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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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evangelischen Protestanten legitimire, sondern es ist eine Reihe ans dem Schrift-
wvrte gewonnener Erkenntnisse, eine aus ihre geschöpfte religiös-sittliche Ge-
sammtcinschauung, die zugleich die Regel ihrer Auslegung bildet, welche die
evangelische Kirche konstituirt hat und noch konstituirt. Neben dem formalen
Schristprinzip ist es das materielle Prinzip der Rechtfertigung aus dem Glauben
und des daraus folgenden Priesterthums aller Gläubigen, wovon der Prote¬
stantismus nicht weichen kann, ohne sich aufzugeben. Und diese spezifisch pro¬
testantischen Grundanschauungen wiederum schließen sich an gewisse allgemeinere
Voraussetzungen, durch welche die evangelische Kirche sich mit der Kirche aller
Zeiten verbindet und den Charakter der Katholizität gewinnt.

Nun wollen wir durchaus nicht leugnen, daß die evangelische Kirche die
Möglichkeit besitzt, ihrem Bekenntniß einen anderen Ausdruck, eine andere Fas¬
sung zu geben, als dies in den Bekenntnißschriften geschehen ist. Wir arbeiten,
wie es uns wenigstens scheint, mit einem besseren theologischen Begriffs-Apparat,
als dies früher der Fall war. Warum sollten wir also mit Hilfe desselben
nicht besseres leisten, als die Reformatoren? Aber ob ein solches denn in der
That das geleistet hätte, was es leisten sollte, das müßte doch immer erst durch
Vergleichung mit den alten Bekenntnißschriften festgestellt werden, die vermöge
ihrer Dignität als Stiftungsurkunden eine maßgebende Bedeutung nicht ver¬
lieren können. Eine Ergänzung der Bekenntnißschriften räumen wir willig den
Synoden ein, eine Aufhebung der bisherigen können wir nicht zugestehen. Unter
diesen Begriff einer Bekenntnißschrift stellen wir aber allerdings nicht die Kon-
kordienformel, diese gilt mit Unrecht als solche, sie ist nur ein theologisches
Elaborat.

Aber anch vor einer Ergänzung der Bekenntnißschriften möchten wir drin¬
gend unsere Synoden warnen. Unsere kirchliche Gegenwart ist so in sich ge¬
spalten, daß ein solcher Versuch nur eine Verschärfung der Gegensätze zur Folge
haben würde.

Der Verfasser richtet schließlich den Blick auf die Herstellung eines recht¬
lich geordneten Zusammenhangs der einzelnen deutschen Landeskirchen. Wir
stimmen damit durchaus überein, dies Ziel ist nicht aus dem Auge zu lassen.
Wie aber gegenwärtig die Dinge liegen, schließt die Verwirklichung desselben
für alle diejenigen Landeskirchen eine Gefahr in sich, in welcher lutherische und
reformirte Gemeinden mit einander in Union sich befinden. Der Gedanke einer
deutschen evangelischen Nationalkirche könnte sich leicht in die Wirklichkeit zweier
Kirchenkörper, eines lutherischen und eines reformirten, umsetzen. Und diese Gefahr
möchten wir vermieden sehen. Den ersten Schritt zu dem, wie gesagt, immer zu
setzenden Ziele würden wir daran erkennen, daß die seit 1866 von Preußen erwor¬
benen Landeskirchen mit der Landeskirche der acht älteren Provinzen zu einem


evangelischen Protestanten legitimire, sondern es ist eine Reihe ans dem Schrift-
wvrte gewonnener Erkenntnisse, eine aus ihre geschöpfte religiös-sittliche Ge-
sammtcinschauung, die zugleich die Regel ihrer Auslegung bildet, welche die
evangelische Kirche konstituirt hat und noch konstituirt. Neben dem formalen
Schristprinzip ist es das materielle Prinzip der Rechtfertigung aus dem Glauben
und des daraus folgenden Priesterthums aller Gläubigen, wovon der Prote¬
stantismus nicht weichen kann, ohne sich aufzugeben. Und diese spezifisch pro¬
testantischen Grundanschauungen wiederum schließen sich an gewisse allgemeinere
Voraussetzungen, durch welche die evangelische Kirche sich mit der Kirche aller
Zeiten verbindet und den Charakter der Katholizität gewinnt.

Nun wollen wir durchaus nicht leugnen, daß die evangelische Kirche die
Möglichkeit besitzt, ihrem Bekenntniß einen anderen Ausdruck, eine andere Fas¬
sung zu geben, als dies in den Bekenntnißschriften geschehen ist. Wir arbeiten,
wie es uns wenigstens scheint, mit einem besseren theologischen Begriffs-Apparat,
als dies früher der Fall war. Warum sollten wir also mit Hilfe desselben
nicht besseres leisten, als die Reformatoren? Aber ob ein solches denn in der
That das geleistet hätte, was es leisten sollte, das müßte doch immer erst durch
Vergleichung mit den alten Bekenntnißschriften festgestellt werden, die vermöge
ihrer Dignität als Stiftungsurkunden eine maßgebende Bedeutung nicht ver¬
lieren können. Eine Ergänzung der Bekenntnißschriften räumen wir willig den
Synoden ein, eine Aufhebung der bisherigen können wir nicht zugestehen. Unter
diesen Begriff einer Bekenntnißschrift stellen wir aber allerdings nicht die Kon-
kordienformel, diese gilt mit Unrecht als solche, sie ist nur ein theologisches
Elaborat.

Aber anch vor einer Ergänzung der Bekenntnißschriften möchten wir drin¬
gend unsere Synoden warnen. Unsere kirchliche Gegenwart ist so in sich ge¬
spalten, daß ein solcher Versuch nur eine Verschärfung der Gegensätze zur Folge
haben würde.

Der Verfasser richtet schließlich den Blick auf die Herstellung eines recht¬
lich geordneten Zusammenhangs der einzelnen deutschen Landeskirchen. Wir
stimmen damit durchaus überein, dies Ziel ist nicht aus dem Auge zu lassen.
Wie aber gegenwärtig die Dinge liegen, schließt die Verwirklichung desselben
für alle diejenigen Landeskirchen eine Gefahr in sich, in welcher lutherische und
reformirte Gemeinden mit einander in Union sich befinden. Der Gedanke einer
deutschen evangelischen Nationalkirche könnte sich leicht in die Wirklichkeit zweier
Kirchenkörper, eines lutherischen und eines reformirten, umsetzen. Und diese Gefahr
möchten wir vermieden sehen. Den ersten Schritt zu dem, wie gesagt, immer zu
setzenden Ziele würden wir daran erkennen, daß die seit 1866 von Preußen erwor¬
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/442>, abgerufen am 05.02.2025.