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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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unter Piloty's Leitung ein Jahr lernte. Seine Malweise zeigt heute noch den
unverkennbaren Stempel der Pilvtyschule. Von München ging er nach Rom,
von wo er ein Bild "Christus und die schöne Sünderin" auf die Wiener
Weltausstellung schickte, welches seinen Namen zuerst bekannt machte. Aber
erst im Jahre 1876 trat er mit seinem gewaltigen Bilde "die lebenden Fackeln
des Nero" in die Reihe der modernen Sensationsmaler, neben Makart und
Gabriel Max, deren Bilder von den Kunsthändlern durch die Hauptstädte
Europa's herumgeführt und unter den Posauneustößen der Reklame gezeigt
werden. "Die lebenden Fackeln des Nero" werden mit ihrer gegenwärtigen
Station in der russischen Abtheilung der Pariser Weltausstellung vermuthlich
ihren wohlarrangirten Triumphzug beendet haben. Ist ihnen doch der höchste
Ruhm zu Theil geworden, den ihr Schöpfer erreichen konnte: wie Makart's
große Dekoration haben auch sie die Ehre der großen Medaille erreicht.

Siemiradzki's Bild gehört in dieselbe grausige Kategorie wie die Mehrzahl
der französischen Historienbilder. Es ist ein charakteristischer Vertreter jener
nicht genug zu bekämpfenden Kunstrichtung, die ihr Ideal nicht in der Har¬
monie, sondern in der Dissonanz sucht, in dem Gegensatz zwischen Grausam-
keit und Wollust, zwischen dem Schauer des Entsetzens und dem Kitzel der
Ueppigkeit. Wir haben gesehen, daß die französischen Historienmaler sich mit
Vorliebe in die Zeiten des römischen Kaiserthums der Dekadence versenken.
Siemiradzki bringt sehr geschickt eiuen Gegensatz hinein, indem er die Verwor¬
fenheit, die Verkommenheit, die Kraftlosigkeit eines im Verfall begriffenen Welt¬
reichs der Sittenreinheit und der Glaubensstärke einer neuen weltbefreienden
Religion gegenüberstellt.

Ist diese Tendenz, die ja an und für sich wohl berechtigt wäre, nun wirk¬
lich eine ernstgemeinte oder ist sie nur das Mäntelchen für gewisse Extra¬
vaganzen in Form, Stoff und Farbe? Vor dem Bilde Siemiradzki's müssen
wir das letztere bejahen. Denn nicht das Martyrium der Christen, sondern
die Bacchanalien des Imperators haben die Phantasie des Malers gereizt, der
schaurige Gegensatz zwischen dem wüsten Treiben eines entmenschten Haufens
von Sklaven, Gladiatoren, Senatoren und Dirnen und zwischen der Todes¬
angst der gepeinigten Opfer, der pikante Farbenkontrast, der sich aus diesen
Gegensätzen ergiebt -- das sind die Leitmotive des Malers gewesen, als er
mit dem ganzen Aufwands eines bedeutenden malerischen Talents, aber ohne
geniale schöpferische Kraft sein Bild komponirte.

Die grausige Szene spielt vor dem Marmorpalaste der Cäsaren. Zur
Rechten des Beschauers ist eine lange Reihe von bekränzten Stangen aufge¬
richtet, an deren Spitzen die unglücklichen Opfer des Jmperatorenmahnsinns


unter Piloty's Leitung ein Jahr lernte. Seine Malweise zeigt heute noch den
unverkennbaren Stempel der Pilvtyschule. Von München ging er nach Rom,
von wo er ein Bild „Christus und die schöne Sünderin" auf die Wiener
Weltausstellung schickte, welches seinen Namen zuerst bekannt machte. Aber
erst im Jahre 1876 trat er mit seinem gewaltigen Bilde „die lebenden Fackeln
des Nero" in die Reihe der modernen Sensationsmaler, neben Makart und
Gabriel Max, deren Bilder von den Kunsthändlern durch die Hauptstädte
Europa's herumgeführt und unter den Posauneustößen der Reklame gezeigt
werden. „Die lebenden Fackeln des Nero" werden mit ihrer gegenwärtigen
Station in der russischen Abtheilung der Pariser Weltausstellung vermuthlich
ihren wohlarrangirten Triumphzug beendet haben. Ist ihnen doch der höchste
Ruhm zu Theil geworden, den ihr Schöpfer erreichen konnte: wie Makart's
große Dekoration haben auch sie die Ehre der großen Medaille erreicht.

Siemiradzki's Bild gehört in dieselbe grausige Kategorie wie die Mehrzahl
der französischen Historienbilder. Es ist ein charakteristischer Vertreter jener
nicht genug zu bekämpfenden Kunstrichtung, die ihr Ideal nicht in der Har¬
monie, sondern in der Dissonanz sucht, in dem Gegensatz zwischen Grausam-
keit und Wollust, zwischen dem Schauer des Entsetzens und dem Kitzel der
Ueppigkeit. Wir haben gesehen, daß die französischen Historienmaler sich mit
Vorliebe in die Zeiten des römischen Kaiserthums der Dekadence versenken.
Siemiradzki bringt sehr geschickt eiuen Gegensatz hinein, indem er die Verwor¬
fenheit, die Verkommenheit, die Kraftlosigkeit eines im Verfall begriffenen Welt¬
reichs der Sittenreinheit und der Glaubensstärke einer neuen weltbefreienden
Religion gegenüberstellt.

Ist diese Tendenz, die ja an und für sich wohl berechtigt wäre, nun wirk¬
lich eine ernstgemeinte oder ist sie nur das Mäntelchen für gewisse Extra¬
vaganzen in Form, Stoff und Farbe? Vor dem Bilde Siemiradzki's müssen
wir das letztere bejahen. Denn nicht das Martyrium der Christen, sondern
die Bacchanalien des Imperators haben die Phantasie des Malers gereizt, der
schaurige Gegensatz zwischen dem wüsten Treiben eines entmenschten Haufens
von Sklaven, Gladiatoren, Senatoren und Dirnen und zwischen der Todes¬
angst der gepeinigten Opfer, der pikante Farbenkontrast, der sich aus diesen
Gegensätzen ergiebt — das sind die Leitmotive des Malers gewesen, als er
mit dem ganzen Aufwands eines bedeutenden malerischen Talents, aber ohne
geniale schöpferische Kraft sein Bild komponirte.

Die grausige Szene spielt vor dem Marmorpalaste der Cäsaren. Zur
Rechten des Beschauers ist eine lange Reihe von bekränzten Stangen aufge¬
richtet, an deren Spitzen die unglücklichen Opfer des Jmperatorenmahnsinns


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[0517] unter Piloty's Leitung ein Jahr lernte. Seine Malweise zeigt heute noch den unverkennbaren Stempel der Pilvtyschule. Von München ging er nach Rom, von wo er ein Bild „Christus und die schöne Sünderin" auf die Wiener Weltausstellung schickte, welches seinen Namen zuerst bekannt machte. Aber erst im Jahre 1876 trat er mit seinem gewaltigen Bilde „die lebenden Fackeln des Nero" in die Reihe der modernen Sensationsmaler, neben Makart und Gabriel Max, deren Bilder von den Kunsthändlern durch die Hauptstädte Europa's herumgeführt und unter den Posauneustößen der Reklame gezeigt werden. „Die lebenden Fackeln des Nero" werden mit ihrer gegenwärtigen Station in der russischen Abtheilung der Pariser Weltausstellung vermuthlich ihren wohlarrangirten Triumphzug beendet haben. Ist ihnen doch der höchste Ruhm zu Theil geworden, den ihr Schöpfer erreichen konnte: wie Makart's große Dekoration haben auch sie die Ehre der großen Medaille erreicht. Siemiradzki's Bild gehört in dieselbe grausige Kategorie wie die Mehrzahl der französischen Historienbilder. Es ist ein charakteristischer Vertreter jener nicht genug zu bekämpfenden Kunstrichtung, die ihr Ideal nicht in der Har¬ monie, sondern in der Dissonanz sucht, in dem Gegensatz zwischen Grausam- keit und Wollust, zwischen dem Schauer des Entsetzens und dem Kitzel der Ueppigkeit. Wir haben gesehen, daß die französischen Historienmaler sich mit Vorliebe in die Zeiten des römischen Kaiserthums der Dekadence versenken. Siemiradzki bringt sehr geschickt eiuen Gegensatz hinein, indem er die Verwor¬ fenheit, die Verkommenheit, die Kraftlosigkeit eines im Verfall begriffenen Welt¬ reichs der Sittenreinheit und der Glaubensstärke einer neuen weltbefreienden Religion gegenüberstellt. Ist diese Tendenz, die ja an und für sich wohl berechtigt wäre, nun wirk¬ lich eine ernstgemeinte oder ist sie nur das Mäntelchen für gewisse Extra¬ vaganzen in Form, Stoff und Farbe? Vor dem Bilde Siemiradzki's müssen wir das letztere bejahen. Denn nicht das Martyrium der Christen, sondern die Bacchanalien des Imperators haben die Phantasie des Malers gereizt, der schaurige Gegensatz zwischen dem wüsten Treiben eines entmenschten Haufens von Sklaven, Gladiatoren, Senatoren und Dirnen und zwischen der Todes¬ angst der gepeinigten Opfer, der pikante Farbenkontrast, der sich aus diesen Gegensätzen ergiebt — das sind die Leitmotive des Malers gewesen, als er mit dem ganzen Aufwands eines bedeutenden malerischen Talents, aber ohne geniale schöpferische Kraft sein Bild komponirte. Die grausige Szene spielt vor dem Marmorpalaste der Cäsaren. Zur Rechten des Beschauers ist eine lange Reihe von bekränzten Stangen aufge¬ richtet, an deren Spitzen die unglücklichen Opfer des Jmperatorenmahnsinns

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/517>, abgerufen am 22.07.2024.