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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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Unordnung und der vermuthete Widerwille der Einwohner gegen längeren
Widerstand wie gegen die in Aussicht steheude Belagerung, ließen wenigstens
den Versuch zu einem Handstreich räthlich erscheinen. In der Nacht vom
9. zum 10. November wurde ein solcher unternommen; die Kolonnen verirrten
sich jedoch in der Dunkelheit; nur 3 Bataillonen gelang es, früh 4 Uhr sich
eines Blockhauses im Fort Azizie zu bemächtigen und ein türkisches Bataillon
(19 Offiziere, 540 Mann) gefangen zu nehmen. Indessen sie blieben isolirt, und
ein übermächtiger Angriff trieb sie am Morgen wieder aus dem Fort hinaus,
nachdem sie im Ganzen 632 Köpfe verloren hatten. Die Russen beschränkten
sich nunmehr auf eine leichte Zernirung der Festung, in der Ismail Pascha
das Kommando übernahm. Mukhtar Pascha, der über keine Armee mehr zu
gebieten hatte, begab sich nach Konstantinopel.

Vor Batna versuchten die Russen, nachdem sie die Absendung beträcht¬
licher Streitkräfte nach Trapesunt und Erzerum erfahren, die vorgeschobenen
Stellungen der Türken am Adkowa zu nehmen; dieselben waren aber so stark
besetzt geblieben, daß ein am 7. November unternommener Angriff auf dieselben
völlig scheiterte.

Die Festung Kars wurde nach der siegreichen Schlacht vom 15. Oktober
von allen Seiten eingeschlossen; die Besatzung verhielt sich dem gegenüber rein
abwartend. Am 4. November kamen 48 Stück Belagerungsgeschütze von
Alexandrapol an;- tags daraus wurde mit dem Bau von 12 Batterien
gegenüber der Ostfront u. z. etwa 3000 in, von den Forts Karadag, Hafiz-
Pascha und Karly (vgl. S. 183) begonnen. Ein Ausfall zur Störung der
Batteriebauten an demselben Tage wurde zurückgeschlagen. Am 11. November
eröffneten die Batterien ihr Feuer gegen die genannten Forts und die Stadt.
Die Türken, auf 6 Monate verproviantirt, legten dem gegenüber neue Bat¬
terien und Schützengräben zwischen den Forts an und richteten sich, uner-
schüttert durch das ununterbrochene heftige Feuer der russischen Batterien, zum
nachhaltigsten Widerstande ein.

Das Nahen des Winters, die Nothwendigkeit, jetzt an drei so weit ge¬
trennten Punkten zu operiren wie vor Kars, Batna und Erzerum, endlich auch
die noch immer fortdauernden Unruhen in Daghestan und im Terek-Gebiet, die
während des Winters den Verbindungen des Heeres doppelt gefährlich werdeu
konnten, ließen den Großfürsten Michael auf Mittel sinnen, bald wieder größere
Trnppenmcissen frei zur Verfügung zu haben. Ein gewaltsamer Angriff
wurde für möglich erklärt, und so wurde der Sturm auf Kars beschlossen
und die Nacht vom 17. zum 18. November zur Ausführung bestimmt.

Die Dunkelheit sollte die Wirkung des türkischen Feuers beeinträchtigen,


Unordnung und der vermuthete Widerwille der Einwohner gegen längeren
Widerstand wie gegen die in Aussicht steheude Belagerung, ließen wenigstens
den Versuch zu einem Handstreich räthlich erscheinen. In der Nacht vom
9. zum 10. November wurde ein solcher unternommen; die Kolonnen verirrten
sich jedoch in der Dunkelheit; nur 3 Bataillonen gelang es, früh 4 Uhr sich
eines Blockhauses im Fort Azizie zu bemächtigen und ein türkisches Bataillon
(19 Offiziere, 540 Mann) gefangen zu nehmen. Indessen sie blieben isolirt, und
ein übermächtiger Angriff trieb sie am Morgen wieder aus dem Fort hinaus,
nachdem sie im Ganzen 632 Köpfe verloren hatten. Die Russen beschränkten
sich nunmehr auf eine leichte Zernirung der Festung, in der Ismail Pascha
das Kommando übernahm. Mukhtar Pascha, der über keine Armee mehr zu
gebieten hatte, begab sich nach Konstantinopel.

Vor Batna versuchten die Russen, nachdem sie die Absendung beträcht¬
licher Streitkräfte nach Trapesunt und Erzerum erfahren, die vorgeschobenen
Stellungen der Türken am Adkowa zu nehmen; dieselben waren aber so stark
besetzt geblieben, daß ein am 7. November unternommener Angriff auf dieselben
völlig scheiterte.

Die Festung Kars wurde nach der siegreichen Schlacht vom 15. Oktober
von allen Seiten eingeschlossen; die Besatzung verhielt sich dem gegenüber rein
abwartend. Am 4. November kamen 48 Stück Belagerungsgeschütze von
Alexandrapol an;- tags daraus wurde mit dem Bau von 12 Batterien
gegenüber der Ostfront u. z. etwa 3000 in, von den Forts Karadag, Hafiz-
Pascha und Karly (vgl. S. 183) begonnen. Ein Ausfall zur Störung der
Batteriebauten an demselben Tage wurde zurückgeschlagen. Am 11. November
eröffneten die Batterien ihr Feuer gegen die genannten Forts und die Stadt.
Die Türken, auf 6 Monate verproviantirt, legten dem gegenüber neue Bat¬
terien und Schützengräben zwischen den Forts an und richteten sich, uner-
schüttert durch das ununterbrochene heftige Feuer der russischen Batterien, zum
nachhaltigsten Widerstande ein.

Das Nahen des Winters, die Nothwendigkeit, jetzt an drei so weit ge¬
trennten Punkten zu operiren wie vor Kars, Batna und Erzerum, endlich auch
die noch immer fortdauernden Unruhen in Daghestan und im Terek-Gebiet, die
während des Winters den Verbindungen des Heeres doppelt gefährlich werdeu
konnten, ließen den Großfürsten Michael auf Mittel sinnen, bald wieder größere
Trnppenmcissen frei zur Verfügung zu haben. Ein gewaltsamer Angriff
wurde für möglich erklärt, und so wurde der Sturm auf Kars beschlossen
und die Nacht vom 17. zum 18. November zur Ausführung bestimmt.

Die Dunkelheit sollte die Wirkung des türkischen Feuers beeinträchtigen,


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[0334] Unordnung und der vermuthete Widerwille der Einwohner gegen längeren Widerstand wie gegen die in Aussicht steheude Belagerung, ließen wenigstens den Versuch zu einem Handstreich räthlich erscheinen. In der Nacht vom 9. zum 10. November wurde ein solcher unternommen; die Kolonnen verirrten sich jedoch in der Dunkelheit; nur 3 Bataillonen gelang es, früh 4 Uhr sich eines Blockhauses im Fort Azizie zu bemächtigen und ein türkisches Bataillon (19 Offiziere, 540 Mann) gefangen zu nehmen. Indessen sie blieben isolirt, und ein übermächtiger Angriff trieb sie am Morgen wieder aus dem Fort hinaus, nachdem sie im Ganzen 632 Köpfe verloren hatten. Die Russen beschränkten sich nunmehr auf eine leichte Zernirung der Festung, in der Ismail Pascha das Kommando übernahm. Mukhtar Pascha, der über keine Armee mehr zu gebieten hatte, begab sich nach Konstantinopel. Vor Batna versuchten die Russen, nachdem sie die Absendung beträcht¬ licher Streitkräfte nach Trapesunt und Erzerum erfahren, die vorgeschobenen Stellungen der Türken am Adkowa zu nehmen; dieselben waren aber so stark besetzt geblieben, daß ein am 7. November unternommener Angriff auf dieselben völlig scheiterte. Die Festung Kars wurde nach der siegreichen Schlacht vom 15. Oktober von allen Seiten eingeschlossen; die Besatzung verhielt sich dem gegenüber rein abwartend. Am 4. November kamen 48 Stück Belagerungsgeschütze von Alexandrapol an;- tags daraus wurde mit dem Bau von 12 Batterien gegenüber der Ostfront u. z. etwa 3000 in, von den Forts Karadag, Hafiz- Pascha und Karly (vgl. S. 183) begonnen. Ein Ausfall zur Störung der Batteriebauten an demselben Tage wurde zurückgeschlagen. Am 11. November eröffneten die Batterien ihr Feuer gegen die genannten Forts und die Stadt. Die Türken, auf 6 Monate verproviantirt, legten dem gegenüber neue Bat¬ terien und Schützengräben zwischen den Forts an und richteten sich, uner- schüttert durch das ununterbrochene heftige Feuer der russischen Batterien, zum nachhaltigsten Widerstande ein. Das Nahen des Winters, die Nothwendigkeit, jetzt an drei so weit ge¬ trennten Punkten zu operiren wie vor Kars, Batna und Erzerum, endlich auch die noch immer fortdauernden Unruhen in Daghestan und im Terek-Gebiet, die während des Winters den Verbindungen des Heeres doppelt gefährlich werdeu konnten, ließen den Großfürsten Michael auf Mittel sinnen, bald wieder größere Trnppenmcissen frei zur Verfügung zu haben. Ein gewaltsamer Angriff wurde für möglich erklärt, und so wurde der Sturm auf Kars beschlossen und die Nacht vom 17. zum 18. November zur Ausführung bestimmt. Die Dunkelheit sollte die Wirkung des türkischen Feuers beeinträchtigen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/334>, abgerufen am 05.02.2025.