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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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so schnell bei der Hand, sie folgen mehr dein Zuge ihrer künstlerischen Natur
und -- man muß es leider gestehen ^ selbst in ihren Verirrungen sind sie
anziehend und interessant.

Eine solche Verirrung ^ nein! Das Wort wäre zu hart! -- eine köst¬
liche Improvisation voll Geist und Laune, die den strengen Stilgesetzen lachend
ein Schnippchen schlüge, hat der berühmte Zeichner und Maler, Gustav Dore,
zu Stande gebracht, ein Künstler von vielseitiger Begabung, der den Zeichen-
stift mit gleicher Virtuosität handhabt, wie das Modellirholz. Wer die rei¬
zenden Illustrationen des Meisters zu Perraults Märchen, zu deu Fabeln
Lafontaines kennt, wird ermessen, was das bedeuten will. Wenn nur der
Meister seine unglückliche Neigung für die religiöse Malerei, für die Oelmalerei
überhaupt aufgeben wollte! Auf diesem Gebiete verläßt ihn selbst sein Zeichen¬
stift, deu er doch sonst mit einer unvergleichlichen Virtuosität beherrscht. Die
französische Kunstausstellung zeigt uns ein abschreckendes Beispiel dieser Art.
Dore hat zwar im Ganzen dort fünf Gemälde ausgestellt, aber vier von ihnen
sind nicht der Rede werth. Für das fünfte, welches den Beschauer in die
Arena eines römischen Circus führt, hat der Maler Grauen, Entsetzen, grüne
Seife und elektrisches Licht zu einem Hvllengemisch zusammengebraut, das ihm
als Farbe gedient hat. Die Zuschauer haben, gesättigt von dem blutigen
Schauspiel, längst die Sitzreihen des Cirkus verlassen. Die Nacht ist herein¬
gebrochen, und ein klarer Sternenhimmel spannt sich über Leichenhaufen, mit
welchen die Arena übersät ist. Es sind todte Christen, die, von Löwen, Tigern
und anderen wilden Bestien zerfleischt, in ihrem Blute schwimmen. Schon bis
zum Ueberdruß gesättigt, liegen die Thiere, zu scheußlichen Klumpen geballt,
auf den Leichen umher. Hie und da schlägt noch ein blutlechzender Tiger
seine Pranke in den noch zuckenden Leib einer zarten Märtyrerin. Da öffnet
sich der Himmel, und von grünem Glänze umflossen, der sich gleichmäßig auf
die Menschen und auf die Bestien ergießt, schwebt eine Engelschaar herab, in
den Händen die Märtyrerpalmen tragend.

Nicht viel glücklicher, wenn auch weniger gespenster- und grauenhaft, ist
ein riesiges Bild, mit welchem Dorn den "Salon", die Jahresausstellung der
Pariser Künstler, schmücken zu müssen glaubte. Es hat die Ausstellung Christi
mit der Dornenkrone auf dem blutenden Haupte, das sogenannte Loch uvae",
zum Gegenstände. Christus steht in der Mitte eines Gebändes; zwischen ihm
und dem unten lärmenden Volke zieht sich eine breite, langweilige Treppe hin,
die das Centrum des Gemäldes bildet, das in Composition und Colorit gleich¬
müßig verfehlt ist. Ein zweites Bild, das ebenfalls im diesjährigen "Salon"
zu sehen ist, Moses vor Pharao, wie er die Blutplage über Egypten verhängt


so schnell bei der Hand, sie folgen mehr dein Zuge ihrer künstlerischen Natur
und — man muß es leider gestehen ^ selbst in ihren Verirrungen sind sie
anziehend und interessant.

Eine solche Verirrung ^ nein! Das Wort wäre zu hart! — eine köst¬
liche Improvisation voll Geist und Laune, die den strengen Stilgesetzen lachend
ein Schnippchen schlüge, hat der berühmte Zeichner und Maler, Gustav Dore,
zu Stande gebracht, ein Künstler von vielseitiger Begabung, der den Zeichen-
stift mit gleicher Virtuosität handhabt, wie das Modellirholz. Wer die rei¬
zenden Illustrationen des Meisters zu Perraults Märchen, zu deu Fabeln
Lafontaines kennt, wird ermessen, was das bedeuten will. Wenn nur der
Meister seine unglückliche Neigung für die religiöse Malerei, für die Oelmalerei
überhaupt aufgeben wollte! Auf diesem Gebiete verläßt ihn selbst sein Zeichen¬
stift, deu er doch sonst mit einer unvergleichlichen Virtuosität beherrscht. Die
französische Kunstausstellung zeigt uns ein abschreckendes Beispiel dieser Art.
Dore hat zwar im Ganzen dort fünf Gemälde ausgestellt, aber vier von ihnen
sind nicht der Rede werth. Für das fünfte, welches den Beschauer in die
Arena eines römischen Circus führt, hat der Maler Grauen, Entsetzen, grüne
Seife und elektrisches Licht zu einem Hvllengemisch zusammengebraut, das ihm
als Farbe gedient hat. Die Zuschauer haben, gesättigt von dem blutigen
Schauspiel, längst die Sitzreihen des Cirkus verlassen. Die Nacht ist herein¬
gebrochen, und ein klarer Sternenhimmel spannt sich über Leichenhaufen, mit
welchen die Arena übersät ist. Es sind todte Christen, die, von Löwen, Tigern
und anderen wilden Bestien zerfleischt, in ihrem Blute schwimmen. Schon bis
zum Ueberdruß gesättigt, liegen die Thiere, zu scheußlichen Klumpen geballt,
auf den Leichen umher. Hie und da schlägt noch ein blutlechzender Tiger
seine Pranke in den noch zuckenden Leib einer zarten Märtyrerin. Da öffnet
sich der Himmel, und von grünem Glänze umflossen, der sich gleichmäßig auf
die Menschen und auf die Bestien ergießt, schwebt eine Engelschaar herab, in
den Händen die Märtyrerpalmen tragend.

Nicht viel glücklicher, wenn auch weniger gespenster- und grauenhaft, ist
ein riesiges Bild, mit welchem Dorn den „Salon", die Jahresausstellung der
Pariser Künstler, schmücken zu müssen glaubte. Es hat die Ausstellung Christi
mit der Dornenkrone auf dem blutenden Haupte, das sogenannte Loch uvae»,
zum Gegenstände. Christus steht in der Mitte eines Gebändes; zwischen ihm
und dem unten lärmenden Volke zieht sich eine breite, langweilige Treppe hin,
die das Centrum des Gemäldes bildet, das in Composition und Colorit gleich¬
müßig verfehlt ist. Ein zweites Bild, das ebenfalls im diesjährigen „Salon"
zu sehen ist, Moses vor Pharao, wie er die Blutplage über Egypten verhängt


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[0079] so schnell bei der Hand, sie folgen mehr dein Zuge ihrer künstlerischen Natur und — man muß es leider gestehen ^ selbst in ihren Verirrungen sind sie anziehend und interessant. Eine solche Verirrung ^ nein! Das Wort wäre zu hart! — eine köst¬ liche Improvisation voll Geist und Laune, die den strengen Stilgesetzen lachend ein Schnippchen schlüge, hat der berühmte Zeichner und Maler, Gustav Dore, zu Stande gebracht, ein Künstler von vielseitiger Begabung, der den Zeichen- stift mit gleicher Virtuosität handhabt, wie das Modellirholz. Wer die rei¬ zenden Illustrationen des Meisters zu Perraults Märchen, zu deu Fabeln Lafontaines kennt, wird ermessen, was das bedeuten will. Wenn nur der Meister seine unglückliche Neigung für die religiöse Malerei, für die Oelmalerei überhaupt aufgeben wollte! Auf diesem Gebiete verläßt ihn selbst sein Zeichen¬ stift, deu er doch sonst mit einer unvergleichlichen Virtuosität beherrscht. Die französische Kunstausstellung zeigt uns ein abschreckendes Beispiel dieser Art. Dore hat zwar im Ganzen dort fünf Gemälde ausgestellt, aber vier von ihnen sind nicht der Rede werth. Für das fünfte, welches den Beschauer in die Arena eines römischen Circus führt, hat der Maler Grauen, Entsetzen, grüne Seife und elektrisches Licht zu einem Hvllengemisch zusammengebraut, das ihm als Farbe gedient hat. Die Zuschauer haben, gesättigt von dem blutigen Schauspiel, längst die Sitzreihen des Cirkus verlassen. Die Nacht ist herein¬ gebrochen, und ein klarer Sternenhimmel spannt sich über Leichenhaufen, mit welchen die Arena übersät ist. Es sind todte Christen, die, von Löwen, Tigern und anderen wilden Bestien zerfleischt, in ihrem Blute schwimmen. Schon bis zum Ueberdruß gesättigt, liegen die Thiere, zu scheußlichen Klumpen geballt, auf den Leichen umher. Hie und da schlägt noch ein blutlechzender Tiger seine Pranke in den noch zuckenden Leib einer zarten Märtyrerin. Da öffnet sich der Himmel, und von grünem Glänze umflossen, der sich gleichmäßig auf die Menschen und auf die Bestien ergießt, schwebt eine Engelschaar herab, in den Händen die Märtyrerpalmen tragend. Nicht viel glücklicher, wenn auch weniger gespenster- und grauenhaft, ist ein riesiges Bild, mit welchem Dorn den „Salon", die Jahresausstellung der Pariser Künstler, schmücken zu müssen glaubte. Es hat die Ausstellung Christi mit der Dornenkrone auf dem blutenden Haupte, das sogenannte Loch uvae», zum Gegenstände. Christus steht in der Mitte eines Gebändes; zwischen ihm und dem unten lärmenden Volke zieht sich eine breite, langweilige Treppe hin, die das Centrum des Gemäldes bildet, das in Composition und Colorit gleich¬ müßig verfehlt ist. Ein zweites Bild, das ebenfalls im diesjährigen „Salon" zu sehen ist, Moses vor Pharao, wie er die Blutplage über Egypten verhängt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/79>, abgerufen am 22.07.2024.