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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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zu bieten. Es liegt auf der Hand, daß einerseits der Umstand, daß die Aus¬
wahl dein Belieben eines Mannes überlassen war, andrerseits die Hast, mit
der diese Auswahl vollzogen werden mußte, die Treue des Gesammtbildes
beeinträchtigten. Es sind lebhafte Klagen darüber laut geworden; nach dem
glänzenden Erfolge, den unsere Ausstellung trotz ihrer unbestreitbaren Mängel
und Lücken erzielt hat, sind diese Klagen jedoch verstummt. Eine Anzahl
unserer ersten Maler ist gar nicht vertreten, andere so mangelhaft, daß ihre
Bilder eine falsche Vorstellung von ihrem Talent erwecken. Bei dem Mangel
an Raum mußten alle Historienbilder größeren Umfanges ausgeschlossen bleiben.
Eine andere Kategorie von Bildern, zu denen gerade die besten gehören, die
in den letzten Jahren in Deutschland gemalt worden sind, nämlich diejenigen,
welche sich ans den deutsch-französischen Krieg beziehen, kamen von vornherein
nicht in Betracht. Man war in dieser Hinsicht so skrupulös, daß man auch
die Portraits unseres Kaisers, unserer Prinzen und unserer Heerführer aus¬
schloß. Dadurch wurde die deutsche Kunst um einen ihrer schönsten Triumphe
gebracht. Das Verdikt traf auch das herrliche Bild von W. Gentz "der Ein¬
zug des deutschen Kronprinzen in Jerusalem", ein Bild, das an Farbenpracht
und poetischer Auffassung die Gemälde aller Orientmaler übertrifft, welche auf
dem Marsfelde ausgestellt haben.

Alle diese Umstände sind bei der Beurtheilung der deutschen Kunst von
Seiten der Franzosen nicht berücksichtigt oder gar geflissentlich ignorirt worden.
Man hat aus dem Mangel an Historienbildern die Decadence der KiMäs xkintiu-e
in Deutschland überhaupt gefolgert, man hat die Bedeutung der deutschen Land¬
schaftsmalerei, welche die erste der Welt ist, nicht erkannt, man hat behauptet,
die deutsche Kunst hätte einen philiströsen Anstrich u. dergl. in. Aber diese Aus¬
stellungen fielen nicht schwer genug in die Wagschaale, um den Triumph der
deutschen Kunst zu verkümmern. Sie verdankt ihn nicht glänzender Aeußerlich-
keit, nicht einer bestechenden Technik, nicht einem Aufgebot sensationeller Stoffe,
sondern ihrem tiefen idealen Gehalt, ihrer ernsten Sittlichkeit, ihrem frischen
Humor, ihrer schlichten Wahrheit, ihrer fröhlichen Naivetät. Das sind Eigen¬
schaften, die sich in keiner Kunst der Welt vereinigt finden. --

Ein allgemeines Fazit aus der Pariser Weltausstellung läßt sich zur
Zeit noch nicht ziehen. Das ungeheure Material, das zusammengebracht worden
ist, kann vor Jahresfrist nicht bewältigt werden. In dieser Ansammlung des
Materials liegt das Hauptverdienst der Pariser Weltausstellung, die in dieser
Hinsicht alle Vorgängerinnen übertraf und wohl schwerlich jemals wieder er¬
reicht werden wird. Denn Paris -- das muß neidlos anerkannt werden --
ist die einzige Stadt der Welt, die eine Weltausstellung mit Zubehör in ihren
Mauern beherbergen kann. Aber das ist nicht das Verdienst der Franzosen,


zu bieten. Es liegt auf der Hand, daß einerseits der Umstand, daß die Aus¬
wahl dein Belieben eines Mannes überlassen war, andrerseits die Hast, mit
der diese Auswahl vollzogen werden mußte, die Treue des Gesammtbildes
beeinträchtigten. Es sind lebhafte Klagen darüber laut geworden; nach dem
glänzenden Erfolge, den unsere Ausstellung trotz ihrer unbestreitbaren Mängel
und Lücken erzielt hat, sind diese Klagen jedoch verstummt. Eine Anzahl
unserer ersten Maler ist gar nicht vertreten, andere so mangelhaft, daß ihre
Bilder eine falsche Vorstellung von ihrem Talent erwecken. Bei dem Mangel
an Raum mußten alle Historienbilder größeren Umfanges ausgeschlossen bleiben.
Eine andere Kategorie von Bildern, zu denen gerade die besten gehören, die
in den letzten Jahren in Deutschland gemalt worden sind, nämlich diejenigen,
welche sich ans den deutsch-französischen Krieg beziehen, kamen von vornherein
nicht in Betracht. Man war in dieser Hinsicht so skrupulös, daß man auch
die Portraits unseres Kaisers, unserer Prinzen und unserer Heerführer aus¬
schloß. Dadurch wurde die deutsche Kunst um einen ihrer schönsten Triumphe
gebracht. Das Verdikt traf auch das herrliche Bild von W. Gentz „der Ein¬
zug des deutschen Kronprinzen in Jerusalem", ein Bild, das an Farbenpracht
und poetischer Auffassung die Gemälde aller Orientmaler übertrifft, welche auf
dem Marsfelde ausgestellt haben.

Alle diese Umstände sind bei der Beurtheilung der deutschen Kunst von
Seiten der Franzosen nicht berücksichtigt oder gar geflissentlich ignorirt worden.
Man hat aus dem Mangel an Historienbildern die Decadence der KiMäs xkintiu-e
in Deutschland überhaupt gefolgert, man hat die Bedeutung der deutschen Land¬
schaftsmalerei, welche die erste der Welt ist, nicht erkannt, man hat behauptet,
die deutsche Kunst hätte einen philiströsen Anstrich u. dergl. in. Aber diese Aus¬
stellungen fielen nicht schwer genug in die Wagschaale, um den Triumph der
deutschen Kunst zu verkümmern. Sie verdankt ihn nicht glänzender Aeußerlich-
keit, nicht einer bestechenden Technik, nicht einem Aufgebot sensationeller Stoffe,
sondern ihrem tiefen idealen Gehalt, ihrer ernsten Sittlichkeit, ihrem frischen
Humor, ihrer schlichten Wahrheit, ihrer fröhlichen Naivetät. Das sind Eigen¬
schaften, die sich in keiner Kunst der Welt vereinigt finden. —

Ein allgemeines Fazit aus der Pariser Weltausstellung läßt sich zur
Zeit noch nicht ziehen. Das ungeheure Material, das zusammengebracht worden
ist, kann vor Jahresfrist nicht bewältigt werden. In dieser Ansammlung des
Materials liegt das Hauptverdienst der Pariser Weltausstellung, die in dieser
Hinsicht alle Vorgängerinnen übertraf und wohl schwerlich jemals wieder er¬
reicht werden wird. Denn Paris — das muß neidlos anerkannt werden —
ist die einzige Stadt der Welt, die eine Weltausstellung mit Zubehör in ihren
Mauern beherbergen kann. Aber das ist nicht das Verdienst der Franzosen,


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[0522] zu bieten. Es liegt auf der Hand, daß einerseits der Umstand, daß die Aus¬ wahl dein Belieben eines Mannes überlassen war, andrerseits die Hast, mit der diese Auswahl vollzogen werden mußte, die Treue des Gesammtbildes beeinträchtigten. Es sind lebhafte Klagen darüber laut geworden; nach dem glänzenden Erfolge, den unsere Ausstellung trotz ihrer unbestreitbaren Mängel und Lücken erzielt hat, sind diese Klagen jedoch verstummt. Eine Anzahl unserer ersten Maler ist gar nicht vertreten, andere so mangelhaft, daß ihre Bilder eine falsche Vorstellung von ihrem Talent erwecken. Bei dem Mangel an Raum mußten alle Historienbilder größeren Umfanges ausgeschlossen bleiben. Eine andere Kategorie von Bildern, zu denen gerade die besten gehören, die in den letzten Jahren in Deutschland gemalt worden sind, nämlich diejenigen, welche sich ans den deutsch-französischen Krieg beziehen, kamen von vornherein nicht in Betracht. Man war in dieser Hinsicht so skrupulös, daß man auch die Portraits unseres Kaisers, unserer Prinzen und unserer Heerführer aus¬ schloß. Dadurch wurde die deutsche Kunst um einen ihrer schönsten Triumphe gebracht. Das Verdikt traf auch das herrliche Bild von W. Gentz „der Ein¬ zug des deutschen Kronprinzen in Jerusalem", ein Bild, das an Farbenpracht und poetischer Auffassung die Gemälde aller Orientmaler übertrifft, welche auf dem Marsfelde ausgestellt haben. Alle diese Umstände sind bei der Beurtheilung der deutschen Kunst von Seiten der Franzosen nicht berücksichtigt oder gar geflissentlich ignorirt worden. Man hat aus dem Mangel an Historienbildern die Decadence der KiMäs xkintiu-e in Deutschland überhaupt gefolgert, man hat die Bedeutung der deutschen Land¬ schaftsmalerei, welche die erste der Welt ist, nicht erkannt, man hat behauptet, die deutsche Kunst hätte einen philiströsen Anstrich u. dergl. in. Aber diese Aus¬ stellungen fielen nicht schwer genug in die Wagschaale, um den Triumph der deutschen Kunst zu verkümmern. Sie verdankt ihn nicht glänzender Aeußerlich- keit, nicht einer bestechenden Technik, nicht einem Aufgebot sensationeller Stoffe, sondern ihrem tiefen idealen Gehalt, ihrer ernsten Sittlichkeit, ihrem frischen Humor, ihrer schlichten Wahrheit, ihrer fröhlichen Naivetät. Das sind Eigen¬ schaften, die sich in keiner Kunst der Welt vereinigt finden. — Ein allgemeines Fazit aus der Pariser Weltausstellung läßt sich zur Zeit noch nicht ziehen. Das ungeheure Material, das zusammengebracht worden ist, kann vor Jahresfrist nicht bewältigt werden. In dieser Ansammlung des Materials liegt das Hauptverdienst der Pariser Weltausstellung, die in dieser Hinsicht alle Vorgängerinnen übertraf und wohl schwerlich jemals wieder er¬ reicht werden wird. Denn Paris — das muß neidlos anerkannt werden — ist die einzige Stadt der Welt, die eine Weltausstellung mit Zubehör in ihren Mauern beherbergen kann. Aber das ist nicht das Verdienst der Franzosen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/522>, abgerufen am 22.07.2024.