Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.etwas Aehnlichem, aber der Gang der Weltgeschichte ließ keine Zeit dazu, auch etwas Aehnlichem, aber der Gang der Weltgeschichte ließ keine Zeit dazu, auch <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0226" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/141105"/> <p xml:id="ID_764" prev="#ID_763" next="#ID_765"> etwas Aehnlichem, aber der Gang der Weltgeschichte ließ keine Zeit dazu, auch<lb/> wäre der Versuch wohl kaum geglückt. Heut ist unser niederer wie höherer<lb/> Unterricht getheilt im Besitze der verschiedenen Parteien, welche weder in Ver¬<lb/> gangenheit noch Zukunft gemeinsame Wege haben. Er ist ein treues Spiegel¬<lb/> bild unseres Volkslebens. Nun hätte man denken sollen, daß man sich wenigstens<lb/> bemüht hätte, diese zentrifugalen Tendenzen zu vermindern oder wenigstens in<lb/> ihre momentane Grenzen zu bannen. Das Versailler Unterrichtsgesetz zeigt,<lb/> daß wir einen andern Weg gehen." (Der Verfasser schrieb diese Zeilen im<lb/> Dezember 1874 und spielte also auf die damals erfolgreichen Bestrebungen<lb/> des Klerus an, das Land wie in alter Zeit mit geistlichen Schulen und Uni¬<lb/> versitäten zu vergiften. Seitdem haben diese Verhältnisse sich, zum Glück für<lb/> die französische Nation, ja wesentlich verbessert.) „Es ist solche Zersplitterung<lb/> des Unterrichtswesens sehr bedauerlich, aber sie ist in tiefliegenden Ursachen<lb/> begründet, in der Geschichte und Zusammensetzung unseres Volkslebens." In<lb/> einer Weise, die unwillkührlich an die Geschichte von den sauren Trauben<lb/> erinnert, fährt er dann tröstend fort: „Uebrigens scheint mir bei alledem ein<lb/> gut Theil Ueberspannung in den Bestrebungen unserer Nachbaren zu liegen.<lb/> Wer die Schule hat, hat deswegen noch keineswegs vollkommen die Jugend<lb/> seines Landes in der Hand. Da ist vor allem der Einfluß der „verborgenen<lb/> Mitarbeiter", wie der Philosoph Herbart sie nennt, zu berücksichtigen. Dies<lb/> sind: die öffentliche Meinung, die Presse, das Privatleben, der Einfluß der<lb/> Höherstehenden, die Gewalt der Thatsachen, Nicht zum ersten Male ist der<lb/> Versuch gemacht, wie jetzt in Deutschland, wenn man aber den Bogen zu straff<lb/> spannt, so läuft man Gefahr, aus den jugendlichen Gemüthern Heuchler zu<lb/> machen oder sie zum Widerstande anzureizen!" Nun ich denke, ans die Gefahr<lb/> hin können wir es schon wagen, unsere Schule beizubehalten, und was den<lb/> Einfluß betrifft, so haben die Ereignisse jederzeit in Frankreich wie in Deutsch¬<lb/> land gezeigt, wie furchtbar tiefgreifend ein systematischer Schulunterricht wirkt.<lb/> Es ist eine traurige, aber wahre Thatsache, daß hier, wie bei vielen andern<lb/> menschlichen Einrichtungen, die Folgen schlechter und verwerflicher Einflüsse<lb/> sich deutlicher und empfindlicher zeigen, als die der guten und humanen Be¬<lb/> strebungen. Zeigen aber thun sie sich sehr deutlich. Laxignti sat! Was nun<lb/> den zweiten Theil seines Resümees anbelangt, nämlich die Wirkung der Schule<lb/> auf die Vaterlandsliebe der Jugend, so sagt er: „Auch in Bezug auf diesen<lb/> zweiten Punkt befinden wir uns in anderer Lage als Deutschland. Bei uns<lb/> nämlich ist der Patriotismus kein künstliches Schulprodukt, das aus den<lb/> höhern Bildungsschichten herabträufelnd dem Volke infiltrirt wird. Bei uns<lb/> besteht er in dem allgemein verbreiteten Bewußtsein einer glorreichen Vergangen¬<lb/> heit, der gemeinsamen Erinnerungen an die Großthaten Frankreich's in Krieg</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0226]
etwas Aehnlichem, aber der Gang der Weltgeschichte ließ keine Zeit dazu, auch
wäre der Versuch wohl kaum geglückt. Heut ist unser niederer wie höherer
Unterricht getheilt im Besitze der verschiedenen Parteien, welche weder in Ver¬
gangenheit noch Zukunft gemeinsame Wege haben. Er ist ein treues Spiegel¬
bild unseres Volkslebens. Nun hätte man denken sollen, daß man sich wenigstens
bemüht hätte, diese zentrifugalen Tendenzen zu vermindern oder wenigstens in
ihre momentane Grenzen zu bannen. Das Versailler Unterrichtsgesetz zeigt,
daß wir einen andern Weg gehen." (Der Verfasser schrieb diese Zeilen im
Dezember 1874 und spielte also auf die damals erfolgreichen Bestrebungen
des Klerus an, das Land wie in alter Zeit mit geistlichen Schulen und Uni¬
versitäten zu vergiften. Seitdem haben diese Verhältnisse sich, zum Glück für
die französische Nation, ja wesentlich verbessert.) „Es ist solche Zersplitterung
des Unterrichtswesens sehr bedauerlich, aber sie ist in tiefliegenden Ursachen
begründet, in der Geschichte und Zusammensetzung unseres Volkslebens." In
einer Weise, die unwillkührlich an die Geschichte von den sauren Trauben
erinnert, fährt er dann tröstend fort: „Uebrigens scheint mir bei alledem ein
gut Theil Ueberspannung in den Bestrebungen unserer Nachbaren zu liegen.
Wer die Schule hat, hat deswegen noch keineswegs vollkommen die Jugend
seines Landes in der Hand. Da ist vor allem der Einfluß der „verborgenen
Mitarbeiter", wie der Philosoph Herbart sie nennt, zu berücksichtigen. Dies
sind: die öffentliche Meinung, die Presse, das Privatleben, der Einfluß der
Höherstehenden, die Gewalt der Thatsachen, Nicht zum ersten Male ist der
Versuch gemacht, wie jetzt in Deutschland, wenn man aber den Bogen zu straff
spannt, so läuft man Gefahr, aus den jugendlichen Gemüthern Heuchler zu
machen oder sie zum Widerstande anzureizen!" Nun ich denke, ans die Gefahr
hin können wir es schon wagen, unsere Schule beizubehalten, und was den
Einfluß betrifft, so haben die Ereignisse jederzeit in Frankreich wie in Deutsch¬
land gezeigt, wie furchtbar tiefgreifend ein systematischer Schulunterricht wirkt.
Es ist eine traurige, aber wahre Thatsache, daß hier, wie bei vielen andern
menschlichen Einrichtungen, die Folgen schlechter und verwerflicher Einflüsse
sich deutlicher und empfindlicher zeigen, als die der guten und humanen Be¬
strebungen. Zeigen aber thun sie sich sehr deutlich. Laxignti sat! Was nun
den zweiten Theil seines Resümees anbelangt, nämlich die Wirkung der Schule
auf die Vaterlandsliebe der Jugend, so sagt er: „Auch in Bezug auf diesen
zweiten Punkt befinden wir uns in anderer Lage als Deutschland. Bei uns
nämlich ist der Patriotismus kein künstliches Schulprodukt, das aus den
höhern Bildungsschichten herabträufelnd dem Volke infiltrirt wird. Bei uns
besteht er in dem allgemein verbreiteten Bewußtsein einer glorreichen Vergangen¬
heit, der gemeinsamen Erinnerungen an die Großthaten Frankreich's in Krieg
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