Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.Kunstwerks, Der Maler hat das Fleisch, das im Laden des Schlächters hängt, Einer der obersten Grundsätze dieser Stürmer, die uns den alten Himmel Eines der edleren Opfer, welches die neue Theorie von der Aufhebung Kunstwerks, Der Maler hat das Fleisch, das im Laden des Schlächters hängt, Einer der obersten Grundsätze dieser Stürmer, die uns den alten Himmel Eines der edleren Opfer, welches die neue Theorie von der Aufhebung <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0031" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/140910"/> <p xml:id="ID_82" prev="#ID_81"> Kunstwerks, Der Maler hat das Fleisch, das im Laden des Schlächters hängt,<lb/> die langen Reihen fettglänzender Würste mit derselben Liebe und Ausführlichkeit<lb/> behandelt wie das zerknitterte Gesicht der Alten, die abgemagerten Hände der<lb/> Kleinen. So wird die in letzter Linie tragische Wirkung, die das Mitleid mit<lb/> dem Unglück in uns hervorruft, durch den Blick auf die kraß und aufdringlich<lb/> behandelten Nebendinge, die doch nur Mittel zum Zweck und nicht.Selbstzweck<lb/> sein sollen, wieder aufgehoben. Daß der Maler lebensgroße Figuren gewählt<lb/> hat, gehört mit zum Glaubensbekenntniß der modernen Realisten, die von<lb/> Frankreich, England und Belgien gleichzeitig auf uns einstürmen und natürlich<lb/> in Deutschland die gläubigsten Nachbeter finden.</p><lb/> <p xml:id="ID_83"> Einer der obersten Grundsätze dieser Stürmer, die uns den alten Himmel<lb/> der Kunst rauben wollen, ist die Aufhebung jeglicher Luftperspektive. Sie<lb/> stellen die Gegenstände und die Figuren im Raume so dar, wie sie sich dem un¬<lb/> gebildeten Auge oder dem Auge zeigen, das sie, ein jedes einzeln, von<lb/> einer gleich nahen Entfernung aus betrachten würde, ohne die' zarten Ver¬<lb/> mittlungen und Uebergänge, welche die Luft bildet, ohne die mannigfachen<lb/> Abtönungen, welche das Licht in verschiedenen Intervallen hervorbringt. Es<lb/> ist einleuchtend, daß der Kunst überhaupt der Garaus gemacht wird, wenn<lb/> diese unheilvolle Richtung sich Bahn bricht. Vor der Hand tritt^sie nur in<lb/> den Formen einer epidemischen Krankheit ans, die zwar nicht blos unter der<lb/> niedrigen Heerde talentloser Nachahmer wüthet, welche sich mit begieriger Hast<lb/> auf alles Neue stürzen, sondern auch edlere Opfer fordert; aber es steht zu<lb/> hoffen, daß sich dieser Ansturm an dem Idealismus der deutschen Künstler<lb/> brechen wird. Die Kunst würde damit auf das Niveau der Photographie<lb/> herabsinken und, wenn erst die neuerfundene Farbenphotographie vervollkommnet<lb/> worden ist, am Ende ganz überflüssig werden. Aber damit hat es noch gute<lb/> Wege. Gerade auf der diesjährigen Ausstellung haben die jüngeren Anhänger<lb/> die neue Richtung diese durch eine Menge von Stümperarbeiten so gründlich<lb/> diskreditirt, daß sie sich sobald nicht von dieser Niederlage erholen wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_84" next="#ID_85"> Eines der edleren Opfer, welches die neue Theorie von der Aufhebung<lb/> der Luftperspektive gefordert hat, ist Alma-Tadema, der in England an¬<lb/> sässige, aus der Schule von Henri Leps hervorgegangene Holländer, der seit<lb/> sechs Jahren durch-seine Bilder aus dem klassischen Alterthum ganz Berlin in<lb/> Entzücken versetzt. Keiner kann das Marmorgetäfel eines römischen Fußbodens,<lb/> den Lüster einer Bronzeschaale, das Fell eines Tigers mit so täuschender<lb/> Wahrheit wiedergeben wie er. Um dieser Fertigkeit willen hat man ihm bereits<lb/> in Berlin das höchste verfügbare Ehrenzeichen, die große goldene Medaille,<lb/> verliehen; aber er scheint ans diese Auszeichnung uicht viel zu geben, da er<lb/> vergessen hat, sie im offiziellen Katalog der Pariser Weltausstellung unter den</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0031]
Kunstwerks, Der Maler hat das Fleisch, das im Laden des Schlächters hängt,
die langen Reihen fettglänzender Würste mit derselben Liebe und Ausführlichkeit
behandelt wie das zerknitterte Gesicht der Alten, die abgemagerten Hände der
Kleinen. So wird die in letzter Linie tragische Wirkung, die das Mitleid mit
dem Unglück in uns hervorruft, durch den Blick auf die kraß und aufdringlich
behandelten Nebendinge, die doch nur Mittel zum Zweck und nicht.Selbstzweck
sein sollen, wieder aufgehoben. Daß der Maler lebensgroße Figuren gewählt
hat, gehört mit zum Glaubensbekenntniß der modernen Realisten, die von
Frankreich, England und Belgien gleichzeitig auf uns einstürmen und natürlich
in Deutschland die gläubigsten Nachbeter finden.
Einer der obersten Grundsätze dieser Stürmer, die uns den alten Himmel
der Kunst rauben wollen, ist die Aufhebung jeglicher Luftperspektive. Sie
stellen die Gegenstände und die Figuren im Raume so dar, wie sie sich dem un¬
gebildeten Auge oder dem Auge zeigen, das sie, ein jedes einzeln, von
einer gleich nahen Entfernung aus betrachten würde, ohne die' zarten Ver¬
mittlungen und Uebergänge, welche die Luft bildet, ohne die mannigfachen
Abtönungen, welche das Licht in verschiedenen Intervallen hervorbringt. Es
ist einleuchtend, daß der Kunst überhaupt der Garaus gemacht wird, wenn
diese unheilvolle Richtung sich Bahn bricht. Vor der Hand tritt^sie nur in
den Formen einer epidemischen Krankheit ans, die zwar nicht blos unter der
niedrigen Heerde talentloser Nachahmer wüthet, welche sich mit begieriger Hast
auf alles Neue stürzen, sondern auch edlere Opfer fordert; aber es steht zu
hoffen, daß sich dieser Ansturm an dem Idealismus der deutschen Künstler
brechen wird. Die Kunst würde damit auf das Niveau der Photographie
herabsinken und, wenn erst die neuerfundene Farbenphotographie vervollkommnet
worden ist, am Ende ganz überflüssig werden. Aber damit hat es noch gute
Wege. Gerade auf der diesjährigen Ausstellung haben die jüngeren Anhänger
die neue Richtung diese durch eine Menge von Stümperarbeiten so gründlich
diskreditirt, daß sie sich sobald nicht von dieser Niederlage erholen wird.
Eines der edleren Opfer, welches die neue Theorie von der Aufhebung
der Luftperspektive gefordert hat, ist Alma-Tadema, der in England an¬
sässige, aus der Schule von Henri Leps hervorgegangene Holländer, der seit
sechs Jahren durch-seine Bilder aus dem klassischen Alterthum ganz Berlin in
Entzücken versetzt. Keiner kann das Marmorgetäfel eines römischen Fußbodens,
den Lüster einer Bronzeschaale, das Fell eines Tigers mit so täuschender
Wahrheit wiedergeben wie er. Um dieser Fertigkeit willen hat man ihm bereits
in Berlin das höchste verfügbare Ehrenzeichen, die große goldene Medaille,
verliehen; aber er scheint ans diese Auszeichnung uicht viel zu geben, da er
vergessen hat, sie im offiziellen Katalog der Pariser Weltausstellung unter den
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