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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Andersdenkende den Grundsatz aussprach, selbst der unmittelbar drohenden Ge¬
fahr gegenüber seien Ausnahmsmaßregeln unstatthaft. Der sonst von allen
Seiten verlassenen Sozialdemokratie hat Hänel augenblicklich den werthvollsten
Dienst geleistet, ihre Lehre und Bestrebungen als gleichberechtigt mit wissen¬
schaftlichen, religiösen und politischen Lehren hinzustellen, sie selbst durch Vor¬
kommnisse der letzten Zeiten möglichst zu entschuldigen und emphatisch zu fragen:
"Wer hebt den ersten Stein gegen die sozialdemokratische Bewegung?" Der
den ganzen Entwurf kennzeichnende Hinweis des Kanzler's, daß wir nicht ris-
kiren wollen, am Ende unter der Tyrannei einer Gesellschaft von Banditen zu
existiren, war die einzig passende Antwort auf die Rede Hänel's,

Als Vertreter der Sozialdemokratie hat Herr Bebel am 16. September seine
Rolle wohl ausgefüllt. Er trat, unter Befleißigung großer Mäßigung, mit
der ganzen Siegeszuversicht eines verrannten Fanatikers auf, der da weiß, daß
Hunderttausende hinter ihm stehen, und wußte mit vielem Geschick seine Partei
als harmlos, als unschuldig verfolgt und als die allein ehrenhafte hinzustellen,
welche an nichts weniger als an gewaltsamen Umsturz denke. War denn aber
das nicht derselbe Herr Bebel, der am 25. Mai 1871 im Reichstage die Pariser
Kommune verherrlichte und "Krieg den Palästen!" rief? Die Unschuldsmiene
hielt denn auch nicht ganz vor, die Drohung mit den durch das Gesetz brodlos
werdenden Arbeitern ließ das wahre Gesicht durchscheinen; ebenso seine prah¬
lerische Schilderung der großartigen Organisation seiner Partei, auf Grund
deren man ihr nicht werde an den Kragen kommen können. Das Meiste schien
er sich von Enthüllungen über Vorgänge zu versprechen, aus welchen hervor¬
gehen sollte, daß die preußische Regierung, insbesondere Fürst Bismarck, die
Sozialdemokratie früher unterstützt habe. Gründlicher ist aber wohl selten jemand
abgeführt worden, als Herr Bebel mit diesen offenbar nur auf Skandal berechneten
Klatschereien. Wir danken es dem Kanzler, daß er sich alsbald herabließ, diese
kleinlichen Anschuldigungen zu zertreten. Sie hätten sonst noch viel zur Herab¬
setzung der Regierung ausgebeutet werden können. Die heitere Laune, mit
welcher der Kanzler die mit Lügen aufgeputzten Erzählungen auf ihr nichts
zurückführte, übertraf diese selbst hundertfach an feuilletonistischer Unterhaltung.
Als der Sozialdemokrat Brake aus Braunschweig noch einen Versuch machte,
die Ziele seiner Partei als harmlos hinzustellen, fand derselbe keine Aufmerk¬
samkeit mehr, selbst als alles, was zu ihrer Vertheidigung vorgebracht wurde,
nur zu ihrer Belastung ausschlug. Schade, daß nicht ein Redner sich der
Mühe unterzog, aus sozialdemokratischen Blättern bis auf die neueste Zeit
das Ziel des gewaltsamen Umsturzes nachzuweisen. Was Minister Eulenburg
und der Kanzler in dieser Beziehung anführten, war nur wenig.

Wenn der greise Kleist-Retzow das ganze Gebahren der Sozialdemokratie


Andersdenkende den Grundsatz aussprach, selbst der unmittelbar drohenden Ge¬
fahr gegenüber seien Ausnahmsmaßregeln unstatthaft. Der sonst von allen
Seiten verlassenen Sozialdemokratie hat Hänel augenblicklich den werthvollsten
Dienst geleistet, ihre Lehre und Bestrebungen als gleichberechtigt mit wissen¬
schaftlichen, religiösen und politischen Lehren hinzustellen, sie selbst durch Vor¬
kommnisse der letzten Zeiten möglichst zu entschuldigen und emphatisch zu fragen:
„Wer hebt den ersten Stein gegen die sozialdemokratische Bewegung?" Der
den ganzen Entwurf kennzeichnende Hinweis des Kanzler's, daß wir nicht ris-
kiren wollen, am Ende unter der Tyrannei einer Gesellschaft von Banditen zu
existiren, war die einzig passende Antwort auf die Rede Hänel's,

Als Vertreter der Sozialdemokratie hat Herr Bebel am 16. September seine
Rolle wohl ausgefüllt. Er trat, unter Befleißigung großer Mäßigung, mit
der ganzen Siegeszuversicht eines verrannten Fanatikers auf, der da weiß, daß
Hunderttausende hinter ihm stehen, und wußte mit vielem Geschick seine Partei
als harmlos, als unschuldig verfolgt und als die allein ehrenhafte hinzustellen,
welche an nichts weniger als an gewaltsamen Umsturz denke. War denn aber
das nicht derselbe Herr Bebel, der am 25. Mai 1871 im Reichstage die Pariser
Kommune verherrlichte und „Krieg den Palästen!" rief? Die Unschuldsmiene
hielt denn auch nicht ganz vor, die Drohung mit den durch das Gesetz brodlos
werdenden Arbeitern ließ das wahre Gesicht durchscheinen; ebenso seine prah¬
lerische Schilderung der großartigen Organisation seiner Partei, auf Grund
deren man ihr nicht werde an den Kragen kommen können. Das Meiste schien
er sich von Enthüllungen über Vorgänge zu versprechen, aus welchen hervor¬
gehen sollte, daß die preußische Regierung, insbesondere Fürst Bismarck, die
Sozialdemokratie früher unterstützt habe. Gründlicher ist aber wohl selten jemand
abgeführt worden, als Herr Bebel mit diesen offenbar nur auf Skandal berechneten
Klatschereien. Wir danken es dem Kanzler, daß er sich alsbald herabließ, diese
kleinlichen Anschuldigungen zu zertreten. Sie hätten sonst noch viel zur Herab¬
setzung der Regierung ausgebeutet werden können. Die heitere Laune, mit
welcher der Kanzler die mit Lügen aufgeputzten Erzählungen auf ihr nichts
zurückführte, übertraf diese selbst hundertfach an feuilletonistischer Unterhaltung.
Als der Sozialdemokrat Brake aus Braunschweig noch einen Versuch machte,
die Ziele seiner Partei als harmlos hinzustellen, fand derselbe keine Aufmerk¬
samkeit mehr, selbst als alles, was zu ihrer Vertheidigung vorgebracht wurde,
nur zu ihrer Belastung ausschlug. Schade, daß nicht ein Redner sich der
Mühe unterzog, aus sozialdemokratischen Blättern bis auf die neueste Zeit
das Ziel des gewaltsamen Umsturzes nachzuweisen. Was Minister Eulenburg
und der Kanzler in dieser Beziehung anführten, war nur wenig.

Wenn der greise Kleist-Retzow das ganze Gebahren der Sozialdemokratie


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[0527] Andersdenkende den Grundsatz aussprach, selbst der unmittelbar drohenden Ge¬ fahr gegenüber seien Ausnahmsmaßregeln unstatthaft. Der sonst von allen Seiten verlassenen Sozialdemokratie hat Hänel augenblicklich den werthvollsten Dienst geleistet, ihre Lehre und Bestrebungen als gleichberechtigt mit wissen¬ schaftlichen, religiösen und politischen Lehren hinzustellen, sie selbst durch Vor¬ kommnisse der letzten Zeiten möglichst zu entschuldigen und emphatisch zu fragen: „Wer hebt den ersten Stein gegen die sozialdemokratische Bewegung?" Der den ganzen Entwurf kennzeichnende Hinweis des Kanzler's, daß wir nicht ris- kiren wollen, am Ende unter der Tyrannei einer Gesellschaft von Banditen zu existiren, war die einzig passende Antwort auf die Rede Hänel's, Als Vertreter der Sozialdemokratie hat Herr Bebel am 16. September seine Rolle wohl ausgefüllt. Er trat, unter Befleißigung großer Mäßigung, mit der ganzen Siegeszuversicht eines verrannten Fanatikers auf, der da weiß, daß Hunderttausende hinter ihm stehen, und wußte mit vielem Geschick seine Partei als harmlos, als unschuldig verfolgt und als die allein ehrenhafte hinzustellen, welche an nichts weniger als an gewaltsamen Umsturz denke. War denn aber das nicht derselbe Herr Bebel, der am 25. Mai 1871 im Reichstage die Pariser Kommune verherrlichte und „Krieg den Palästen!" rief? Die Unschuldsmiene hielt denn auch nicht ganz vor, die Drohung mit den durch das Gesetz brodlos werdenden Arbeitern ließ das wahre Gesicht durchscheinen; ebenso seine prah¬ lerische Schilderung der großartigen Organisation seiner Partei, auf Grund deren man ihr nicht werde an den Kragen kommen können. Das Meiste schien er sich von Enthüllungen über Vorgänge zu versprechen, aus welchen hervor¬ gehen sollte, daß die preußische Regierung, insbesondere Fürst Bismarck, die Sozialdemokratie früher unterstützt habe. Gründlicher ist aber wohl selten jemand abgeführt worden, als Herr Bebel mit diesen offenbar nur auf Skandal berechneten Klatschereien. Wir danken es dem Kanzler, daß er sich alsbald herabließ, diese kleinlichen Anschuldigungen zu zertreten. Sie hätten sonst noch viel zur Herab¬ setzung der Regierung ausgebeutet werden können. Die heitere Laune, mit welcher der Kanzler die mit Lügen aufgeputzten Erzählungen auf ihr nichts zurückführte, übertraf diese selbst hundertfach an feuilletonistischer Unterhaltung. Als der Sozialdemokrat Brake aus Braunschweig noch einen Versuch machte, die Ziele seiner Partei als harmlos hinzustellen, fand derselbe keine Aufmerk¬ samkeit mehr, selbst als alles, was zu ihrer Vertheidigung vorgebracht wurde, nur zu ihrer Belastung ausschlug. Schade, daß nicht ein Redner sich der Mühe unterzog, aus sozialdemokratischen Blättern bis auf die neueste Zeit das Ziel des gewaltsamen Umsturzes nachzuweisen. Was Minister Eulenburg und der Kanzler in dieser Beziehung anführten, war nur wenig. Wenn der greise Kleist-Retzow das ganze Gebahren der Sozialdemokratie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/527>, abgerufen am 24.08.2024.