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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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halb Rußland's am meisten bekannten Marinemaler Aivasowski müssen wir
allerdings von dieser Kategorie ausschließen, da seine Seebilder wohl sehr
poetisch gestimmt sind, aber leider den Charakter vermissen lassen. Er schildert
einen Seesturm mit derselben Eleganz und Glätte wie den Spiegel des Meeres
in einer ruhigen Mondnacht. Aivasowski ist ein Romantiker in Farbe und
Stimmung: seine elegischen Bilder sind voll Seele, es fehlt ihnen aber die
Energie der Stimmung, welche den Charakter voraussetzt. Zugleich charakteri¬
stische, landschaftliche Stimmungsbilder aus dem weiten Reiche des weißen
Czaren bietet uns dagegen Kuindji in Petersburg mit zwei Steppenlandschaften,
einer Landschaft ans Finnland und einer wundervollen Mondnacht in der
Ukraine. Ein Teich im Walde bei Winterszeit, aus dem Eisblöcke herausge¬
holt worden sind, die am Rande liegen, von Mechtchenski ist ein Stillleben
von tiefer Melancholie, dessen Ruhe nur durch ein paar Krähen unterbrochen
wird, die fröstelnd auf dem gefrorenen Schnee herumhüpfen. Ein dritter Land¬
schaftsmaler von Bedeutung ist Orlowski, dessen Grasmäher bei herannahen¬
dem Gewitter die Staffage zu einem charakteristischen Landschaftsbilde aus
dem großen, an malerischen Reizen so unendlich reichen Lande bilden. Um
eines glücklichen Gedankens willen ist auch ein Genremaler Dmitrieff zu nennen.
Man sieht auf einem seiner Bilder einen Eisenbahnzug, der eben vor einer
einsamen Station Halt gemacht hat. Die Passagiere stecken die Köpfe zu den
Fenstern hinaus; deun von der Seite des Bahndamms kommen kleine Mädchen
mit Schüsseln voll Erdbeeren herbeigeeilt. Eines von ihnen ist im schnellen
Laufe gestolpert und mit seiner Schüssel hingestürzt. Erdbeeren und Hoff¬
nungen liegen beisammen im Sande, bei den Krüppeln, die bettelnd ihre Hände
den Reisenden entgegenstrecken. Um seiner Bizarrerie willen sei endlich noch
ein historisches Genrebild des Warschauer Malers Gerson erwähnt, der uns
Kopernikus inmitten einer Versammlung der erlauchtesten Geister seiner Zeit,
eines Michel Angelo, Perugino, Bramante, zeigt, denen er sein neues Welt¬
system erklärt.

So tüchtig die russischen Landschaftsmaler auch sind, ihr Fleiß und ihr
gediegenes Streben wird durch den Glanz eines Künstlernamens verdunkelt, dessen
Träger es verstanden hat, innerhalb dreier Jahre in ganz Europa, von Rom
bis Petersburg, von Petersburg bis Paris, von sich reden zu machen. Dieser
Maler, der Stern und die Hoffnung der russischen Kunst, Henri Siemiradzli,
hat leider nur die beiden Fehler, daß er kein Russe, sondern ein Pole ist, und
daß er seine künstlerische Bildung in Deutschland, in der Schule Meister
Piloty's, erlangt hat. Seine ersten Studien hat Siemiradzki, jetzt ein Mann
von 35 Jahren, allerdings an der Petersburger Akademie gemacht. Aber von
da ging er, mit dem großen Stipendiatpreis ausgerüstet, nach München, wo er


halb Rußland's am meisten bekannten Marinemaler Aivasowski müssen wir
allerdings von dieser Kategorie ausschließen, da seine Seebilder wohl sehr
poetisch gestimmt sind, aber leider den Charakter vermissen lassen. Er schildert
einen Seesturm mit derselben Eleganz und Glätte wie den Spiegel des Meeres
in einer ruhigen Mondnacht. Aivasowski ist ein Romantiker in Farbe und
Stimmung: seine elegischen Bilder sind voll Seele, es fehlt ihnen aber die
Energie der Stimmung, welche den Charakter voraussetzt. Zugleich charakteri¬
stische, landschaftliche Stimmungsbilder aus dem weiten Reiche des weißen
Czaren bietet uns dagegen Kuindji in Petersburg mit zwei Steppenlandschaften,
einer Landschaft ans Finnland und einer wundervollen Mondnacht in der
Ukraine. Ein Teich im Walde bei Winterszeit, aus dem Eisblöcke herausge¬
holt worden sind, die am Rande liegen, von Mechtchenski ist ein Stillleben
von tiefer Melancholie, dessen Ruhe nur durch ein paar Krähen unterbrochen
wird, die fröstelnd auf dem gefrorenen Schnee herumhüpfen. Ein dritter Land¬
schaftsmaler von Bedeutung ist Orlowski, dessen Grasmäher bei herannahen¬
dem Gewitter die Staffage zu einem charakteristischen Landschaftsbilde aus
dem großen, an malerischen Reizen so unendlich reichen Lande bilden. Um
eines glücklichen Gedankens willen ist auch ein Genremaler Dmitrieff zu nennen.
Man sieht auf einem seiner Bilder einen Eisenbahnzug, der eben vor einer
einsamen Station Halt gemacht hat. Die Passagiere stecken die Köpfe zu den
Fenstern hinaus; deun von der Seite des Bahndamms kommen kleine Mädchen
mit Schüsseln voll Erdbeeren herbeigeeilt. Eines von ihnen ist im schnellen
Laufe gestolpert und mit seiner Schüssel hingestürzt. Erdbeeren und Hoff¬
nungen liegen beisammen im Sande, bei den Krüppeln, die bettelnd ihre Hände
den Reisenden entgegenstrecken. Um seiner Bizarrerie willen sei endlich noch
ein historisches Genrebild des Warschauer Malers Gerson erwähnt, der uns
Kopernikus inmitten einer Versammlung der erlauchtesten Geister seiner Zeit,
eines Michel Angelo, Perugino, Bramante, zeigt, denen er sein neues Welt¬
system erklärt.

So tüchtig die russischen Landschaftsmaler auch sind, ihr Fleiß und ihr
gediegenes Streben wird durch den Glanz eines Künstlernamens verdunkelt, dessen
Träger es verstanden hat, innerhalb dreier Jahre in ganz Europa, von Rom
bis Petersburg, von Petersburg bis Paris, von sich reden zu machen. Dieser
Maler, der Stern und die Hoffnung der russischen Kunst, Henri Siemiradzli,
hat leider nur die beiden Fehler, daß er kein Russe, sondern ein Pole ist, und
daß er seine künstlerische Bildung in Deutschland, in der Schule Meister
Piloty's, erlangt hat. Seine ersten Studien hat Siemiradzki, jetzt ein Mann
von 35 Jahren, allerdings an der Petersburger Akademie gemacht. Aber von
da ging er, mit dem großen Stipendiatpreis ausgerüstet, nach München, wo er


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[0516] halb Rußland's am meisten bekannten Marinemaler Aivasowski müssen wir allerdings von dieser Kategorie ausschließen, da seine Seebilder wohl sehr poetisch gestimmt sind, aber leider den Charakter vermissen lassen. Er schildert einen Seesturm mit derselben Eleganz und Glätte wie den Spiegel des Meeres in einer ruhigen Mondnacht. Aivasowski ist ein Romantiker in Farbe und Stimmung: seine elegischen Bilder sind voll Seele, es fehlt ihnen aber die Energie der Stimmung, welche den Charakter voraussetzt. Zugleich charakteri¬ stische, landschaftliche Stimmungsbilder aus dem weiten Reiche des weißen Czaren bietet uns dagegen Kuindji in Petersburg mit zwei Steppenlandschaften, einer Landschaft ans Finnland und einer wundervollen Mondnacht in der Ukraine. Ein Teich im Walde bei Winterszeit, aus dem Eisblöcke herausge¬ holt worden sind, die am Rande liegen, von Mechtchenski ist ein Stillleben von tiefer Melancholie, dessen Ruhe nur durch ein paar Krähen unterbrochen wird, die fröstelnd auf dem gefrorenen Schnee herumhüpfen. Ein dritter Land¬ schaftsmaler von Bedeutung ist Orlowski, dessen Grasmäher bei herannahen¬ dem Gewitter die Staffage zu einem charakteristischen Landschaftsbilde aus dem großen, an malerischen Reizen so unendlich reichen Lande bilden. Um eines glücklichen Gedankens willen ist auch ein Genremaler Dmitrieff zu nennen. Man sieht auf einem seiner Bilder einen Eisenbahnzug, der eben vor einer einsamen Station Halt gemacht hat. Die Passagiere stecken die Köpfe zu den Fenstern hinaus; deun von der Seite des Bahndamms kommen kleine Mädchen mit Schüsseln voll Erdbeeren herbeigeeilt. Eines von ihnen ist im schnellen Laufe gestolpert und mit seiner Schüssel hingestürzt. Erdbeeren und Hoff¬ nungen liegen beisammen im Sande, bei den Krüppeln, die bettelnd ihre Hände den Reisenden entgegenstrecken. Um seiner Bizarrerie willen sei endlich noch ein historisches Genrebild des Warschauer Malers Gerson erwähnt, der uns Kopernikus inmitten einer Versammlung der erlauchtesten Geister seiner Zeit, eines Michel Angelo, Perugino, Bramante, zeigt, denen er sein neues Welt¬ system erklärt. So tüchtig die russischen Landschaftsmaler auch sind, ihr Fleiß und ihr gediegenes Streben wird durch den Glanz eines Künstlernamens verdunkelt, dessen Träger es verstanden hat, innerhalb dreier Jahre in ganz Europa, von Rom bis Petersburg, von Petersburg bis Paris, von sich reden zu machen. Dieser Maler, der Stern und die Hoffnung der russischen Kunst, Henri Siemiradzli, hat leider nur die beiden Fehler, daß er kein Russe, sondern ein Pole ist, und daß er seine künstlerische Bildung in Deutschland, in der Schule Meister Piloty's, erlangt hat. Seine ersten Studien hat Siemiradzki, jetzt ein Mann von 35 Jahren, allerdings an der Petersburger Akademie gemacht. Aber von da ging er, mit dem großen Stipendiatpreis ausgerüstet, nach München, wo er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/516>, abgerufen am 22.07.2024.