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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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Behandlung des Materials. Kleinigkeiten werden über Gebühr betont und
berücksichtigt, wie die Datirung der Chatonllenbriese, während wesentliche Dinge
übergangen oder in ein falsches Licht, das heißt meist aus dem Zusammen¬
hange gerissen werden. Alle zeigen einen gleichen Mangel an historischer Kritik.
Sie überbieten sich in der Benutzung zweifelhafter Quellen und in der Kühnheit
der Schlüsse, die alsdann von ihnen gezogen werden.

Ein Beispiel seltener Prätension ist ?seits lüstor^ ok Hrwso, ok Feots,
ein Buch, welches -- ich glaube nicht zu irren -- unter den Auspizien der
Exkaiserin Eugenie erscheinen sollte und zuerst in englischer Uebersetzung das
Licht der Welt erblickte. Die vorzügliche und reiche Ausstattung dieses zwei¬
bändigen Werkes (in 4") überbietet alles, was in dieser Hinsicht bisher bei
einem historischen Werke geleistet worden ist. Jeder deutsche Verleger wird es
nur mit stillem Grauen betrachten können. (60 Mark.) Damit hat das Lob
aber ein Ende. Der Inhalt ist um so dürftiger. Die neuen Publikationen
-- von Ranke's englischer Geschichte zu schweigen -- hat Herr Petit nach der
Manier seiner Landsleute mit Verachtung gestraft, dagegen die Memoiren von
Herries, Melon und Lesly's Geschichtswerk, sowie die ganze ältere Literatur
über Gebühr berücksichtigt. Nicht ein einziger Punkt ist zu neuer Beleuchtung
oder größerer Klarheit gekommen. Hingegen wimmelt das Buch von Fehlern
und Irrthümern aller Art.

Meline zieht gegen Front e zu Felde und weist ihm verschiedene Ueber¬
treibungen nach. Das ist aber auch Meline's einziges Verdienst. Seine übrigen
Darstellungen ermangeln jeder Stichhaltigkeit und werden Niemand überzeugen.
Herr Petrick hat es namentlich in seiner ersten Schrift verstanden, den Leser durch
Druck und Satzbau derart zu ermüden, daß es wirklich eine Arbeit genannt
werden kann, sich den Inhalt derselben anzueignen. Jedes vierte, fünfte Wort
ist fett gedruckt, der ganze Text sieht marmorirt aus, und bunt ist denn auch
der Inhalt. Man habe, meint Herr Petrick -- bescheidener Weise -- bisher
sich immer nur an die Äußerlichkeiten der Chatoullenbriefe gehalten und den
inneren Gehalt nicht genügend und im Zusammenhange mit den Ereignissen
untersucht: er habe dieses jetzt gethan, und ein untrüglicher Beweis für die
Unechtheit der Briefe sei das Resultat gewesen. Was sind nun seine Beweise?
Es sind die Ausführungen von Chalmers, denen wir nur in einer schlechteren
und unklareren Form wieder begegnen, nicht ein einziges neues Argument ist
hinzugefügt. Gleich zu Beginn der Schrift werden wir belehrt, daß Maria
Stuart's zweiter Gemahl nicht Darnley, sondern Darley geheißen habe und
bisher sich alle Historiker einer namhaften Sünde schuldig gemacht hätten; ein
überzeugender Beweis -- nach Herrn Petrick -- mit welcher ungeheuren
Kritiklosigkeit bisher die Geschichtsschreibung in Sachen Maria Stuart's ver-


Behandlung des Materials. Kleinigkeiten werden über Gebühr betont und
berücksichtigt, wie die Datirung der Chatonllenbriese, während wesentliche Dinge
übergangen oder in ein falsches Licht, das heißt meist aus dem Zusammen¬
hange gerissen werden. Alle zeigen einen gleichen Mangel an historischer Kritik.
Sie überbieten sich in der Benutzung zweifelhafter Quellen und in der Kühnheit
der Schlüsse, die alsdann von ihnen gezogen werden.

Ein Beispiel seltener Prätension ist ?seits lüstor^ ok Hrwso, ok Feots,
ein Buch, welches — ich glaube nicht zu irren — unter den Auspizien der
Exkaiserin Eugenie erscheinen sollte und zuerst in englischer Uebersetzung das
Licht der Welt erblickte. Die vorzügliche und reiche Ausstattung dieses zwei¬
bändigen Werkes (in 4") überbietet alles, was in dieser Hinsicht bisher bei
einem historischen Werke geleistet worden ist. Jeder deutsche Verleger wird es
nur mit stillem Grauen betrachten können. (60 Mark.) Damit hat das Lob
aber ein Ende. Der Inhalt ist um so dürftiger. Die neuen Publikationen
— von Ranke's englischer Geschichte zu schweigen — hat Herr Petit nach der
Manier seiner Landsleute mit Verachtung gestraft, dagegen die Memoiren von
Herries, Melon und Lesly's Geschichtswerk, sowie die ganze ältere Literatur
über Gebühr berücksichtigt. Nicht ein einziger Punkt ist zu neuer Beleuchtung
oder größerer Klarheit gekommen. Hingegen wimmelt das Buch von Fehlern
und Irrthümern aller Art.

Meline zieht gegen Front e zu Felde und weist ihm verschiedene Ueber¬
treibungen nach. Das ist aber auch Meline's einziges Verdienst. Seine übrigen
Darstellungen ermangeln jeder Stichhaltigkeit und werden Niemand überzeugen.
Herr Petrick hat es namentlich in seiner ersten Schrift verstanden, den Leser durch
Druck und Satzbau derart zu ermüden, daß es wirklich eine Arbeit genannt
werden kann, sich den Inhalt derselben anzueignen. Jedes vierte, fünfte Wort
ist fett gedruckt, der ganze Text sieht marmorirt aus, und bunt ist denn auch
der Inhalt. Man habe, meint Herr Petrick — bescheidener Weise — bisher
sich immer nur an die Äußerlichkeiten der Chatoullenbriefe gehalten und den
inneren Gehalt nicht genügend und im Zusammenhange mit den Ereignissen
untersucht: er habe dieses jetzt gethan, und ein untrüglicher Beweis für die
Unechtheit der Briefe sei das Resultat gewesen. Was sind nun seine Beweise?
Es sind die Ausführungen von Chalmers, denen wir nur in einer schlechteren
und unklareren Form wieder begegnen, nicht ein einziges neues Argument ist
hinzugefügt. Gleich zu Beginn der Schrift werden wir belehrt, daß Maria
Stuart's zweiter Gemahl nicht Darnley, sondern Darley geheißen habe und
bisher sich alle Historiker einer namhaften Sünde schuldig gemacht hätten; ein
überzeugender Beweis — nach Herrn Petrick — mit welcher ungeheuren
Kritiklosigkeit bisher die Geschichtsschreibung in Sachen Maria Stuart's ver-


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[0367] Behandlung des Materials. Kleinigkeiten werden über Gebühr betont und berücksichtigt, wie die Datirung der Chatonllenbriese, während wesentliche Dinge übergangen oder in ein falsches Licht, das heißt meist aus dem Zusammen¬ hange gerissen werden. Alle zeigen einen gleichen Mangel an historischer Kritik. Sie überbieten sich in der Benutzung zweifelhafter Quellen und in der Kühnheit der Schlüsse, die alsdann von ihnen gezogen werden. Ein Beispiel seltener Prätension ist ?seits lüstor^ ok Hrwso, ok Feots, ein Buch, welches — ich glaube nicht zu irren — unter den Auspizien der Exkaiserin Eugenie erscheinen sollte und zuerst in englischer Uebersetzung das Licht der Welt erblickte. Die vorzügliche und reiche Ausstattung dieses zwei¬ bändigen Werkes (in 4") überbietet alles, was in dieser Hinsicht bisher bei einem historischen Werke geleistet worden ist. Jeder deutsche Verleger wird es nur mit stillem Grauen betrachten können. (60 Mark.) Damit hat das Lob aber ein Ende. Der Inhalt ist um so dürftiger. Die neuen Publikationen — von Ranke's englischer Geschichte zu schweigen — hat Herr Petit nach der Manier seiner Landsleute mit Verachtung gestraft, dagegen die Memoiren von Herries, Melon und Lesly's Geschichtswerk, sowie die ganze ältere Literatur über Gebühr berücksichtigt. Nicht ein einziger Punkt ist zu neuer Beleuchtung oder größerer Klarheit gekommen. Hingegen wimmelt das Buch von Fehlern und Irrthümern aller Art. Meline zieht gegen Front e zu Felde und weist ihm verschiedene Ueber¬ treibungen nach. Das ist aber auch Meline's einziges Verdienst. Seine übrigen Darstellungen ermangeln jeder Stichhaltigkeit und werden Niemand überzeugen. Herr Petrick hat es namentlich in seiner ersten Schrift verstanden, den Leser durch Druck und Satzbau derart zu ermüden, daß es wirklich eine Arbeit genannt werden kann, sich den Inhalt derselben anzueignen. Jedes vierte, fünfte Wort ist fett gedruckt, der ganze Text sieht marmorirt aus, und bunt ist denn auch der Inhalt. Man habe, meint Herr Petrick — bescheidener Weise — bisher sich immer nur an die Äußerlichkeiten der Chatoullenbriefe gehalten und den inneren Gehalt nicht genügend und im Zusammenhange mit den Ereignissen untersucht: er habe dieses jetzt gethan, und ein untrüglicher Beweis für die Unechtheit der Briefe sei das Resultat gewesen. Was sind nun seine Beweise? Es sind die Ausführungen von Chalmers, denen wir nur in einer schlechteren und unklareren Form wieder begegnen, nicht ein einziges neues Argument ist hinzugefügt. Gleich zu Beginn der Schrift werden wir belehrt, daß Maria Stuart's zweiter Gemahl nicht Darnley, sondern Darley geheißen habe und bisher sich alle Historiker einer namhaften Sünde schuldig gemacht hätten; ein überzeugender Beweis — nach Herrn Petrick — mit welcher ungeheuren Kritiklosigkeit bisher die Geschichtsschreibung in Sachen Maria Stuart's ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/367>, abgerufen am 05.02.2025.