Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

selten lassen die Kleinigkeiten, um die der Prätor sich nicht kümmert, das Wesen
der Menschen oder die Stimmung, in der sie sich gerade befinden, deutlicher
erkennen als anspruchsvolle Großthaten. Dann mögen hin und wieder an sich
ganz unbedeutende Dinge und Situationen dem Geiste Anlaß zu Gedanken¬
blitzen und Jdeenverbindungen geben, die fruchtbar und folgenreich für die Zu-
kunft sind. Ich denke dabei an den oft sehr zufälligen und unscheinbaren
Ursprung von epochemachenden Erfindungen und Entdeckungen, an die hell¬
blinkende Zinnkanne, die Jakob Böhme in die metaphysische Welt verzückte,
und -- an einen gewissen Fettfleck auf unserm Tafeltuch in Ferneres, der
dem Kanzler zum Ausgangspunkte für eine sehr merkwürdige und ungemein
charakteristische Tischrede wurde. (Dieselbe findet sich, soweit sie untheilbar
war, Band I, Seite 209--211 und ist in der That sehr bemerkenswerth). Der
Morgen wirkt auf nervöse Konstitutionen anders als der Abend. Das Wetter
mit seinem Wechsel beeinflußt Dinge und Menschen. Sogar das wird zu be¬
achten sein, daß Gelehrte (der Verfasser denkt hier wohl an Feuerbach) Theorien
aufgestellt haben, die kraß ausgedrückt ungefähr auf die Ansicht: der Mensch
ist, was er ißt, hinauslaufen; denn, so komisch das klingen mag, wir wissen
nicht, wie weit sie darin Unrecht haben. Endlich aber dünkt mich, daß über¬
haupt alles von Interesse ist, was zu dem hochherrlichen Kriege gehört, der
uns ein deutsches Reich und eine sichere Westgrenze gewann, und daß auch
das scheinbar Kleinste seinen Werth hat, was zu dem Antheile in Beziehung
steht, den der Graf Bismarck an den Ereignissen während desselben hatte.
Alles sollte deshalb aufgehoben werden. In großer Zeit erscheint das Kleine
kleiner; in späteren Jahrzehnten und Jahrhunderten ist es umgekehrt. Das
Große wird größer und das bedeutungslos Gewesene bedeutnngsreich. Oft
wird dann bedauert, daß man sich von den oder jenen Ereignissen oder Per¬
sönlichkeiten kein so lebendiges und farbiges Bild machen kann, wie man möchte,
weil Anfangs für unwesentlich angesehenes, jetzt wünschenswert!) gewordenes
Material mangelt, da sich kein Auge, das es sah, und keine Hand, die es be¬
schrieb und bewahrte, gefunden hat, als es Zeit war. Wer wüßte jetzt nicht
gern Genaueres über Luther in den großen Tagen und Stunden feines Lebens,
bestände es auch aus sehr harmlosen und wenig bezeichnenden Zügen, Um¬
ständen und Beziehungen? In hundert Jahren aber wird der Fürst Bismarck
in den Gedanken unseres Volkes seine Stelle neben dem Wittenberger Doktor
einnehmen, der Befreier unseres politischen Lebens vom Drucke des Auslandes
neben dem Befreier der Gewissen von der Wucht Rom's, der Schöpfer des
deutschen Reiches neben dem Schöpfer des deutschen Christenthums."

Ein gutes Buch spricht am besten für sich selbst, und so geben wir im
Nachstehenden einige Auszüge aus der in Rede stehenden Schrift, wobei wir


selten lassen die Kleinigkeiten, um die der Prätor sich nicht kümmert, das Wesen
der Menschen oder die Stimmung, in der sie sich gerade befinden, deutlicher
erkennen als anspruchsvolle Großthaten. Dann mögen hin und wieder an sich
ganz unbedeutende Dinge und Situationen dem Geiste Anlaß zu Gedanken¬
blitzen und Jdeenverbindungen geben, die fruchtbar und folgenreich für die Zu-
kunft sind. Ich denke dabei an den oft sehr zufälligen und unscheinbaren
Ursprung von epochemachenden Erfindungen und Entdeckungen, an die hell¬
blinkende Zinnkanne, die Jakob Böhme in die metaphysische Welt verzückte,
und — an einen gewissen Fettfleck auf unserm Tafeltuch in Ferneres, der
dem Kanzler zum Ausgangspunkte für eine sehr merkwürdige und ungemein
charakteristische Tischrede wurde. (Dieselbe findet sich, soweit sie untheilbar
war, Band I, Seite 209—211 und ist in der That sehr bemerkenswerth). Der
Morgen wirkt auf nervöse Konstitutionen anders als der Abend. Das Wetter
mit seinem Wechsel beeinflußt Dinge und Menschen. Sogar das wird zu be¬
achten sein, daß Gelehrte (der Verfasser denkt hier wohl an Feuerbach) Theorien
aufgestellt haben, die kraß ausgedrückt ungefähr auf die Ansicht: der Mensch
ist, was er ißt, hinauslaufen; denn, so komisch das klingen mag, wir wissen
nicht, wie weit sie darin Unrecht haben. Endlich aber dünkt mich, daß über¬
haupt alles von Interesse ist, was zu dem hochherrlichen Kriege gehört, der
uns ein deutsches Reich und eine sichere Westgrenze gewann, und daß auch
das scheinbar Kleinste seinen Werth hat, was zu dem Antheile in Beziehung
steht, den der Graf Bismarck an den Ereignissen während desselben hatte.
Alles sollte deshalb aufgehoben werden. In großer Zeit erscheint das Kleine
kleiner; in späteren Jahrzehnten und Jahrhunderten ist es umgekehrt. Das
Große wird größer und das bedeutungslos Gewesene bedeutnngsreich. Oft
wird dann bedauert, daß man sich von den oder jenen Ereignissen oder Per¬
sönlichkeiten kein so lebendiges und farbiges Bild machen kann, wie man möchte,
weil Anfangs für unwesentlich angesehenes, jetzt wünschenswert!) gewordenes
Material mangelt, da sich kein Auge, das es sah, und keine Hand, die es be¬
schrieb und bewahrte, gefunden hat, als es Zeit war. Wer wüßte jetzt nicht
gern Genaueres über Luther in den großen Tagen und Stunden feines Lebens,
bestände es auch aus sehr harmlosen und wenig bezeichnenden Zügen, Um¬
ständen und Beziehungen? In hundert Jahren aber wird der Fürst Bismarck
in den Gedanken unseres Volkes seine Stelle neben dem Wittenberger Doktor
einnehmen, der Befreier unseres politischen Lebens vom Drucke des Auslandes
neben dem Befreier der Gewissen von der Wucht Rom's, der Schöpfer des
deutschen Reiches neben dem Schöpfer des deutschen Christenthums."

Ein gutes Buch spricht am besten für sich selbst, und so geben wir im
Nachstehenden einige Auszüge aus der in Rede stehenden Schrift, wobei wir


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0274" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/141153"/>
          <p xml:id="ID_970" prev="#ID_969"> selten lassen die Kleinigkeiten, um die der Prätor sich nicht kümmert, das Wesen<lb/>
der Menschen oder die Stimmung, in der sie sich gerade befinden, deutlicher<lb/>
erkennen als anspruchsvolle Großthaten. Dann mögen hin und wieder an sich<lb/>
ganz unbedeutende Dinge und Situationen dem Geiste Anlaß zu Gedanken¬<lb/>
blitzen und Jdeenverbindungen geben, die fruchtbar und folgenreich für die Zu-<lb/>
kunft sind. Ich denke dabei an den oft sehr zufälligen und unscheinbaren<lb/>
Ursprung von epochemachenden Erfindungen und Entdeckungen, an die hell¬<lb/>
blinkende Zinnkanne, die Jakob Böhme in die metaphysische Welt verzückte,<lb/>
und &#x2014; an einen gewissen Fettfleck auf unserm Tafeltuch in Ferneres, der<lb/>
dem Kanzler zum Ausgangspunkte für eine sehr merkwürdige und ungemein<lb/>
charakteristische Tischrede wurde. (Dieselbe findet sich, soweit sie untheilbar<lb/>
war, Band I, Seite 209&#x2014;211 und ist in der That sehr bemerkenswerth). Der<lb/>
Morgen wirkt auf nervöse Konstitutionen anders als der Abend. Das Wetter<lb/>
mit seinem Wechsel beeinflußt Dinge und Menschen. Sogar das wird zu be¬<lb/>
achten sein, daß Gelehrte (der Verfasser denkt hier wohl an Feuerbach) Theorien<lb/>
aufgestellt haben, die kraß ausgedrückt ungefähr auf die Ansicht: der Mensch<lb/>
ist, was er ißt, hinauslaufen; denn, so komisch das klingen mag, wir wissen<lb/>
nicht, wie weit sie darin Unrecht haben. Endlich aber dünkt mich, daß über¬<lb/>
haupt alles von Interesse ist, was zu dem hochherrlichen Kriege gehört, der<lb/>
uns ein deutsches Reich und eine sichere Westgrenze gewann, und daß auch<lb/>
das scheinbar Kleinste seinen Werth hat, was zu dem Antheile in Beziehung<lb/>
steht, den der Graf Bismarck an den Ereignissen während desselben hatte.<lb/>
Alles sollte deshalb aufgehoben werden. In großer Zeit erscheint das Kleine<lb/>
kleiner; in späteren Jahrzehnten und Jahrhunderten ist es umgekehrt. Das<lb/>
Große wird größer und das bedeutungslos Gewesene bedeutnngsreich. Oft<lb/>
wird dann bedauert, daß man sich von den oder jenen Ereignissen oder Per¬<lb/>
sönlichkeiten kein so lebendiges und farbiges Bild machen kann, wie man möchte,<lb/>
weil Anfangs für unwesentlich angesehenes, jetzt wünschenswert!) gewordenes<lb/>
Material mangelt, da sich kein Auge, das es sah, und keine Hand, die es be¬<lb/>
schrieb und bewahrte, gefunden hat, als es Zeit war. Wer wüßte jetzt nicht<lb/>
gern Genaueres über Luther in den großen Tagen und Stunden feines Lebens,<lb/>
bestände es auch aus sehr harmlosen und wenig bezeichnenden Zügen, Um¬<lb/>
ständen und Beziehungen? In hundert Jahren aber wird der Fürst Bismarck<lb/>
in den Gedanken unseres Volkes seine Stelle neben dem Wittenberger Doktor<lb/>
einnehmen, der Befreier unseres politischen Lebens vom Drucke des Auslandes<lb/>
neben dem Befreier der Gewissen von der Wucht Rom's, der Schöpfer des<lb/>
deutschen Reiches neben dem Schöpfer des deutschen Christenthums."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_971" next="#ID_972"> Ein gutes Buch spricht am besten für sich selbst, und so geben wir im<lb/>
Nachstehenden einige Auszüge aus der in Rede stehenden Schrift, wobei wir</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0274] selten lassen die Kleinigkeiten, um die der Prätor sich nicht kümmert, das Wesen der Menschen oder die Stimmung, in der sie sich gerade befinden, deutlicher erkennen als anspruchsvolle Großthaten. Dann mögen hin und wieder an sich ganz unbedeutende Dinge und Situationen dem Geiste Anlaß zu Gedanken¬ blitzen und Jdeenverbindungen geben, die fruchtbar und folgenreich für die Zu- kunft sind. Ich denke dabei an den oft sehr zufälligen und unscheinbaren Ursprung von epochemachenden Erfindungen und Entdeckungen, an die hell¬ blinkende Zinnkanne, die Jakob Böhme in die metaphysische Welt verzückte, und — an einen gewissen Fettfleck auf unserm Tafeltuch in Ferneres, der dem Kanzler zum Ausgangspunkte für eine sehr merkwürdige und ungemein charakteristische Tischrede wurde. (Dieselbe findet sich, soweit sie untheilbar war, Band I, Seite 209—211 und ist in der That sehr bemerkenswerth). Der Morgen wirkt auf nervöse Konstitutionen anders als der Abend. Das Wetter mit seinem Wechsel beeinflußt Dinge und Menschen. Sogar das wird zu be¬ achten sein, daß Gelehrte (der Verfasser denkt hier wohl an Feuerbach) Theorien aufgestellt haben, die kraß ausgedrückt ungefähr auf die Ansicht: der Mensch ist, was er ißt, hinauslaufen; denn, so komisch das klingen mag, wir wissen nicht, wie weit sie darin Unrecht haben. Endlich aber dünkt mich, daß über¬ haupt alles von Interesse ist, was zu dem hochherrlichen Kriege gehört, der uns ein deutsches Reich und eine sichere Westgrenze gewann, und daß auch das scheinbar Kleinste seinen Werth hat, was zu dem Antheile in Beziehung steht, den der Graf Bismarck an den Ereignissen während desselben hatte. Alles sollte deshalb aufgehoben werden. In großer Zeit erscheint das Kleine kleiner; in späteren Jahrzehnten und Jahrhunderten ist es umgekehrt. Das Große wird größer und das bedeutungslos Gewesene bedeutnngsreich. Oft wird dann bedauert, daß man sich von den oder jenen Ereignissen oder Per¬ sönlichkeiten kein so lebendiges und farbiges Bild machen kann, wie man möchte, weil Anfangs für unwesentlich angesehenes, jetzt wünschenswert!) gewordenes Material mangelt, da sich kein Auge, das es sah, und keine Hand, die es be¬ schrieb und bewahrte, gefunden hat, als es Zeit war. Wer wüßte jetzt nicht gern Genaueres über Luther in den großen Tagen und Stunden feines Lebens, bestände es auch aus sehr harmlosen und wenig bezeichnenden Zügen, Um¬ ständen und Beziehungen? In hundert Jahren aber wird der Fürst Bismarck in den Gedanken unseres Volkes seine Stelle neben dem Wittenberger Doktor einnehmen, der Befreier unseres politischen Lebens vom Drucke des Auslandes neben dem Befreier der Gewissen von der Wucht Rom's, der Schöpfer des deutschen Reiches neben dem Schöpfer des deutschen Christenthums." Ein gutes Buch spricht am besten für sich selbst, und so geben wir im Nachstehenden einige Auszüge aus der in Rede stehenden Schrift, wobei wir

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/274
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/274>, abgerufen am 05.02.2025.