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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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geschädigte Arbeiter muß alles, was er besitzt, opfern, um zu seinein Rechte zu
gelangen, das er bei den ungleichen Waffen, mit welchen gekämpft wird, doch
nicht oder nur in den seltensten Fällen erhält.

Diese traurigen Zustünde sind in verschiedenen Berichten der Fabrikinspek¬
toren mit dankenswerther Klarheit aufgedeckt; mit besonderem Eifer behandeln
die Beamten für die Stadt Berlin, die Provinz Pommern und den Regie¬
rungsbezirk Frankfurt a. O. die äußerst wichtige Frage. Offenbar ist hier eine
gründliche Abhilfe nothwendig. Ein Theil der Fabrikanten versichert seine
Arbeiter gegen alle, anch die nicht haftpflichtigen Unfälle, allein dieser Modus
läßt sich schwer allgemein durchführen, weil die Prämien meistens unverhält¬
nismäßig hoch sind und alsdann auch keine genügende Bürgschaft mehr gegen
Leichtsinn und Sorglosigkeit der Arbeiter vorhanden ist. Eine entschiedene
Verbesserung würde zweifellos die Ueberwülzung der Beweislast auf den Unter¬
nehmer sein, wie in der letzten Frühjahrssession des Reichstags schon durch
mehrfache Anträge angeregt wurde. Gewisse Unzuträglichkeiten werden bei
Regelung der Haftpflicht niemals zu vermeiden sein; es ist nicht mehr, als
billig, daß sie wenigstens auf die stärkeren Schultern fallen. Allein das Pro¬
zessiren wäre dann auch nicht zu vermeiden; Streit und Unfriede bliebe an
der Tagesordnung und in vielen Fällen würden die Arbeiter nicht bester daran
sein, wie zuvor. Es ist somit kaum etwas anderes möglich, um das Haft¬
pflichtgesetz zur vollen Wahrheit zu machen, als Selbsthilfe der Arbeitgeber
und Arbeiter.

Der Fabrikiuspektor für Frankfurt ni. O. berichtet, daß innerhalb der
Textilindustrie seines Bezirks sich mehrere Lokal-Unfallversicherungs-Institute
der Unternehmer mit Svlidarhaft aller Mitglieder gebildet hätten, und er
glaubt mit Recht, hierin einen fruchtbaren Anfang zur gedeihlichen Lösung der
Frage zu erkennen. Es ist klar, daß ein Lokalverein, bestehend aus den Nächst-
betheiligteu, vor Allem für möglichste Verhütung von Unglücksfällen, demnächst
aber auch für eine gerechtere Entschädigung derselben sorgen wird, weil ihm
die nähere Kenntniß der Familien und wirthschaftlichen Verhältnisse seiner
Arbeiter moralische Verpflichtungen auferlegt, welche einer fernstehenden Ge¬
sellschaft jederzeit fremd bleiben. Der gedachte Beamte führt dann aber weiter
in sehr treffender Weise aus, daß die Idee nach zwei Richtungen hin einer
Erweiterung und Vertiefung eben so bedürftig wie fähig sei. Für besonders
schwere Unglücksfälle bedürften die Lokalvereine der Anlehnung an einen grö¬
ßeren Versicherungskreis, am besten an Provinzial-Unfall-Versicherungsverbünde,
die sich in jedem einzelnen Industriezweige zu bilden hätten. Weiter aber sei
es durchaus angezeigt, die Arbeiter zu den Versicherungsbeiträgen heranzuziehen,
selbstverständlich mit gleichzeitiger Theilnahme an der Verwaltung. Das Be-


geschädigte Arbeiter muß alles, was er besitzt, opfern, um zu seinein Rechte zu
gelangen, das er bei den ungleichen Waffen, mit welchen gekämpft wird, doch
nicht oder nur in den seltensten Fällen erhält.

Diese traurigen Zustünde sind in verschiedenen Berichten der Fabrikinspek¬
toren mit dankenswerther Klarheit aufgedeckt; mit besonderem Eifer behandeln
die Beamten für die Stadt Berlin, die Provinz Pommern und den Regie¬
rungsbezirk Frankfurt a. O. die äußerst wichtige Frage. Offenbar ist hier eine
gründliche Abhilfe nothwendig. Ein Theil der Fabrikanten versichert seine
Arbeiter gegen alle, anch die nicht haftpflichtigen Unfälle, allein dieser Modus
läßt sich schwer allgemein durchführen, weil die Prämien meistens unverhält¬
nismäßig hoch sind und alsdann auch keine genügende Bürgschaft mehr gegen
Leichtsinn und Sorglosigkeit der Arbeiter vorhanden ist. Eine entschiedene
Verbesserung würde zweifellos die Ueberwülzung der Beweislast auf den Unter¬
nehmer sein, wie in der letzten Frühjahrssession des Reichstags schon durch
mehrfache Anträge angeregt wurde. Gewisse Unzuträglichkeiten werden bei
Regelung der Haftpflicht niemals zu vermeiden sein; es ist nicht mehr, als
billig, daß sie wenigstens auf die stärkeren Schultern fallen. Allein das Pro¬
zessiren wäre dann auch nicht zu vermeiden; Streit und Unfriede bliebe an
der Tagesordnung und in vielen Fällen würden die Arbeiter nicht bester daran
sein, wie zuvor. Es ist somit kaum etwas anderes möglich, um das Haft¬
pflichtgesetz zur vollen Wahrheit zu machen, als Selbsthilfe der Arbeitgeber
und Arbeiter.

Der Fabrikiuspektor für Frankfurt ni. O. berichtet, daß innerhalb der
Textilindustrie seines Bezirks sich mehrere Lokal-Unfallversicherungs-Institute
der Unternehmer mit Svlidarhaft aller Mitglieder gebildet hätten, und er
glaubt mit Recht, hierin einen fruchtbaren Anfang zur gedeihlichen Lösung der
Frage zu erkennen. Es ist klar, daß ein Lokalverein, bestehend aus den Nächst-
betheiligteu, vor Allem für möglichste Verhütung von Unglücksfällen, demnächst
aber auch für eine gerechtere Entschädigung derselben sorgen wird, weil ihm
die nähere Kenntniß der Familien und wirthschaftlichen Verhältnisse seiner
Arbeiter moralische Verpflichtungen auferlegt, welche einer fernstehenden Ge¬
sellschaft jederzeit fremd bleiben. Der gedachte Beamte führt dann aber weiter
in sehr treffender Weise aus, daß die Idee nach zwei Richtungen hin einer
Erweiterung und Vertiefung eben so bedürftig wie fähig sei. Für besonders
schwere Unglücksfälle bedürften die Lokalvereine der Anlehnung an einen grö¬
ßeren Versicherungskreis, am besten an Provinzial-Unfall-Versicherungsverbünde,
die sich in jedem einzelnen Industriezweige zu bilden hätten. Weiter aber sei
es durchaus angezeigt, die Arbeiter zu den Versicherungsbeiträgen heranzuziehen,
selbstverständlich mit gleichzeitiger Theilnahme an der Verwaltung. Das Be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/300>, abgerufen am 05.02.2025.