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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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uns einfach an die Reihenfolge der Kapitel halten und nur die Mittheilungen
des Tagebuchs berücksichtigen, welche die Versailler Tage betreffen.

"Während des Diners (am 14. Oktober 1870) bemerkte der Chef (so be¬
zeichnet man Bismarck in gewöhnlicher Rede unter den Herren vom Auswär¬
tigen Amte), nachdem er einen Augenblick nachgesonnen, lächelnd: "Ich habe
einen Lieblingsgedanken in Bezug auf den Friedensschluß. Das ist ein inter¬
nationales Gericht niederzusetzen, das die aburtheilen soll, die zum Kriege ge¬
hetzt haben -- Zeitungsschreiber, Deputirte, Senatoren, Minister." -- Abeken
setzt hinzu, auch Thiers gehöre mittelbar dahin, und zwar ganz vorzugsweise,
wegen seiner chauvinistischen Geschichte des Konsulats und des Kaiserreichs. --
"Auch der Kaiser, der doch nicht so unschuldig ist, wie er sein will," fährt
der Münster fort. "Ich dachte mir von jeder Großmacht gleich viel Richter,
von Amerika, England, Rußland u. f. w., und wir wären die Ankläger. In¬
deß werden die Engländer und Russen darauf nicht eingehen, und da könnte
man das Gericht aus den Nationen, die davon am Meisten gelitten haben,
zusammensetzen, aus französischen Deputirten und Deutschen." Bismarck kam
später, wie wir erfahren, mehrmals ans diesen Plan zurück, so daß man ver¬
muthen darf, es sei ihm damit Ernst gewesen.

Vom größten Interesse ist ferner die Mittheilung, die wir S. 264 des
I. Bandes über eine Aeußerung Bismarck's in Betreff der Polen lesen. "Später
gedachte er der Notiz im "Kraj" (in der fälschlich behauptet worden, er habe
unlängst einem galizischen Edelmanns gerathen, die Polen sollten sich von
Oesterreich abwenden) und hiermit der Polen überhaupt. Er verweilte dabei
längere Zeit bei den siegreichen Kämpfen des Großen Kurfürsten im Osten
und bei dessen Verbindung mit Karl dem Zehnten von Schweden, die ihm
große Vortheile verheißen habe. Schade nur, daß sein Verhältniß zu Holland
ihn gehindert habe, diese Vortheile zu verfolgen und gehörig auszunutzen. Er
habe sonst gute Aussichten gehabt, seine Macht im westlichen Polen auszu¬
dehnen. Als Delbrück darauf äußerte, dann wäre Preußen aber ja kein deut¬
scher Staat geblieben, erwiderte der Chef: "Nun, fo schlimm wäre es doch
nicht geworden. Uebrigens hätte es nicht so viel geschadet, es hätte dann etwas
im Norden gegeben wie Oesterreich im Süden. Was dort Ungarn ist, das
wäre für uns Polen geworden," -- eine Bemerkung, an die er die schon vor¬
her einmal von ihm gegebene Mittheilung knüpfte, er habe dem Kronprinzen
den Rath ertheilt, seinen Sohn die polnische Sprache lernen zu lassen, es
wäre aber zu seinem Bedauern unterblieben." Man vergleiche hierzu auch
Band II, S. 156.

Gleichfalls sehr interessant ist die Band II, S. 14 enthaltene Stelle über
Gagern. Der Chef sagte u. A. von ihm: "Er läßt seine Töchter katholisch


uns einfach an die Reihenfolge der Kapitel halten und nur die Mittheilungen
des Tagebuchs berücksichtigen, welche die Versailler Tage betreffen.

„Während des Diners (am 14. Oktober 1870) bemerkte der Chef (so be¬
zeichnet man Bismarck in gewöhnlicher Rede unter den Herren vom Auswär¬
tigen Amte), nachdem er einen Augenblick nachgesonnen, lächelnd: „Ich habe
einen Lieblingsgedanken in Bezug auf den Friedensschluß. Das ist ein inter¬
nationales Gericht niederzusetzen, das die aburtheilen soll, die zum Kriege ge¬
hetzt haben — Zeitungsschreiber, Deputirte, Senatoren, Minister." — Abeken
setzt hinzu, auch Thiers gehöre mittelbar dahin, und zwar ganz vorzugsweise,
wegen seiner chauvinistischen Geschichte des Konsulats und des Kaiserreichs. —
„Auch der Kaiser, der doch nicht so unschuldig ist, wie er sein will," fährt
der Münster fort. „Ich dachte mir von jeder Großmacht gleich viel Richter,
von Amerika, England, Rußland u. f. w., und wir wären die Ankläger. In¬
deß werden die Engländer und Russen darauf nicht eingehen, und da könnte
man das Gericht aus den Nationen, die davon am Meisten gelitten haben,
zusammensetzen, aus französischen Deputirten und Deutschen." Bismarck kam
später, wie wir erfahren, mehrmals ans diesen Plan zurück, so daß man ver¬
muthen darf, es sei ihm damit Ernst gewesen.

Vom größten Interesse ist ferner die Mittheilung, die wir S. 264 des
I. Bandes über eine Aeußerung Bismarck's in Betreff der Polen lesen. „Später
gedachte er der Notiz im „Kraj" (in der fälschlich behauptet worden, er habe
unlängst einem galizischen Edelmanns gerathen, die Polen sollten sich von
Oesterreich abwenden) und hiermit der Polen überhaupt. Er verweilte dabei
längere Zeit bei den siegreichen Kämpfen des Großen Kurfürsten im Osten
und bei dessen Verbindung mit Karl dem Zehnten von Schweden, die ihm
große Vortheile verheißen habe. Schade nur, daß sein Verhältniß zu Holland
ihn gehindert habe, diese Vortheile zu verfolgen und gehörig auszunutzen. Er
habe sonst gute Aussichten gehabt, seine Macht im westlichen Polen auszu¬
dehnen. Als Delbrück darauf äußerte, dann wäre Preußen aber ja kein deut¬
scher Staat geblieben, erwiderte der Chef: „Nun, fo schlimm wäre es doch
nicht geworden. Uebrigens hätte es nicht so viel geschadet, es hätte dann etwas
im Norden gegeben wie Oesterreich im Süden. Was dort Ungarn ist, das
wäre für uns Polen geworden," — eine Bemerkung, an die er die schon vor¬
her einmal von ihm gegebene Mittheilung knüpfte, er habe dem Kronprinzen
den Rath ertheilt, seinen Sohn die polnische Sprache lernen zu lassen, es
wäre aber zu seinem Bedauern unterblieben." Man vergleiche hierzu auch
Band II, S. 156.

Gleichfalls sehr interessant ist die Band II, S. 14 enthaltene Stelle über
Gagern. Der Chef sagte u. A. von ihm: „Er läßt seine Töchter katholisch


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[0275] uns einfach an die Reihenfolge der Kapitel halten und nur die Mittheilungen des Tagebuchs berücksichtigen, welche die Versailler Tage betreffen. „Während des Diners (am 14. Oktober 1870) bemerkte der Chef (so be¬ zeichnet man Bismarck in gewöhnlicher Rede unter den Herren vom Auswär¬ tigen Amte), nachdem er einen Augenblick nachgesonnen, lächelnd: „Ich habe einen Lieblingsgedanken in Bezug auf den Friedensschluß. Das ist ein inter¬ nationales Gericht niederzusetzen, das die aburtheilen soll, die zum Kriege ge¬ hetzt haben — Zeitungsschreiber, Deputirte, Senatoren, Minister." — Abeken setzt hinzu, auch Thiers gehöre mittelbar dahin, und zwar ganz vorzugsweise, wegen seiner chauvinistischen Geschichte des Konsulats und des Kaiserreichs. — „Auch der Kaiser, der doch nicht so unschuldig ist, wie er sein will," fährt der Münster fort. „Ich dachte mir von jeder Großmacht gleich viel Richter, von Amerika, England, Rußland u. f. w., und wir wären die Ankläger. In¬ deß werden die Engländer und Russen darauf nicht eingehen, und da könnte man das Gericht aus den Nationen, die davon am Meisten gelitten haben, zusammensetzen, aus französischen Deputirten und Deutschen." Bismarck kam später, wie wir erfahren, mehrmals ans diesen Plan zurück, so daß man ver¬ muthen darf, es sei ihm damit Ernst gewesen. Vom größten Interesse ist ferner die Mittheilung, die wir S. 264 des I. Bandes über eine Aeußerung Bismarck's in Betreff der Polen lesen. „Später gedachte er der Notiz im „Kraj" (in der fälschlich behauptet worden, er habe unlängst einem galizischen Edelmanns gerathen, die Polen sollten sich von Oesterreich abwenden) und hiermit der Polen überhaupt. Er verweilte dabei längere Zeit bei den siegreichen Kämpfen des Großen Kurfürsten im Osten und bei dessen Verbindung mit Karl dem Zehnten von Schweden, die ihm große Vortheile verheißen habe. Schade nur, daß sein Verhältniß zu Holland ihn gehindert habe, diese Vortheile zu verfolgen und gehörig auszunutzen. Er habe sonst gute Aussichten gehabt, seine Macht im westlichen Polen auszu¬ dehnen. Als Delbrück darauf äußerte, dann wäre Preußen aber ja kein deut¬ scher Staat geblieben, erwiderte der Chef: „Nun, fo schlimm wäre es doch nicht geworden. Uebrigens hätte es nicht so viel geschadet, es hätte dann etwas im Norden gegeben wie Oesterreich im Süden. Was dort Ungarn ist, das wäre für uns Polen geworden," — eine Bemerkung, an die er die schon vor¬ her einmal von ihm gegebene Mittheilung knüpfte, er habe dem Kronprinzen den Rath ertheilt, seinen Sohn die polnische Sprache lernen zu lassen, es wäre aber zu seinem Bedauern unterblieben." Man vergleiche hierzu auch Band II, S. 156. Gleichfalls sehr interessant ist die Band II, S. 14 enthaltene Stelle über Gagern. Der Chef sagte u. A. von ihm: „Er läßt seine Töchter katholisch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/275>, abgerufen am 05.02.2025.