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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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liebe Kommissar Geheimrath von Langen" am 16, August seinen Einzug in
die Stadt; der Mann, der Sühne und Gerechtigkeit bringen sollte und von
dem die Stadt dies vertrauensvoll erwartete, da er damals noch nicht für
immer gerichtet war durch die Todteugräberarbeit, die er später an dem Meck¬
lenburgischen Verfassungsrecht durch den Freienwalder Schiedsspruch vollzog.
Sein erstes Austreten in Leipzig zeigte freilich sofort, wessen man von diesem
Herrn sich zu versehen hatte. Noch konnte die Negierung nur die Berichte
ihrer Kreaturen über die unglückseligen Ereignisse besitzen. Kein Zeuge der
That, kein Mitglied einer städtischen Behörde, einschließlich der Kommnnal-
garde, war noch vernommen. Und gleichwohl trat dieser Manu vor die vou
ihm versammelten Gemeindevertreter und erklärte in der hochfahrendsten, schroff¬
sten Weise: "die Regierung wird die von ihren Organen ergriffenen Maßregeln
vertreten; zu irgeud einer Diskussion hierüber bin ich nicht beauftragt." Der
Schluß seiner Worte aber lautete: "Die bewaffnete Macht hat also den be¬
stehenden Gesetzen nach gehandelt!" Und gleichzeitig verlas der königliche
Kommissar den erstaunten Gemeiudevertretern die schriftliche Antwort des Königs
ans die Leipziger Adressen. Falkenstein hatte sie kontrasignirt.

Sie war herb und streng gehalten. Nachdem von dem "unwürdigen
Frevel" eingehend die Rede gewesen, dessen "Schauplatz das vielfach gesegnete
und blühende Leipzig" gewesen, lauteten die einzigen Sühne -- aber welche
Sühne! -- verheißenden Zeilen wörtlich also: "Strenge Untersuchung der
stattgefundenen Unordnungen und eine unbefangene Betrachtung des Ver¬
fahrens der Behörden wird Licht über das Ganze verbreiten") ... so daß
es hoffentlich nicht ernsterer Maßregeln bedürfen wird, um dein Gesetze seine
Geltung zu verschaffen. Aber mit tiefem Schmerze muß ich es aussprechen:
Wankend geworden ist mein Vertrauen zu einer Stadt, in deren Mittel?!)
anch nur der Gedanke einer solchen Handlung entstehen, unter deren Augen (?)
er ausgeführt werden konnte."

Mit diesen Eröffnungen war die Richtung der Erörterungen klar bezeichnet,
welche die Regierung über die furchtbaren Ereignisse vorzunehmen willens war.
"Strenge Untersuchung der stattgefundenen Unordnungen" und "eine unbefan¬
gene Betrachtung des Verfahrens der Behörden"! Um keinen Zweifel über
seine und der Regierung Tendenz bei der Sache aufkommen zu lassen, ließ
von Lcmgenn noch am nämlichen 16. August den Wortlaut seiner Anrede an
die Gemeindevertretung und die Antwort des Königs in die Leipziger Zeitung



*) Der König gab also in seiner vom 13. Angust dcitirtcn Antwort selbst zu, daß noch
Dunkel über den Vorgängen vom 12. Angust liege. Herr von Langcnn dagegen erklärte
gleichzeitig, die Regierung werde "ihre Organe vertreten", sie hätten "nach dein Gesetz ge¬
handelt!"

liebe Kommissar Geheimrath von Langen» am 16, August seinen Einzug in
die Stadt; der Mann, der Sühne und Gerechtigkeit bringen sollte und von
dem die Stadt dies vertrauensvoll erwartete, da er damals noch nicht für
immer gerichtet war durch die Todteugräberarbeit, die er später an dem Meck¬
lenburgischen Verfassungsrecht durch den Freienwalder Schiedsspruch vollzog.
Sein erstes Austreten in Leipzig zeigte freilich sofort, wessen man von diesem
Herrn sich zu versehen hatte. Noch konnte die Negierung nur die Berichte
ihrer Kreaturen über die unglückseligen Ereignisse besitzen. Kein Zeuge der
That, kein Mitglied einer städtischen Behörde, einschließlich der Kommnnal-
garde, war noch vernommen. Und gleichwohl trat dieser Manu vor die vou
ihm versammelten Gemeindevertreter und erklärte in der hochfahrendsten, schroff¬
sten Weise: „die Regierung wird die von ihren Organen ergriffenen Maßregeln
vertreten; zu irgeud einer Diskussion hierüber bin ich nicht beauftragt." Der
Schluß seiner Worte aber lautete: „Die bewaffnete Macht hat also den be¬
stehenden Gesetzen nach gehandelt!" Und gleichzeitig verlas der königliche
Kommissar den erstaunten Gemeiudevertretern die schriftliche Antwort des Königs
ans die Leipziger Adressen. Falkenstein hatte sie kontrasignirt.

Sie war herb und streng gehalten. Nachdem von dem „unwürdigen
Frevel" eingehend die Rede gewesen, dessen „Schauplatz das vielfach gesegnete
und blühende Leipzig" gewesen, lauteten die einzigen Sühne — aber welche
Sühne! — verheißenden Zeilen wörtlich also: „Strenge Untersuchung der
stattgefundenen Unordnungen und eine unbefangene Betrachtung des Ver¬
fahrens der Behörden wird Licht über das Ganze verbreiten") ... so daß
es hoffentlich nicht ernsterer Maßregeln bedürfen wird, um dein Gesetze seine
Geltung zu verschaffen. Aber mit tiefem Schmerze muß ich es aussprechen:
Wankend geworden ist mein Vertrauen zu einer Stadt, in deren Mittel?!)
anch nur der Gedanke einer solchen Handlung entstehen, unter deren Augen (?)
er ausgeführt werden konnte."

Mit diesen Eröffnungen war die Richtung der Erörterungen klar bezeichnet,
welche die Regierung über die furchtbaren Ereignisse vorzunehmen willens war.
„Strenge Untersuchung der stattgefundenen Unordnungen" und „eine unbefan¬
gene Betrachtung des Verfahrens der Behörden"! Um keinen Zweifel über
seine und der Regierung Tendenz bei der Sache aufkommen zu lassen, ließ
von Lcmgenn noch am nämlichen 16. August den Wortlaut seiner Anrede an
die Gemeindevertretung und die Antwort des Königs in die Leipziger Zeitung



*) Der König gab also in seiner vom 13. Angust dcitirtcn Antwort selbst zu, daß noch
Dunkel über den Vorgängen vom 12. Angust liege. Herr von Langcnn dagegen erklärte
gleichzeitig, die Regierung werde „ihre Organe vertreten", sie hätten „nach dein Gesetz ge¬
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/114>, abgerufen am 05.02.2025.