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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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Kirchenregiment und die Privilegirung einer Religions-Gesellschaft ausschließe.
Er ist daher darauf bedacht, die Rechte des ersteren soviel als möglich herab¬
zumindern. Wir können die Argumentation des Verfassers nicht für zwingend
erachten. Es scheint uns, daß derselbe die Bedeutung der Thatsache, daß, wie
der moderne Staat überhaupt, so auch das deutsche Reich, die bürgerliche und
staatsbürgerliche Gleichberechtigung aller Reichsangehörigen, gleichgültig, zu
welchem religiösen Bekenntnisse sie gehören, ausgesprochen hat, überschätzt. Wir
sehen darin nicht die Tendenz, das landesherrliche Kirchenregiment und die
Privilegirung einzelner Religionsgesellschaften zu untergraben und den Zusam¬
menhang zwischen Staat und Kirche aufzuheben, sondern vielmehr nur die
Absicht, die Grenze und das Maß zu bestimmen, welches die rechtliche Bevor¬
zugung bestimmter Religionsgesellschaften nicht überschreiten dürfe.

Auch gegen manche einzelne Vorschläge des Verfassers in Beziehung auf
die in's Auge zu fassende Organisation der evangelischen Kirche Bayern's haben
wir Bedenken. Es ist uns fraglich, ob die Beseitigung der Zwischeninstanz
der Dekanatssynode, für die Zorn sich ausspricht, in der That zu befürworten
sei. Wir sind mit den zu berücksichtigenden Verhältnissen nicht ausreichend
bekannt, um ein definitives Votum in dieser Angelegenheit abzugeben, möchten
aber doch die Frage aufwerfen, ob die Dekanats-Synoden nicht dadurch einen
erheblichen Dienst leisten könnten, daß sie die Proponenda der General-Synode
einer Vorberathung unterzogen und zugleich deu für die Wahl zur General-
synode qualifizirten Persönlichkeiten Gelegenheit gäben, hervorzutreten und
erkennbar zu werden.

Auch in der Frage nach der Kompetenz der General-Synoden weichen wir
vom Verfasser ab, auch abgesehen von der schon berührten Abgrenzung ihrer
Rechte gegenüber der dem Landesherrn zustehenden Gewalt. Zorn schreibt mit
Beyschlag, Dove und Bierling derselben auch das Recht zu, die Bekenntniß-
fchriften einer Abänderung zu unterwerfen. Die meisten deutschen Synodal-
Ordnnngen, so Württemberg, Oldenburg, Braunschweig, Hannover, Oesterreich,
Sachsen-Weimar, Hessen-Darmstadt schließen das Bekenntniß ansdrücklich von
der Gesetzgebung aus, und ebenso äußern sich Kirchcnrechtslehrer wie von
scheuere, Wach, Mejer. Wir müssen den Letzteren zustimmen. Nicht als ob
wir die Bekenntnißschriften sür unfehlbar hielten, davon sind wir weit ent¬
fernt. Wir gehen noch weiter, wir sehen nicht in den Bekenntnißschriften, son¬
dern in dem in ihnen enthaltenen Bekenntnisse das Fundament unserer Kirche.
Dies aber kann keiner Veränderung unterliegen, denn es stellt die eigenthüm¬
liche Auffassung des Wortes Gottes in heiliger Schrift dar, durch welche die
evangelische Kirche entstanden ist. Dieselbe ruht ja nicht in dem Sinne auf
dem Schriftwort, daß, wer uur immer sich auf dasselbe beruft, sich damit als


Kirchenregiment und die Privilegirung einer Religions-Gesellschaft ausschließe.
Er ist daher darauf bedacht, die Rechte des ersteren soviel als möglich herab¬
zumindern. Wir können die Argumentation des Verfassers nicht für zwingend
erachten. Es scheint uns, daß derselbe die Bedeutung der Thatsache, daß, wie
der moderne Staat überhaupt, so auch das deutsche Reich, die bürgerliche und
staatsbürgerliche Gleichberechtigung aller Reichsangehörigen, gleichgültig, zu
welchem religiösen Bekenntnisse sie gehören, ausgesprochen hat, überschätzt. Wir
sehen darin nicht die Tendenz, das landesherrliche Kirchenregiment und die
Privilegirung einzelner Religionsgesellschaften zu untergraben und den Zusam¬
menhang zwischen Staat und Kirche aufzuheben, sondern vielmehr nur die
Absicht, die Grenze und das Maß zu bestimmen, welches die rechtliche Bevor¬
zugung bestimmter Religionsgesellschaften nicht überschreiten dürfe.

Auch gegen manche einzelne Vorschläge des Verfassers in Beziehung auf
die in's Auge zu fassende Organisation der evangelischen Kirche Bayern's haben
wir Bedenken. Es ist uns fraglich, ob die Beseitigung der Zwischeninstanz
der Dekanatssynode, für die Zorn sich ausspricht, in der That zu befürworten
sei. Wir sind mit den zu berücksichtigenden Verhältnissen nicht ausreichend
bekannt, um ein definitives Votum in dieser Angelegenheit abzugeben, möchten
aber doch die Frage aufwerfen, ob die Dekanats-Synoden nicht dadurch einen
erheblichen Dienst leisten könnten, daß sie die Proponenda der General-Synode
einer Vorberathung unterzogen und zugleich deu für die Wahl zur General-
synode qualifizirten Persönlichkeiten Gelegenheit gäben, hervorzutreten und
erkennbar zu werden.

Auch in der Frage nach der Kompetenz der General-Synoden weichen wir
vom Verfasser ab, auch abgesehen von der schon berührten Abgrenzung ihrer
Rechte gegenüber der dem Landesherrn zustehenden Gewalt. Zorn schreibt mit
Beyschlag, Dove und Bierling derselben auch das Recht zu, die Bekenntniß-
fchriften einer Abänderung zu unterwerfen. Die meisten deutschen Synodal-
Ordnnngen, so Württemberg, Oldenburg, Braunschweig, Hannover, Oesterreich,
Sachsen-Weimar, Hessen-Darmstadt schließen das Bekenntniß ansdrücklich von
der Gesetzgebung aus, und ebenso äußern sich Kirchcnrechtslehrer wie von
scheuere, Wach, Mejer. Wir müssen den Letzteren zustimmen. Nicht als ob
wir die Bekenntnißschriften sür unfehlbar hielten, davon sind wir weit ent¬
fernt. Wir gehen noch weiter, wir sehen nicht in den Bekenntnißschriften, son¬
dern in dem in ihnen enthaltenen Bekenntnisse das Fundament unserer Kirche.
Dies aber kann keiner Veränderung unterliegen, denn es stellt die eigenthüm¬
liche Auffassung des Wortes Gottes in heiliger Schrift dar, durch welche die
evangelische Kirche entstanden ist. Dieselbe ruht ja nicht in dem Sinne auf
dem Schriftwort, daß, wer uur immer sich auf dasselbe beruft, sich damit als


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[0441] Kirchenregiment und die Privilegirung einer Religions-Gesellschaft ausschließe. Er ist daher darauf bedacht, die Rechte des ersteren soviel als möglich herab¬ zumindern. Wir können die Argumentation des Verfassers nicht für zwingend erachten. Es scheint uns, daß derselbe die Bedeutung der Thatsache, daß, wie der moderne Staat überhaupt, so auch das deutsche Reich, die bürgerliche und staatsbürgerliche Gleichberechtigung aller Reichsangehörigen, gleichgültig, zu welchem religiösen Bekenntnisse sie gehören, ausgesprochen hat, überschätzt. Wir sehen darin nicht die Tendenz, das landesherrliche Kirchenregiment und die Privilegirung einzelner Religionsgesellschaften zu untergraben und den Zusam¬ menhang zwischen Staat und Kirche aufzuheben, sondern vielmehr nur die Absicht, die Grenze und das Maß zu bestimmen, welches die rechtliche Bevor¬ zugung bestimmter Religionsgesellschaften nicht überschreiten dürfe. Auch gegen manche einzelne Vorschläge des Verfassers in Beziehung auf die in's Auge zu fassende Organisation der evangelischen Kirche Bayern's haben wir Bedenken. Es ist uns fraglich, ob die Beseitigung der Zwischeninstanz der Dekanatssynode, für die Zorn sich ausspricht, in der That zu befürworten sei. Wir sind mit den zu berücksichtigenden Verhältnissen nicht ausreichend bekannt, um ein definitives Votum in dieser Angelegenheit abzugeben, möchten aber doch die Frage aufwerfen, ob die Dekanats-Synoden nicht dadurch einen erheblichen Dienst leisten könnten, daß sie die Proponenda der General-Synode einer Vorberathung unterzogen und zugleich deu für die Wahl zur General- synode qualifizirten Persönlichkeiten Gelegenheit gäben, hervorzutreten und erkennbar zu werden. Auch in der Frage nach der Kompetenz der General-Synoden weichen wir vom Verfasser ab, auch abgesehen von der schon berührten Abgrenzung ihrer Rechte gegenüber der dem Landesherrn zustehenden Gewalt. Zorn schreibt mit Beyschlag, Dove und Bierling derselben auch das Recht zu, die Bekenntniß- fchriften einer Abänderung zu unterwerfen. Die meisten deutschen Synodal- Ordnnngen, so Württemberg, Oldenburg, Braunschweig, Hannover, Oesterreich, Sachsen-Weimar, Hessen-Darmstadt schließen das Bekenntniß ansdrücklich von der Gesetzgebung aus, und ebenso äußern sich Kirchcnrechtslehrer wie von scheuere, Wach, Mejer. Wir müssen den Letzteren zustimmen. Nicht als ob wir die Bekenntnißschriften sür unfehlbar hielten, davon sind wir weit ent¬ fernt. Wir gehen noch weiter, wir sehen nicht in den Bekenntnißschriften, son¬ dern in dem in ihnen enthaltenen Bekenntnisse das Fundament unserer Kirche. Dies aber kann keiner Veränderung unterliegen, denn es stellt die eigenthüm¬ liche Auffassung des Wortes Gottes in heiliger Schrift dar, durch welche die evangelische Kirche entstanden ist. Dieselbe ruht ja nicht in dem Sinne auf dem Schriftwort, daß, wer uur immer sich auf dasselbe beruft, sich damit als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/441>, abgerufen am 05.02.2025.