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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Iatum und Laziffan.

Während auf dem Berliner Congreß und in der europäischen Presse fast
ausschließlich von der Neuordnung der politischen und territorialen Verhältnisse
in der europäischen Türkei die Rede ist, verlautet kaum ein Wort über
jenen wichtigen Landstrich in Asien, der nach dem Frieden von San Stefano
von der Türkei an Rußland abgetreten würde. Es ist das Land von der
Mündung des Tschoruk ins Schwarze Meer bis an den Ararat, mit den
Festungen Batna, Kars und Bajasid, welches hier in Betracht kommt, und
in dem gegenwärtig die einheimische Bevölkerung von einer tiefgehenden Er¬
regung ergriffen ist, welche zu weiteren Komplikationen führen kann.

Am Schwarzen Meere wohnt hier, zwischen Batna und Trapezunt, das
Volk der Lazen, dessen Vertreter in Batna zusammentraten und am 29. Mai
d. I. an die dort befindlichen Commissäre der Pforte ein Aktenstück übergaben,
aus dem wir Nachfolgendes herausheben:

"Sollte Batna den Russen übergeben werden, ehe hierüber von den euro¬
päischen Mächten ein Uebereinkommen getroffen wurde, so werden wir als gute
Patrioten unser Leben für die Vertheidigung des heimischen Bodens opfern;
wir haben darum die Waffen ergriffen um lieber mit Ehren zu sterben, als
in Unehren weiter zu leben. Diejenigen unter uns, welche keine Flinten haben,
werden Aexte, Keulen, selbst die Fingernagel gebrauchen, um einer russischen
Invasion tapfer zu widerstehen. Man möge es nun wissen, daß nichts uns
von unserem Entschlüsse abhalten kann. Wir laden auf die verbrecherischen
Schultern alles Blut, das vergossen werden könnte. Wir überlassen es der
ottomanischen Negierung alsdann unsere Todten zu begraben. Großbritannien
und den Mächten aber schieben wir die Aufgabe zu, uns zu rächen. Dem
Mitleid unsrer mohamedanischen Brüder in Indien vertrauen wir unsre Wittwen
und Waisen an. -- Indem wir so gegenüber Nußland und der Türkei pro-
testiren, verlangen wir, daß die Russen unseren Boden nicht betreten sollen.
Wir verlangen, daß sie aus Artwin abziehen und wenn nicht, werden wir den
Kampf beginnen, indem wir ihnen alle Verantwortlichkeit zuschieben. Wir
verlangen, daß Abschriften dieses Protestes an die Pforte, an die Minister des
Auswärtigen in Rußland, England, Frankreich, Italien, Deutschland, Oester¬
reich und an den General Komaroff in Lipara mitgetheilt werden."

Unterzeichnet ist der Protest von Osman Pascha und elf der vornehmsten
Beys aus Lazistan. Gleichzeitig sandte man eine Schrift an die britische Ge¬
sandtschaft in Konstantinopel, in welcher die Lazen erklären sich unter britischen
Schutz stellen zu wollen.


Iatum und Laziffan.

Während auf dem Berliner Congreß und in der europäischen Presse fast
ausschließlich von der Neuordnung der politischen und territorialen Verhältnisse
in der europäischen Türkei die Rede ist, verlautet kaum ein Wort über
jenen wichtigen Landstrich in Asien, der nach dem Frieden von San Stefano
von der Türkei an Rußland abgetreten würde. Es ist das Land von der
Mündung des Tschoruk ins Schwarze Meer bis an den Ararat, mit den
Festungen Batna, Kars und Bajasid, welches hier in Betracht kommt, und
in dem gegenwärtig die einheimische Bevölkerung von einer tiefgehenden Er¬
regung ergriffen ist, welche zu weiteren Komplikationen führen kann.

Am Schwarzen Meere wohnt hier, zwischen Batna und Trapezunt, das
Volk der Lazen, dessen Vertreter in Batna zusammentraten und am 29. Mai
d. I. an die dort befindlichen Commissäre der Pforte ein Aktenstück übergaben,
aus dem wir Nachfolgendes herausheben:

„Sollte Batna den Russen übergeben werden, ehe hierüber von den euro¬
päischen Mächten ein Uebereinkommen getroffen wurde, so werden wir als gute
Patrioten unser Leben für die Vertheidigung des heimischen Bodens opfern;
wir haben darum die Waffen ergriffen um lieber mit Ehren zu sterben, als
in Unehren weiter zu leben. Diejenigen unter uns, welche keine Flinten haben,
werden Aexte, Keulen, selbst die Fingernagel gebrauchen, um einer russischen
Invasion tapfer zu widerstehen. Man möge es nun wissen, daß nichts uns
von unserem Entschlüsse abhalten kann. Wir laden auf die verbrecherischen
Schultern alles Blut, das vergossen werden könnte. Wir überlassen es der
ottomanischen Negierung alsdann unsere Todten zu begraben. Großbritannien
und den Mächten aber schieben wir die Aufgabe zu, uns zu rächen. Dem
Mitleid unsrer mohamedanischen Brüder in Indien vertrauen wir unsre Wittwen
und Waisen an. — Indem wir so gegenüber Nußland und der Türkei pro-
testiren, verlangen wir, daß die Russen unseren Boden nicht betreten sollen.
Wir verlangen, daß sie aus Artwin abziehen und wenn nicht, werden wir den
Kampf beginnen, indem wir ihnen alle Verantwortlichkeit zuschieben. Wir
verlangen, daß Abschriften dieses Protestes an die Pforte, an die Minister des
Auswärtigen in Rußland, England, Frankreich, Italien, Deutschland, Oester¬
reich und an den General Komaroff in Lipara mitgetheilt werden."

Unterzeichnet ist der Protest von Osman Pascha und elf der vornehmsten
Beys aus Lazistan. Gleichzeitig sandte man eine Schrift an die britische Ge¬
sandtschaft in Konstantinopel, in welcher die Lazen erklären sich unter britischen
Schutz stellen zu wollen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/69>, abgerufen am 03.07.2024.