigen Nationalökonomen, deren literarisches
Wesen und Wirken dnrch einen tief sympathischen, auch widerwillige Leser
unwiderstehlich fesselnden Zug gekennzeichnet ist. Bei seltenem Wissen zeichnet
ihn eine seltene Bescheidenheit aus, eine freundliche Milde des Urtheils, eine
völlige Abwesenheit von anmaßender Ueberhebung, wie sie bei viel geringerem
Anlasse gar manchem unserer Volkswirthe eignet. Wissenschaftlich steht Böhmert
ganz auf dem Boden der Freihandelsschule, aber sein harmonischer Charakter
bewahrt ihn vor jedem beschränkten Fanatismus, und er berührt sich ziemlich
nahe mit dem rechten Flügel des Kathedersozialismus, wie er etwa durch Held
und Nasse vertreten wird. Gerade seine gewinnenden Eigenschaften erklären
es am leichtesten, wenn er in der literarischen Fehde vielleicht zu reservirt, in
der Auffassung unserer wirthschaftlichen Entwickelung vielleicht zu optimistisch
ist. Für die sozialdemokratische Agitation war es höchst charakteristisch, daß
sie gerade diesen wohlwollenden Mann, den die redlichste Liebe für den Ar¬
beiterstand beseelt, zur Zielscheibe der boshaftesten und verlogensten Angriffe
machte. Namentlich ein Schriftsetzer^ in Zürich zeichnete sich hierin aus; er
schrieb ein dickes Pamphlet gegen Böhmert als einen "Fälscher der Wissen¬
schaft", ein ganz unsagbar widerwärtiges Machwerk, das in Wirklichkeit nur
die Kraftschimpfreden Lassalle's gegen Schulze-Delitzsch, natürlich nach sorg¬
fältigster Ausscheidung aller geistigen Bezüge, zu einem wüsten Brei zusammen¬
rührte, aber trotzdem selbst in "wissenschaftlichen" Kritiken "unparteiischer"
Zeitschriften über den Schellendaus gepriesen wurde, was für die deutsche
Gelehrtenwelt nicht besonders erhebend und für den Gefeierten nicht besonders
günstig war. Denn er verfiel natürlich dem Größenwahn, verließ sein ehrliches
Gewerbe, wurde Schriftsteller, Buchhändler, sozialdemokratische Autorität, ge¬
riet!) in Konkurs, Elend, Noth und verschwand schließlich jenseits des großen
Wassers, ein "Lebenslauf in auf- und absteigender Linie", in dem sich gewisse
deutsche Dinge in einer nicht gerade erquicklichen Weise spiegeln, wobei das
unglückliche Opfer selbst noch lange nicht den peinlichsten Eindruck macht.

Doch dies nebenbei. Das erwähnte Werk Böhmert's erwirbt sich das
Verdienst, in zwei starken Bänden über ein schwieriges, verwickeltes, vielum¬
strittenes Problem der modernen Produktionsweise zum ersten Male erschöpfen¬
des Material beizubringen, so weit augenblicklich überhaupt schon erschöpfendes
Material beizubringen ist. Ans den ersten Blick erscheint die Betheiligung der
Arbeiter am Gewinn als die einfachste, gründlichste nud Nächstliegende Lösung


„Die Gewinnbetheiligung. Untersuchungen über Arbeitslohn und Unternehmerge¬
winn" (Leipzig, Brockhaus). Der Autor ist bekanntlich Direktor des statistischen
Amts für das Königreich Sachsen und liest am Dresdener Polytechnikum über
Volkswirthschaft. Wie zu unseren namhaftesten, so gehört er zu den in unserem
gesegneten Vaterlande nicht allzuhäufigen Nationalökonomen, deren literarisches
Wesen und Wirken dnrch einen tief sympathischen, auch widerwillige Leser
unwiderstehlich fesselnden Zug gekennzeichnet ist. Bei seltenem Wissen zeichnet
ihn eine seltene Bescheidenheit aus, eine freundliche Milde des Urtheils, eine
völlige Abwesenheit von anmaßender Ueberhebung, wie sie bei viel geringerem
Anlasse gar manchem unserer Volkswirthe eignet. Wissenschaftlich steht Böhmert
ganz auf dem Boden der Freihandelsschule, aber sein harmonischer Charakter
bewahrt ihn vor jedem beschränkten Fanatismus, und er berührt sich ziemlich
nahe mit dem rechten Flügel des Kathedersozialismus, wie er etwa durch Held
und Nasse vertreten wird. Gerade seine gewinnenden Eigenschaften erklären
es am leichtesten, wenn er in der literarischen Fehde vielleicht zu reservirt, in
der Auffassung unserer wirthschaftlichen Entwickelung vielleicht zu optimistisch
ist. Für die sozialdemokratische Agitation war es höchst charakteristisch, daß
sie gerade diesen wohlwollenden Mann, den die redlichste Liebe für den Ar¬
beiterstand beseelt, zur Zielscheibe der boshaftesten und verlogensten Angriffe
machte. Namentlich ein Schriftsetzer^ in Zürich zeichnete sich hierin aus; er
schrieb ein dickes Pamphlet gegen Böhmert als einen „Fälscher der Wissen¬
schaft", ein ganz unsagbar widerwärtiges Machwerk, das in Wirklichkeit nur
die Kraftschimpfreden Lassalle's gegen Schulze-Delitzsch, natürlich nach sorg¬
fältigster Ausscheidung aller geistigen Bezüge, zu einem wüsten Brei zusammen¬
rührte, aber trotzdem selbst in „wissenschaftlichen" Kritiken „unparteiischer"
Zeitschriften über den Schellendaus gepriesen wurde, was für die deutsche
Gelehrtenwelt nicht besonders erhebend und für den Gefeierten nicht besonders
günstig war. Denn er verfiel natürlich dem Größenwahn, verließ sein ehrliches
Gewerbe, wurde Schriftsteller, Buchhändler, sozialdemokratische Autorität, ge¬
riet!) in Konkurs, Elend, Noth und verschwand schließlich jenseits des großen
Wassers, ein „Lebenslauf in auf- und absteigender Linie", in dem sich gewisse
deutsche Dinge in einer nicht gerade erquicklichen Weise spiegeln, wobei das
unglückliche Opfer selbst noch lange nicht den peinlichsten Eindruck macht.

Doch dies nebenbei. Das erwähnte Werk Böhmert's erwirbt sich das
Verdienst, in zwei starken Bänden über ein schwieriges, verwickeltes, vielum¬
strittenes Problem der modernen Produktionsweise zum ersten Male erschöpfen¬
des Material beizubringen, so weit augenblicklich überhaupt schon erschöpfendes
Material beizubringen ist. Ans den ersten Blick erscheint die Betheiligung der
Arbeiter am Gewinn als die einfachste, gründlichste nud Nächstliegende Lösung


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[0505] „Die Gewinnbetheiligung. Untersuchungen über Arbeitslohn und Unternehmerge¬ winn" (Leipzig, Brockhaus). Der Autor ist bekanntlich Direktor des statistischen Amts für das Königreich Sachsen und liest am Dresdener Polytechnikum über Volkswirthschaft. Wie zu unseren namhaftesten, so gehört er zu den in unserem gesegneten Vaterlande nicht allzuhäufigen Nationalökonomen, deren literarisches Wesen und Wirken dnrch einen tief sympathischen, auch widerwillige Leser unwiderstehlich fesselnden Zug gekennzeichnet ist. Bei seltenem Wissen zeichnet ihn eine seltene Bescheidenheit aus, eine freundliche Milde des Urtheils, eine völlige Abwesenheit von anmaßender Ueberhebung, wie sie bei viel geringerem Anlasse gar manchem unserer Volkswirthe eignet. Wissenschaftlich steht Böhmert ganz auf dem Boden der Freihandelsschule, aber sein harmonischer Charakter bewahrt ihn vor jedem beschränkten Fanatismus, und er berührt sich ziemlich nahe mit dem rechten Flügel des Kathedersozialismus, wie er etwa durch Held und Nasse vertreten wird. Gerade seine gewinnenden Eigenschaften erklären es am leichtesten, wenn er in der literarischen Fehde vielleicht zu reservirt, in der Auffassung unserer wirthschaftlichen Entwickelung vielleicht zu optimistisch ist. Für die sozialdemokratische Agitation war es höchst charakteristisch, daß sie gerade diesen wohlwollenden Mann, den die redlichste Liebe für den Ar¬ beiterstand beseelt, zur Zielscheibe der boshaftesten und verlogensten Angriffe machte. Namentlich ein Schriftsetzer^ in Zürich zeichnete sich hierin aus; er schrieb ein dickes Pamphlet gegen Böhmert als einen „Fälscher der Wissen¬ schaft", ein ganz unsagbar widerwärtiges Machwerk, das in Wirklichkeit nur die Kraftschimpfreden Lassalle's gegen Schulze-Delitzsch, natürlich nach sorg¬ fältigster Ausscheidung aller geistigen Bezüge, zu einem wüsten Brei zusammen¬ rührte, aber trotzdem selbst in „wissenschaftlichen" Kritiken „unparteiischer" Zeitschriften über den Schellendaus gepriesen wurde, was für die deutsche Gelehrtenwelt nicht besonders erhebend und für den Gefeierten nicht besonders günstig war. Denn er verfiel natürlich dem Größenwahn, verließ sein ehrliches Gewerbe, wurde Schriftsteller, Buchhändler, sozialdemokratische Autorität, ge¬ riet!) in Konkurs, Elend, Noth und verschwand schließlich jenseits des großen Wassers, ein „Lebenslauf in auf- und absteigender Linie", in dem sich gewisse deutsche Dinge in einer nicht gerade erquicklichen Weise spiegeln, wobei das unglückliche Opfer selbst noch lange nicht den peinlichsten Eindruck macht. Doch dies nebenbei. Das erwähnte Werk Böhmert's erwirbt sich das Verdienst, in zwei starken Bänden über ein schwieriges, verwickeltes, vielum¬ strittenes Problem der modernen Produktionsweise zum ersten Male erschöpfen¬ des Material beizubringen, so weit augenblicklich überhaupt schon erschöpfendes Material beizubringen ist. Ans den ersten Blick erscheint die Betheiligung der Arbeiter am Gewinn als die einfachste, gründlichste nud Nächstliegende Lösung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/505>, abgerufen am 05.02.2025.