Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.Staat und Kirche, die Baumgarten als Staatskirchenthum brandmarkt, mora- Staat und Kirche, die Baumgarten als Staatskirchenthum brandmarkt, mora- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0462" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/141341"/> <p xml:id="ID_1522" prev="#ID_1521"> Staat und Kirche, die Baumgarten als Staatskirchenthum brandmarkt, mora-<lb/> lisch verderblich auf die protestantische Geistlichkeit gewirkt und eine servile<lb/> Gesinnung gegen die Fürsten in ihr erzeugt habe. Bis über die Mitte des<lb/> siebzehnten Jahrhunderts hinaus ist davon wenig zu spüren. Wir berufen<lb/> uns dafür ans die unbestreitbare geschichtliche Thatsache, daß die Unionsbe-<lb/> strebungen der Hohenzollern den heftigsten, ja rücksichtslosesten Widerstand<lb/> auf Seiten der lutherischen Geistlichen gefunden haben. So wenig wir diesen<lb/> Widerstand billigen, so ist er doch ein unwüerleglicher Beweis dafür, daß die<lb/> protestantische Geistlichkeit Mannhaftigkeit genug besaß, ihre Ueberzeugung<lb/> auch gegen die Fürsten zur Geltung zu bringen. So wenig ist die Beschul¬<lb/> digung Baumgarten's begründet, daß innerhalb der genannten Zeitgrenzen viel¬<lb/> mehr die Gefahr einer Theologenherrschaft vorlag, und viel weniger der Kirche<lb/> der Cäsarenpapismns als dem Staate die Th.cÄatie drohte. Die spätere<lb/> kirchenrechtliche Theorie des Territorialismus, der do Kirchengewalt des Fürsten<lb/> als einen Ausfluß seiner Staatsgewalt ansah, c eine einseitige Reaktion<lb/> gegen das lange Zeit erfolgreiche Bemühen der The^- geu, die Interessen des<lb/> Staates den vermeintlichen Interessen der Kirche dienstbar zu macheu. So fern<lb/> lag bis dahin der protestantischen Geistlichkeit Deutschland's die Neigung zum<lb/> Servilismus, daß Georg Calixt, der Vertreter der kirchlichen Union im sieb¬<lb/> zehnten Jahrhundert, in derselben vielmehr ochlokratische Agitatoren sah, gegen<lb/> die er das Einschreiten der Fürsten forderte. Für diese ganze Zeit ist auch<lb/> der Vorwurf unbegründet, daß die Geistlichen für das öffentliche Leben keine<lb/> Theilnahme gehabt und sich von demselben zurückgezogen hätten. Von der<lb/> Mitte des siebzehnten Jahrhunderts an allerdings trat in dieser Hinsicht eine<lb/> große Aenderung ein. Das deutsche Reich zerfiel, in seinen einzelnen Theilen<lb/> aber gründeten die Territorialfürsten nach dem Vorbild Ludwig's XIV. abso¬<lb/> lute Monarchien. Die Landstände wurden immer machtloser und schwanden<lb/> hin. Der alte mannichfaltig gegliederte Staatsorganismus löste sich auf und<lb/> wurde durch die unbedingte, zentralisirende und uniformirende Herrschaft des<lb/> Fürsten ersetzt, der durch seine Beamten das Land regierte. Innerhalb dieser<lb/> neuen Ordnung der Dinge nun sank natürlich das Selbständigkeits- und Un-<lb/> abhängigkeitsgesühl in allen Gliedern des Volkes, und so auch in den Dienern<lb/> der Kirche, die mit dem Aufhören der Landstände, unter denen auch ihre Prä¬<lb/> laten gesessen hatten, das sie der Regierung gegenüber vertretende Organ ver¬<lb/> loren hatte. Denn die Konsistorien wurden je länger je mehr in Folge der<lb/> territorialistischen Theorie zu staatlichen Behörden, die nicht sowohl die Inter¬<lb/> essen der Kirche zur Geltung zu bringen, als vielmehr nach dem allgemeinen<lb/> maßgebenden Verwaltungsschematismus das staatliche Departement für kirchliche<lb/> Angelegenheiten zu verwalten hatten.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0462]
Staat und Kirche, die Baumgarten als Staatskirchenthum brandmarkt, mora-
lisch verderblich auf die protestantische Geistlichkeit gewirkt und eine servile
Gesinnung gegen die Fürsten in ihr erzeugt habe. Bis über die Mitte des
siebzehnten Jahrhunderts hinaus ist davon wenig zu spüren. Wir berufen
uns dafür ans die unbestreitbare geschichtliche Thatsache, daß die Unionsbe-
strebungen der Hohenzollern den heftigsten, ja rücksichtslosesten Widerstand
auf Seiten der lutherischen Geistlichen gefunden haben. So wenig wir diesen
Widerstand billigen, so ist er doch ein unwüerleglicher Beweis dafür, daß die
protestantische Geistlichkeit Mannhaftigkeit genug besaß, ihre Ueberzeugung
auch gegen die Fürsten zur Geltung zu bringen. So wenig ist die Beschul¬
digung Baumgarten's begründet, daß innerhalb der genannten Zeitgrenzen viel¬
mehr die Gefahr einer Theologenherrschaft vorlag, und viel weniger der Kirche
der Cäsarenpapismns als dem Staate die Th.cÄatie drohte. Die spätere
kirchenrechtliche Theorie des Territorialismus, der do Kirchengewalt des Fürsten
als einen Ausfluß seiner Staatsgewalt ansah, c eine einseitige Reaktion
gegen das lange Zeit erfolgreiche Bemühen der The^- geu, die Interessen des
Staates den vermeintlichen Interessen der Kirche dienstbar zu macheu. So fern
lag bis dahin der protestantischen Geistlichkeit Deutschland's die Neigung zum
Servilismus, daß Georg Calixt, der Vertreter der kirchlichen Union im sieb¬
zehnten Jahrhundert, in derselben vielmehr ochlokratische Agitatoren sah, gegen
die er das Einschreiten der Fürsten forderte. Für diese ganze Zeit ist auch
der Vorwurf unbegründet, daß die Geistlichen für das öffentliche Leben keine
Theilnahme gehabt und sich von demselben zurückgezogen hätten. Von der
Mitte des siebzehnten Jahrhunderts an allerdings trat in dieser Hinsicht eine
große Aenderung ein. Das deutsche Reich zerfiel, in seinen einzelnen Theilen
aber gründeten die Territorialfürsten nach dem Vorbild Ludwig's XIV. abso¬
lute Monarchien. Die Landstände wurden immer machtloser und schwanden
hin. Der alte mannichfaltig gegliederte Staatsorganismus löste sich auf und
wurde durch die unbedingte, zentralisirende und uniformirende Herrschaft des
Fürsten ersetzt, der durch seine Beamten das Land regierte. Innerhalb dieser
neuen Ordnung der Dinge nun sank natürlich das Selbständigkeits- und Un-
abhängigkeitsgesühl in allen Gliedern des Volkes, und so auch in den Dienern
der Kirche, die mit dem Aufhören der Landstände, unter denen auch ihre Prä¬
laten gesessen hatten, das sie der Regierung gegenüber vertretende Organ ver¬
loren hatte. Denn die Konsistorien wurden je länger je mehr in Folge der
territorialistischen Theorie zu staatlichen Behörden, die nicht sowohl die Inter¬
essen der Kirche zur Geltung zu bringen, als vielmehr nach dem allgemeinen
maßgebenden Verwaltungsschematismus das staatliche Departement für kirchliche
Angelegenheiten zu verwalten hatten.
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