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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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-- man sieht im Vordergründe Männer, Frauen und Kinder im Blute ertrinken!
-- entzieht sich vollends jeder Diskussion.

Glücklicherweise hat Dore diese Scharten durch jene glückliche Exkursion
auf das Gebiet der Plastik wieder ausgemerzt. Es ist eine kolossale Vase --
und darum mag sich ihre Schilderung an unsere Charakteristik der Scvres-
Gefäße anschließen. Die Vase, vor der Hand nur Modell, aber für den
Bronzeguß gedacht, ist aus Gips geformt und mit einem hellgrünen bronze¬
artigen Anstrich überzogen, der die Wirkung der antiken Palma, des asr^-o
nokilis, auf das glücklichste imitirt. Sie hat ungefähr die Gestalt einer griechischen
Amphora ohne Henkel -- ein schlanker Hals auf dicken Bauche -- und mag
etwa acht Fuß in der Höhe messen. Ueppiges Weinlaub, von vollen Trauben
beschwert, ist um den Hals geschlungen; es fällt in dicken Ranken auf den
Bauch des Gefäßes herab, der den Tummelplatz einer unzähligen Menge der ent¬
zückendsten, reizendsten Figürchen bildet. Man denke: ein Baechenal in plastischen,
fast frei ausgearbeiteten Figuren am Bauche eines Gefäßes. Amoretten,
Nymphen und Satyrn treiben ihr loses ausgelassenes Spiel. Zwischen den ge¬
flügelten, kleinen Burschen, die sich in athemloser Hast beeilen, an dem glatten
Bauch, an dem steilen Halse emporzuklimmen, ist augenscheinlich ein hitziger Wett¬
streit entbrannt. Hier klammert sich einer an den Fuß des andern, der sich kaum
noch selber zu halten weiß, dort hat sich ein Uuglücksmännchen in das dicke
Weinlaub verwickelt und schreit jämmerlich um Hilfe und dort purzelt eiuer
hinunter mitten in einen Knäuel kleiner Gefährten, die verzweifelt zu der
schwindelnden Höhe emporschauen. Keiner hat für den andern ein Ohr.
"Hinauf! hinauf strebt's." Aber es ist schon zu spät. Oben auf dem Rande
des Halses sind bereits ein paar kleine Kerle angelangt, welche aus Leibes¬
kräften Viktoria! schreien, während die Nachzügler noch allerhand Fährlichkeiten
zu bestehen haben. Hier stellt sich ihnen ein Ungeheuer in Gestalt einer großen
Eidechse in den Weg, mit der sie einen beherzter Kampf aufnehmen. Dort
gerathen zwei andere in die Schlügereien zweier Satyrn, die sich auch an dem
Wettlauf betheiligen, aber unterwegs Streit bekommen haben. Und inmitten
dieses phantastischen, jeder Beschreibung spottenden Gewirrs liegen in süßer
Ruhe die schönsten Nymphen und Baechautinen, eine immer bezaubernder als
die andre, Figürchen von der Länge einer Hand, aber mit dem edelsten und
reinsten Formengefühl, mit bewunderungswürdiger Körpcrkenntniß ausgeführt,
mit einer holdseligen Grazie übergössen, die auch die verfänglichsten Situationen
in unschuldigem Lichte erscheinen läßt. .




— man sieht im Vordergründe Männer, Frauen und Kinder im Blute ertrinken!
— entzieht sich vollends jeder Diskussion.

Glücklicherweise hat Dore diese Scharten durch jene glückliche Exkursion
auf das Gebiet der Plastik wieder ausgemerzt. Es ist eine kolossale Vase —
und darum mag sich ihre Schilderung an unsere Charakteristik der Scvres-
Gefäße anschließen. Die Vase, vor der Hand nur Modell, aber für den
Bronzeguß gedacht, ist aus Gips geformt und mit einem hellgrünen bronze¬
artigen Anstrich überzogen, der die Wirkung der antiken Palma, des asr^-o
nokilis, auf das glücklichste imitirt. Sie hat ungefähr die Gestalt einer griechischen
Amphora ohne Henkel — ein schlanker Hals auf dicken Bauche — und mag
etwa acht Fuß in der Höhe messen. Ueppiges Weinlaub, von vollen Trauben
beschwert, ist um den Hals geschlungen; es fällt in dicken Ranken auf den
Bauch des Gefäßes herab, der den Tummelplatz einer unzähligen Menge der ent¬
zückendsten, reizendsten Figürchen bildet. Man denke: ein Baechenal in plastischen,
fast frei ausgearbeiteten Figuren am Bauche eines Gefäßes. Amoretten,
Nymphen und Satyrn treiben ihr loses ausgelassenes Spiel. Zwischen den ge¬
flügelten, kleinen Burschen, die sich in athemloser Hast beeilen, an dem glatten
Bauch, an dem steilen Halse emporzuklimmen, ist augenscheinlich ein hitziger Wett¬
streit entbrannt. Hier klammert sich einer an den Fuß des andern, der sich kaum
noch selber zu halten weiß, dort hat sich ein Uuglücksmännchen in das dicke
Weinlaub verwickelt und schreit jämmerlich um Hilfe und dort purzelt eiuer
hinunter mitten in einen Knäuel kleiner Gefährten, die verzweifelt zu der
schwindelnden Höhe emporschauen. Keiner hat für den andern ein Ohr.
„Hinauf! hinauf strebt's." Aber es ist schon zu spät. Oben auf dem Rande
des Halses sind bereits ein paar kleine Kerle angelangt, welche aus Leibes¬
kräften Viktoria! schreien, während die Nachzügler noch allerhand Fährlichkeiten
zu bestehen haben. Hier stellt sich ihnen ein Ungeheuer in Gestalt einer großen
Eidechse in den Weg, mit der sie einen beherzter Kampf aufnehmen. Dort
gerathen zwei andere in die Schlügereien zweier Satyrn, die sich auch an dem
Wettlauf betheiligen, aber unterwegs Streit bekommen haben. Und inmitten
dieses phantastischen, jeder Beschreibung spottenden Gewirrs liegen in süßer
Ruhe die schönsten Nymphen und Baechautinen, eine immer bezaubernder als
die andre, Figürchen von der Länge einer Hand, aber mit dem edelsten und
reinsten Formengefühl, mit bewunderungswürdiger Körpcrkenntniß ausgeführt,
mit einer holdseligen Grazie übergössen, die auch die verfänglichsten Situationen
in unschuldigem Lichte erscheinen läßt. .




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/80>, abgerufen am 22.07.2024.