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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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Inhalte des ganzen Buches ist zu brauchen, alles Uebrige ist leere, müßige,
zwecklose Spielerei.

Einzelne Beispiele aus dem Buche auszuheben und hier des Breiteren zu
beschreiben ist überflüssig, denn die Anschauung kann durch die Beschreibung
doch nicht ersetzt werden. Eine einzige Probe nur will ich ausheben, um zu
zeigen, wohin sich Jemand verirren kann, wenn er Jahre lang, ohne rechts
und links zu blicken, einer solchen fixen Idee nachgeht. Aus Blatt 41 ist
folgendes Gebilde zu sehen: Auf einer Basis, die rechts und links auf je einer
Konsole, in der Mitte auf einem Widderköpfe ruht (die Zwischenräume zwischen
dem Kopfe und den Konsolen sind durch Laubgewinde und flatternde Bänder
ausgefüllt), erheben sich drei Pfeiler auf hohen Basen, in der Mitte ein breiter,
an der Seite zwei schmälere, und schließen zwischen sich zwei Rundbogen ein.
Darüber Architrav und Fries. In den Rundbogen stehen zwei Dreifüße mit
lodernden Feuerbecken. Von jedem Dreifuß geht der eine der drei Füße
in einen großen, kreisförmigen Bogen über; beide Bogen schneiden sich unten
hinter dem Sockel des mittleren Pfeilers, schwingen sich dann nach rechts
und links um die Architektur herum, schneiden sich oben wieder über dem
Pfeilersims und endigen beide in einer Palmette. Die leeren Stellen sind noch
mit gräcisirenden Flachornament gefüllt. Was ist das? Ein Monogramm aus
G und T. Es steht drunter, also muß man's doch wohl glauben. Derartige
Seltsamkeiten sind in Menge in dem Buche. Mindestens die Hälfte aller
dieser angeblichen "Monogramme" würde keine Menschenseele für Buchstaben
halten, wenn nicht die Buchstaben, aus denen sie bestehen sollen, jedesmal darunter
gedruckt wären. Man begegnet neuerdings in manchen Zeitungen einer
Spielerei, die eine Abwechselung bieten soll zu den altmodischen Rebus und
Rösselsprungaufgaben: den sogenannten Kryptogrammen. Es wird ein Abbild
irgend eines Gegenstandes gegeben, das aus lauter Buchstaben zusammengesetzt
ist. Auch die Stenographie hat durch Verwendung ihrer Schriftzüge allerhand
scherzhafte Figuren und Rebus geschaffen. Viele Monogramme des vorliegenden
Buches erheben sich, weder was ihre Deutlichkeit, noch was ihre künstlerische
Form betrifft, wesentlich über jene Spielerei; sie sind selbst nichts weiter als
Kryptogramme und Rebus, und nicht eben schöne.

Ich bin überzeugt, daß das Buch in gewerblichen Kreisen bereits mannich-
fach in Gebrauch sein wird. "Ist es schon Tollheit, hat es doch Methode,"
sagt Polonius. Mau bringe den größten Unsinn in eine Art System, kodifizire
ihn, und er wird seine Anhänger finden. An Beispielen dafür fehlt es nicht,
gerade auf künstlerischem Gebiete. Vor etwa drei Jahren hatte einmal einer
den närrischen Einfall: Mo alle andern Menschen einen Haarstrich schreiben,
da will ich einen bindfadendicken Grundstrich machen, und wo die andern den


Inhalte des ganzen Buches ist zu brauchen, alles Uebrige ist leere, müßige,
zwecklose Spielerei.

Einzelne Beispiele aus dem Buche auszuheben und hier des Breiteren zu
beschreiben ist überflüssig, denn die Anschauung kann durch die Beschreibung
doch nicht ersetzt werden. Eine einzige Probe nur will ich ausheben, um zu
zeigen, wohin sich Jemand verirren kann, wenn er Jahre lang, ohne rechts
und links zu blicken, einer solchen fixen Idee nachgeht. Aus Blatt 41 ist
folgendes Gebilde zu sehen: Auf einer Basis, die rechts und links auf je einer
Konsole, in der Mitte auf einem Widderköpfe ruht (die Zwischenräume zwischen
dem Kopfe und den Konsolen sind durch Laubgewinde und flatternde Bänder
ausgefüllt), erheben sich drei Pfeiler auf hohen Basen, in der Mitte ein breiter,
an der Seite zwei schmälere, und schließen zwischen sich zwei Rundbogen ein.
Darüber Architrav und Fries. In den Rundbogen stehen zwei Dreifüße mit
lodernden Feuerbecken. Von jedem Dreifuß geht der eine der drei Füße
in einen großen, kreisförmigen Bogen über; beide Bogen schneiden sich unten
hinter dem Sockel des mittleren Pfeilers, schwingen sich dann nach rechts
und links um die Architektur herum, schneiden sich oben wieder über dem
Pfeilersims und endigen beide in einer Palmette. Die leeren Stellen sind noch
mit gräcisirenden Flachornament gefüllt. Was ist das? Ein Monogramm aus
G und T. Es steht drunter, also muß man's doch wohl glauben. Derartige
Seltsamkeiten sind in Menge in dem Buche. Mindestens die Hälfte aller
dieser angeblichen „Monogramme" würde keine Menschenseele für Buchstaben
halten, wenn nicht die Buchstaben, aus denen sie bestehen sollen, jedesmal darunter
gedruckt wären. Man begegnet neuerdings in manchen Zeitungen einer
Spielerei, die eine Abwechselung bieten soll zu den altmodischen Rebus und
Rösselsprungaufgaben: den sogenannten Kryptogrammen. Es wird ein Abbild
irgend eines Gegenstandes gegeben, das aus lauter Buchstaben zusammengesetzt
ist. Auch die Stenographie hat durch Verwendung ihrer Schriftzüge allerhand
scherzhafte Figuren und Rebus geschaffen. Viele Monogramme des vorliegenden
Buches erheben sich, weder was ihre Deutlichkeit, noch was ihre künstlerische
Form betrifft, wesentlich über jene Spielerei; sie sind selbst nichts weiter als
Kryptogramme und Rebus, und nicht eben schöne.

Ich bin überzeugt, daß das Buch in gewerblichen Kreisen bereits mannich-
fach in Gebrauch sein wird. „Ist es schon Tollheit, hat es doch Methode,"
sagt Polonius. Mau bringe den größten Unsinn in eine Art System, kodifizire
ihn, und er wird seine Anhänger finden. An Beispielen dafür fehlt es nicht,
gerade auf künstlerischem Gebiete. Vor etwa drei Jahren hatte einmal einer
den närrischen Einfall: Mo alle andern Menschen einen Haarstrich schreiben,
da will ich einen bindfadendicken Grundstrich machen, und wo die andern den


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[0283] Inhalte des ganzen Buches ist zu brauchen, alles Uebrige ist leere, müßige, zwecklose Spielerei. Einzelne Beispiele aus dem Buche auszuheben und hier des Breiteren zu beschreiben ist überflüssig, denn die Anschauung kann durch die Beschreibung doch nicht ersetzt werden. Eine einzige Probe nur will ich ausheben, um zu zeigen, wohin sich Jemand verirren kann, wenn er Jahre lang, ohne rechts und links zu blicken, einer solchen fixen Idee nachgeht. Aus Blatt 41 ist folgendes Gebilde zu sehen: Auf einer Basis, die rechts und links auf je einer Konsole, in der Mitte auf einem Widderköpfe ruht (die Zwischenräume zwischen dem Kopfe und den Konsolen sind durch Laubgewinde und flatternde Bänder ausgefüllt), erheben sich drei Pfeiler auf hohen Basen, in der Mitte ein breiter, an der Seite zwei schmälere, und schließen zwischen sich zwei Rundbogen ein. Darüber Architrav und Fries. In den Rundbogen stehen zwei Dreifüße mit lodernden Feuerbecken. Von jedem Dreifuß geht der eine der drei Füße in einen großen, kreisförmigen Bogen über; beide Bogen schneiden sich unten hinter dem Sockel des mittleren Pfeilers, schwingen sich dann nach rechts und links um die Architektur herum, schneiden sich oben wieder über dem Pfeilersims und endigen beide in einer Palmette. Die leeren Stellen sind noch mit gräcisirenden Flachornament gefüllt. Was ist das? Ein Monogramm aus G und T. Es steht drunter, also muß man's doch wohl glauben. Derartige Seltsamkeiten sind in Menge in dem Buche. Mindestens die Hälfte aller dieser angeblichen „Monogramme" würde keine Menschenseele für Buchstaben halten, wenn nicht die Buchstaben, aus denen sie bestehen sollen, jedesmal darunter gedruckt wären. Man begegnet neuerdings in manchen Zeitungen einer Spielerei, die eine Abwechselung bieten soll zu den altmodischen Rebus und Rösselsprungaufgaben: den sogenannten Kryptogrammen. Es wird ein Abbild irgend eines Gegenstandes gegeben, das aus lauter Buchstaben zusammengesetzt ist. Auch die Stenographie hat durch Verwendung ihrer Schriftzüge allerhand scherzhafte Figuren und Rebus geschaffen. Viele Monogramme des vorliegenden Buches erheben sich, weder was ihre Deutlichkeit, noch was ihre künstlerische Form betrifft, wesentlich über jene Spielerei; sie sind selbst nichts weiter als Kryptogramme und Rebus, und nicht eben schöne. Ich bin überzeugt, daß das Buch in gewerblichen Kreisen bereits mannich- fach in Gebrauch sein wird. „Ist es schon Tollheit, hat es doch Methode," sagt Polonius. Mau bringe den größten Unsinn in eine Art System, kodifizire ihn, und er wird seine Anhänger finden. An Beispielen dafür fehlt es nicht, gerade auf künstlerischem Gebiete. Vor etwa drei Jahren hatte einmal einer den närrischen Einfall: Mo alle andern Menschen einen Haarstrich schreiben, da will ich einen bindfadendicken Grundstrich machen, und wo die andern den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/283>, abgerufen am 05.02.2025.