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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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einrücken.") Und wer es nur immer hören wollte, konnte von dem königlichen
Kommissar unverholen äußern hören, daß Leipzig eine Genugthuung
nur zu geben, nicht zu erwarten habe. Ueberall sprach er nur von
dem gar nicht zu sühnenden Frevel gegen den Prinzen, von dem Schießen aber
als einer ganz gerechtfertigten Maßregel.^)

Durch solche Erklärungen mußte das Vertrauen in die Unparteilichkeit der
außerordentliche" Untersuchungs-Kommission, die gleichzeitig mit von Langenn
in Leipzig eintraf, von vornherein untergraben werden. Dazu kamen mannig¬
fache andere Bedenken gegen ihre Arbeit. Diese Kommission empfing ihre In¬
struktionen direkt vom Ministerium: des Innern.^) Nicht sie, sondern das
Ministerium hat die Ergebnisse ihrer Erörterungen, und auch diese uur theil¬
weise, veröffentlicht. Die Kommission durfte, da es sich uicht um eine förm¬
liche richterliche Untersuchung, soudern nur um polizeiliche Vorerörterungen
handelte, die vernommenen Zeugen nicht vereitelt. Statt des Eides wurde die
bedenkliche "Versicherung auf Ehrenwort" bei Zivilisten, der "pflichtgemäße
Rapport" bei Soldaten, die als Zeugen abgehört wurden, substituirt.f) Auf
die außerordentlich bedeutenden Widersprüche zwischen den Aussagen der Zeugen,
namentlich der völlig neutralen Zeugen, welche weder eine thätliche Provokation
des Militärs seitens der Menge wahrgenommen haben wollten, ehe geschossen
wurde (zu diesen Zeugen gehörten sämmtliche Leipziger Polizeidiener, welche
an der Töte des Pelotons Vollborn die Promenade sauberem), noch auch ge¬
hört hatten, daß vor dem Schießen die gesetzlich nothwendige Aufforderung zum
Auseinandergehen vernehmbar verkündigt worden sei, hatte man fast gar kein
Gewicht gelegt. Man hielt eben für bewiesen, was man bewiesen wünschte.
Das Verfahren der Militärbehörde wurde als gerechtfertigt anerkannt und nnr
gegen die Zivilbehörde wegen zu späten Einschreitens gegen den Tumult eine
Disziplinaruntersuchuug vorbehalten.ff) Dieser Vorbehalt war um so unbe¬
greiflicher, als später in den Kammerverhandlungen über die Augustereignisse
der Minister von Nostiz-Wallwitz gleich zu Anfang der Debatte unaufgefordert
erklärte, "daß an jenem Abend in Leipzig die Kvmmunalgarde nicht ans Mi߬
trauen nicht berufen worden sei, sondern aus unzeitiger Schonung, aus Rück¬
sicht auf die von derselben während des Tages ausgehaltenen Strapazen!" I'l'l')

Um so härter wurde gegen die Schuldigen dritten und vierten Ranges,








"*) Biedermann, Siichs. Zustände, a. a. O. S. 348.
*) Ur. 196, 184S.
*"-*) Biedermann, ebenda S. 349.
1') Erklärung des Kriegsministers v. Nostiz-Wallwitz in der letzten Sitzung der zweiten
Kammer über die Augustereignisse.
11') Bekanntmachung der Regierung über die Untersnchuugscrgebnisse vom 29. Aug. 1846.
111) Landtagsmitthcilnngen der 2. Kammer über die Sitzung wen 14. Mai 1846.

einrücken.") Und wer es nur immer hören wollte, konnte von dem königlichen
Kommissar unverholen äußern hören, daß Leipzig eine Genugthuung
nur zu geben, nicht zu erwarten habe. Ueberall sprach er nur von
dem gar nicht zu sühnenden Frevel gegen den Prinzen, von dem Schießen aber
als einer ganz gerechtfertigten Maßregel.^)

Durch solche Erklärungen mußte das Vertrauen in die Unparteilichkeit der
außerordentliche» Untersuchungs-Kommission, die gleichzeitig mit von Langenn
in Leipzig eintraf, von vornherein untergraben werden. Dazu kamen mannig¬
fache andere Bedenken gegen ihre Arbeit. Diese Kommission empfing ihre In¬
struktionen direkt vom Ministerium: des Innern.^) Nicht sie, sondern das
Ministerium hat die Ergebnisse ihrer Erörterungen, und auch diese uur theil¬
weise, veröffentlicht. Die Kommission durfte, da es sich uicht um eine förm¬
liche richterliche Untersuchung, soudern nur um polizeiliche Vorerörterungen
handelte, die vernommenen Zeugen nicht vereitelt. Statt des Eides wurde die
bedenkliche „Versicherung auf Ehrenwort" bei Zivilisten, der „pflichtgemäße
Rapport" bei Soldaten, die als Zeugen abgehört wurden, substituirt.f) Auf
die außerordentlich bedeutenden Widersprüche zwischen den Aussagen der Zeugen,
namentlich der völlig neutralen Zeugen, welche weder eine thätliche Provokation
des Militärs seitens der Menge wahrgenommen haben wollten, ehe geschossen
wurde (zu diesen Zeugen gehörten sämmtliche Leipziger Polizeidiener, welche
an der Töte des Pelotons Vollborn die Promenade sauberem), noch auch ge¬
hört hatten, daß vor dem Schießen die gesetzlich nothwendige Aufforderung zum
Auseinandergehen vernehmbar verkündigt worden sei, hatte man fast gar kein
Gewicht gelegt. Man hielt eben für bewiesen, was man bewiesen wünschte.
Das Verfahren der Militärbehörde wurde als gerechtfertigt anerkannt und nnr
gegen die Zivilbehörde wegen zu späten Einschreitens gegen den Tumult eine
Disziplinaruntersuchuug vorbehalten.ff) Dieser Vorbehalt war um so unbe¬
greiflicher, als später in den Kammerverhandlungen über die Augustereignisse
der Minister von Nostiz-Wallwitz gleich zu Anfang der Debatte unaufgefordert
erklärte, „daß an jenem Abend in Leipzig die Kvmmunalgarde nicht ans Mi߬
trauen nicht berufen worden sei, sondern aus unzeitiger Schonung, aus Rück¬
sicht auf die von derselben während des Tages ausgehaltenen Strapazen!" I'l'l')

Um so härter wurde gegen die Schuldigen dritten und vierten Ranges,








»*) Biedermann, Siichs. Zustände, a. a. O. S. 348.
*) Ur. 196, 184S.
*"-*) Biedermann, ebenda S. 349.
1') Erklärung des Kriegsministers v. Nostiz-Wallwitz in der letzten Sitzung der zweiten
Kammer über die Augustereignisse.
11') Bekanntmachung der Regierung über die Untersnchuugscrgebnisse vom 29. Aug. 1846.
111) Landtagsmitthcilnngen der 2. Kammer über die Sitzung wen 14. Mai 1846.
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[0115] einrücken.") Und wer es nur immer hören wollte, konnte von dem königlichen Kommissar unverholen äußern hören, daß Leipzig eine Genugthuung nur zu geben, nicht zu erwarten habe. Ueberall sprach er nur von dem gar nicht zu sühnenden Frevel gegen den Prinzen, von dem Schießen aber als einer ganz gerechtfertigten Maßregel.^) Durch solche Erklärungen mußte das Vertrauen in die Unparteilichkeit der außerordentliche» Untersuchungs-Kommission, die gleichzeitig mit von Langenn in Leipzig eintraf, von vornherein untergraben werden. Dazu kamen mannig¬ fache andere Bedenken gegen ihre Arbeit. Diese Kommission empfing ihre In¬ struktionen direkt vom Ministerium: des Innern.^) Nicht sie, sondern das Ministerium hat die Ergebnisse ihrer Erörterungen, und auch diese uur theil¬ weise, veröffentlicht. Die Kommission durfte, da es sich uicht um eine förm¬ liche richterliche Untersuchung, soudern nur um polizeiliche Vorerörterungen handelte, die vernommenen Zeugen nicht vereitelt. Statt des Eides wurde die bedenkliche „Versicherung auf Ehrenwort" bei Zivilisten, der „pflichtgemäße Rapport" bei Soldaten, die als Zeugen abgehört wurden, substituirt.f) Auf die außerordentlich bedeutenden Widersprüche zwischen den Aussagen der Zeugen, namentlich der völlig neutralen Zeugen, welche weder eine thätliche Provokation des Militärs seitens der Menge wahrgenommen haben wollten, ehe geschossen wurde (zu diesen Zeugen gehörten sämmtliche Leipziger Polizeidiener, welche an der Töte des Pelotons Vollborn die Promenade sauberem), noch auch ge¬ hört hatten, daß vor dem Schießen die gesetzlich nothwendige Aufforderung zum Auseinandergehen vernehmbar verkündigt worden sei, hatte man fast gar kein Gewicht gelegt. Man hielt eben für bewiesen, was man bewiesen wünschte. Das Verfahren der Militärbehörde wurde als gerechtfertigt anerkannt und nnr gegen die Zivilbehörde wegen zu späten Einschreitens gegen den Tumult eine Disziplinaruntersuchuug vorbehalten.ff) Dieser Vorbehalt war um so unbe¬ greiflicher, als später in den Kammerverhandlungen über die Augustereignisse der Minister von Nostiz-Wallwitz gleich zu Anfang der Debatte unaufgefordert erklärte, „daß an jenem Abend in Leipzig die Kvmmunalgarde nicht ans Mi߬ trauen nicht berufen worden sei, sondern aus unzeitiger Schonung, aus Rück¬ sicht auf die von derselben während des Tages ausgehaltenen Strapazen!" I'l'l') Um so härter wurde gegen die Schuldigen dritten und vierten Ranges, »*) Biedermann, Siichs. Zustände, a. a. O. S. 348. *) Ur. 196, 184S. *"-*) Biedermann, ebenda S. 349. 1') Erklärung des Kriegsministers v. Nostiz-Wallwitz in der letzten Sitzung der zweiten Kammer über die Augustereignisse. 11') Bekanntmachung der Regierung über die Untersnchuugscrgebnisse vom 29. Aug. 1846. 111) Landtagsmitthcilnngen der 2. Kammer über die Sitzung wen 14. Mai 1846.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/115>, abgerufen am 05.02.2025.