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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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sich in der Einleitung des Generalstabswerks 1870/71 befindet, und wo es heißt,
daß selbst in den Lehrbüchern für Dorfschulen sich häufig der Passus findet:
"Frankreich habe das Recht und die Pflicht nach Herstellung seiner natürlichen
Grenzen zu trachten." Dergleichen ist einfach lächerlich. Selbst in einem
Mädchenpensionat zu Ermenonville, das, von den Bewohnern verlassen, mir
und meinen Kameraden einige Tage zum Quartier diente, fanden sich Schul¬
bücher mit derartigen Stellen zu Dutzenden schon damals, im Jahre 1870.
In dem Protokolle der Konferenzen über das höhere Unterrichtswesen, abge¬
halten im königlich preußischen Unterrichtsministerium im Oktober 1873, findet
sich ein Passus, der die Frage auswirft, durch welche Mittel dahin zu wirken
sei, das Nationalbewußtsein der Schüler recht lebhaft zu erwecken. Auch dies
findet B, höchst tadelnswerth, fast unmoralisch. Obwohl nnn der Referent über
die Sache, der Direktor Dr. Jäger, ausdrücklich in seiner Rede hervorhebt, daß
man bei solchen Bestrebungen vor Allem die Gefahr meiden müsse, "tendenziös"
zu werden, und sich darauf beschränkt, Bilder und Statuen vou historischen:
Werth und Gehalt zum würdigen Schmuck der Unterrichtsräume zu empfehlen,
sowie auf passende Feier von Königs Geburtstag und Sedan-Tag hinzuweisen,
hierbei aber auch sich gegen jede Vermehrung derartiger Festtage ausspricht, so
erscheint auch dies dem empfindlichen Franzosen noch zu viel.

Vollen Beifall dagegen findet die sorgsame und genaue Kontrole, welche
bei uns der Staat ausübt in Bezug auf die Ertheilung des Unterrichts in
öffentlichen und Privatanstalten. Der Verfasser, obwohl ganz entschieden
katholisch gesinnt, scheint dennoch in dem Unterricht der geistlichen Schulan-
stalten sehr trübe Erfahrungen gemacht zu haben, und seine Klagen beweisen,
wie richtig bei uns Staat und Abgeordnetenhaus gehandelt haben, indem sie
der immer wachsenden Ausdehnung dieser Verdnmmnngsanstalten einen energischen
Riegel vorgeschoben haben. Herr B. stellt die entsprechenden Z Z des deutschen
und französischen Schulgesetzes einander gegenüber und behauptet, die unseren
seien viel weitgehender Und energischer. Das erscheint nun keineswegs richtig,
denn wenn die französischen Gesetze nnr von energischen Richtern gehandhabt
würden, so könnten' sie vollkommen ausreichen. Das Gesetz vom 12. Mai
1850 sagt nämlich: "Im Sinne des Gesetzes werden zwei Arten von Schulen
unterschieden: niedere und höhere. § 1. Die von Seiten der Gemeinden, De¬
partements oder dem Staat unterhaltenen Schulen heißen öffentliche. Z 2. Alle
andern Schulen heißen freie. Die Ueberwachung der Schulen richtet sich nach
dem vom obersten Unterrichtsministerium entworfenen Reglement. Bei den
freien Schulen beschränkt sich diese Ueberwachung auf die Sittengesetze, die
Hygieine und Sanitätspolizei. In den Gang des Unterrichts darf die Ueber¬
wachung nur insoweit eingreifen, als sie für Aufrechterhaltung der Gesetze der


sich in der Einleitung des Generalstabswerks 1870/71 befindet, und wo es heißt,
daß selbst in den Lehrbüchern für Dorfschulen sich häufig der Passus findet:
„Frankreich habe das Recht und die Pflicht nach Herstellung seiner natürlichen
Grenzen zu trachten." Dergleichen ist einfach lächerlich. Selbst in einem
Mädchenpensionat zu Ermenonville, das, von den Bewohnern verlassen, mir
und meinen Kameraden einige Tage zum Quartier diente, fanden sich Schul¬
bücher mit derartigen Stellen zu Dutzenden schon damals, im Jahre 1870.
In dem Protokolle der Konferenzen über das höhere Unterrichtswesen, abge¬
halten im königlich preußischen Unterrichtsministerium im Oktober 1873, findet
sich ein Passus, der die Frage auswirft, durch welche Mittel dahin zu wirken
sei, das Nationalbewußtsein der Schüler recht lebhaft zu erwecken. Auch dies
findet B, höchst tadelnswerth, fast unmoralisch. Obwohl nnn der Referent über
die Sache, der Direktor Dr. Jäger, ausdrücklich in seiner Rede hervorhebt, daß
man bei solchen Bestrebungen vor Allem die Gefahr meiden müsse, „tendenziös"
zu werden, und sich darauf beschränkt, Bilder und Statuen vou historischen:
Werth und Gehalt zum würdigen Schmuck der Unterrichtsräume zu empfehlen,
sowie auf passende Feier von Königs Geburtstag und Sedan-Tag hinzuweisen,
hierbei aber auch sich gegen jede Vermehrung derartiger Festtage ausspricht, so
erscheint auch dies dem empfindlichen Franzosen noch zu viel.

Vollen Beifall dagegen findet die sorgsame und genaue Kontrole, welche
bei uns der Staat ausübt in Bezug auf die Ertheilung des Unterrichts in
öffentlichen und Privatanstalten. Der Verfasser, obwohl ganz entschieden
katholisch gesinnt, scheint dennoch in dem Unterricht der geistlichen Schulan-
stalten sehr trübe Erfahrungen gemacht zu haben, und seine Klagen beweisen,
wie richtig bei uns Staat und Abgeordnetenhaus gehandelt haben, indem sie
der immer wachsenden Ausdehnung dieser Verdnmmnngsanstalten einen energischen
Riegel vorgeschoben haben. Herr B. stellt die entsprechenden Z Z des deutschen
und französischen Schulgesetzes einander gegenüber und behauptet, die unseren
seien viel weitgehender Und energischer. Das erscheint nun keineswegs richtig,
denn wenn die französischen Gesetze nnr von energischen Richtern gehandhabt
würden, so könnten' sie vollkommen ausreichen. Das Gesetz vom 12. Mai
1850 sagt nämlich: „Im Sinne des Gesetzes werden zwei Arten von Schulen
unterschieden: niedere und höhere. § 1. Die von Seiten der Gemeinden, De¬
partements oder dem Staat unterhaltenen Schulen heißen öffentliche. Z 2. Alle
andern Schulen heißen freie. Die Ueberwachung der Schulen richtet sich nach
dem vom obersten Unterrichtsministerium entworfenen Reglement. Bei den
freien Schulen beschränkt sich diese Ueberwachung auf die Sittengesetze, die
Hygieine und Sanitätspolizei. In den Gang des Unterrichts darf die Ueber¬
wachung nur insoweit eingreifen, als sie für Aufrechterhaltung der Gesetze der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/224>, abgerufen am 05.02.2025.