Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

während andere über 8000 besitzen, und forschen wir nach der Ursache für die
letztere Menschenanhäufung, so erkennen wir für dieselbe einen sehr natürlichen
Grund. Ueberall da nämlich, wo Steinkohle unter dem Boden liegt, ist die
größte Dichtigkeit der Bevölkerung im Deutschen Reiche: in Oberschlesien bei
Beuthen und Königshütte, bei Waldenburg, bei Dresden, bei Zwickau, in der
Ruhrgegend, bei Saarbrücken. Dort find auch überall die Heerde der Sozial¬
demokratie, dort wurden ihre Abgeordneten gewählt oder erhielten wenigstens sehr
ansehnliche Minoritäten. Es klingt paradox, ist es aber nicht: In Deutsch¬
land ist die Sozialdemokratie an das Vorkommen der Steinkohlen gebunden,
sie hat dort, wo diese vorkommt, ihren Hauptsitz und verbreitet sich von
diesen Stätten aus weiter über das Reich.

Theilweise haben wir in Deutschland gewiß schon eine Uebervölkerung und
dieser ist dann auch in nicht geringen! Maße das Anwachsen der Sozialisten-
Pest zuzuschreiben. Man hat stets auf Frankreich und dessen geringes Bevöl¬
kerungswachsthum als auf ein Beispiel von Degeneration hingewiesen; im
Lichte oder vielmehr im Dunkel moderner sozialistischer Verbiesterung erscheint
es aber fraglich ob es ein Vorzug für unser Reich ist, daß seine Bevölkerung
in so außerordentlichem Maße zunimmt, währeud seine Hilfsquellen nicht in
gleicher Weise sich vermehren. Der Ueberschuß der Geburten über die Sterbe¬
fülle beträgt bei uns etwa 11 auf 1000 Einwohner; in Frankreich aber nur 4.
Ju Folge des Krieges kam die französische Bevölkerung in eine sehr ungünstige
Lage. 1870 wurden 103,394 weniger geboren als verstürben, also iniliu"
2,8 und 1871 sogar 444,829 also Mnus 12,1 Und doch haben Statistiker,
wie M. Block), in der neuesten Zeit es unternommen vom Standpunkte des
sozialen Wohlbefindens den Stillstand oder die geringe Vermehrung der Be¬
völkerung gut zu heißen!

Was das deutsche Reich betrifft, so hat man für die Jahre 1867 bis 75
die Zunahme ans 63,6 pro 1000 Einwohner berechnet. Unter diesem Durch¬
schnitte sind aber sehr bedeutende Gebietstrecken geblieben, welche eine Abnahme
der Bevölkerung zeigen. Dahin gehört fast der ganze Strich durch Pommern
.bis Holstein, bedeutende Strecken Schlesiens, der Provinzen Sachsen, Hannover,
Westfalen, des Königreichs Bayern, Elsaß-Lothringen. In andern Bezirken
dagegen erkennen wir eine weit den Durchschnitt überragende Zunahme, die
sich unzweifelhaft als Resultat der Wanderungen darstellt. Die Gro߬
städte und die Industriegebiete sind die Anziehungspunkte, nach denen sich die
Bevölkerung hinwendet und daher erkennt man denn auch auf einer Karte der
Zunahme und Abnahme der Bevölkerung*) recht deutlich, wie in der Nähe



Wir besitzen eine solche für die Periode 1867--1875 von E. Hasse in dem erwähnten

während andere über 8000 besitzen, und forschen wir nach der Ursache für die
letztere Menschenanhäufung, so erkennen wir für dieselbe einen sehr natürlichen
Grund. Ueberall da nämlich, wo Steinkohle unter dem Boden liegt, ist die
größte Dichtigkeit der Bevölkerung im Deutschen Reiche: in Oberschlesien bei
Beuthen und Königshütte, bei Waldenburg, bei Dresden, bei Zwickau, in der
Ruhrgegend, bei Saarbrücken. Dort find auch überall die Heerde der Sozial¬
demokratie, dort wurden ihre Abgeordneten gewählt oder erhielten wenigstens sehr
ansehnliche Minoritäten. Es klingt paradox, ist es aber nicht: In Deutsch¬
land ist die Sozialdemokratie an das Vorkommen der Steinkohlen gebunden,
sie hat dort, wo diese vorkommt, ihren Hauptsitz und verbreitet sich von
diesen Stätten aus weiter über das Reich.

Theilweise haben wir in Deutschland gewiß schon eine Uebervölkerung und
dieser ist dann auch in nicht geringen! Maße das Anwachsen der Sozialisten-
Pest zuzuschreiben. Man hat stets auf Frankreich und dessen geringes Bevöl¬
kerungswachsthum als auf ein Beispiel von Degeneration hingewiesen; im
Lichte oder vielmehr im Dunkel moderner sozialistischer Verbiesterung erscheint
es aber fraglich ob es ein Vorzug für unser Reich ist, daß seine Bevölkerung
in so außerordentlichem Maße zunimmt, währeud seine Hilfsquellen nicht in
gleicher Weise sich vermehren. Der Ueberschuß der Geburten über die Sterbe¬
fülle beträgt bei uns etwa 11 auf 1000 Einwohner; in Frankreich aber nur 4.
Ju Folge des Krieges kam die französische Bevölkerung in eine sehr ungünstige
Lage. 1870 wurden 103,394 weniger geboren als verstürben, also iniliu»
2,8 und 1871 sogar 444,829 also Mnus 12,1 Und doch haben Statistiker,
wie M. Block), in der neuesten Zeit es unternommen vom Standpunkte des
sozialen Wohlbefindens den Stillstand oder die geringe Vermehrung der Be¬
völkerung gut zu heißen!

Was das deutsche Reich betrifft, so hat man für die Jahre 1867 bis 75
die Zunahme ans 63,6 pro 1000 Einwohner berechnet. Unter diesem Durch¬
schnitte sind aber sehr bedeutende Gebietstrecken geblieben, welche eine Abnahme
der Bevölkerung zeigen. Dahin gehört fast der ganze Strich durch Pommern
.bis Holstein, bedeutende Strecken Schlesiens, der Provinzen Sachsen, Hannover,
Westfalen, des Königreichs Bayern, Elsaß-Lothringen. In andern Bezirken
dagegen erkennen wir eine weit den Durchschnitt überragende Zunahme, die
sich unzweifelhaft als Resultat der Wanderungen darstellt. Die Gro߬
städte und die Industriegebiete sind die Anziehungspunkte, nach denen sich die
Bevölkerung hinwendet und daher erkennt man denn auch auf einer Karte der
Zunahme und Abnahme der Bevölkerung*) recht deutlich, wie in der Nähe



Wir besitzen eine solche für die Periode 1867—1875 von E. Hasse in dem erwähnten
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0050" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/140401"/>
          <p xml:id="ID_132" prev="#ID_131"> während andere über 8000 besitzen, und forschen wir nach der Ursache für die<lb/>
letztere Menschenanhäufung, so erkennen wir für dieselbe einen sehr natürlichen<lb/>
Grund. Ueberall da nämlich, wo Steinkohle unter dem Boden liegt, ist die<lb/>
größte Dichtigkeit der Bevölkerung im Deutschen Reiche: in Oberschlesien bei<lb/>
Beuthen und Königshütte, bei Waldenburg, bei Dresden, bei Zwickau, in der<lb/>
Ruhrgegend, bei Saarbrücken. Dort find auch überall die Heerde der Sozial¬<lb/>
demokratie, dort wurden ihre Abgeordneten gewählt oder erhielten wenigstens sehr<lb/>
ansehnliche Minoritäten. Es klingt paradox, ist es aber nicht: In Deutsch¬<lb/>
land ist die Sozialdemokratie an das Vorkommen der Steinkohlen gebunden,<lb/>
sie hat dort, wo diese vorkommt, ihren Hauptsitz und verbreitet sich von<lb/>
diesen Stätten aus weiter über das Reich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_133"> Theilweise haben wir in Deutschland gewiß schon eine Uebervölkerung und<lb/>
dieser ist dann auch in nicht geringen! Maße das Anwachsen der Sozialisten-<lb/>
Pest zuzuschreiben. Man hat stets auf Frankreich und dessen geringes Bevöl¬<lb/>
kerungswachsthum als auf ein Beispiel von Degeneration hingewiesen; im<lb/>
Lichte oder vielmehr im Dunkel moderner sozialistischer Verbiesterung erscheint<lb/>
es aber fraglich ob es ein Vorzug für unser Reich ist, daß seine Bevölkerung<lb/>
in so außerordentlichem Maße zunimmt, währeud seine Hilfsquellen nicht in<lb/>
gleicher Weise sich vermehren. Der Ueberschuß der Geburten über die Sterbe¬<lb/>
fülle beträgt bei uns etwa 11 auf 1000 Einwohner; in Frankreich aber nur 4.<lb/>
Ju Folge des Krieges kam die französische Bevölkerung in eine sehr ungünstige<lb/>
Lage. 1870 wurden 103,394 weniger geboren als verstürben, also iniliu»<lb/>
2,8 und 1871 sogar 444,829 also Mnus 12,1 Und doch haben Statistiker,<lb/>
wie M. Block), in der neuesten Zeit es unternommen vom Standpunkte des<lb/>
sozialen Wohlbefindens den Stillstand oder die geringe Vermehrung der Be¬<lb/>
völkerung gut zu heißen!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_134" next="#ID_135"> Was das deutsche Reich betrifft, so hat man für die Jahre 1867 bis 75<lb/>
die Zunahme ans 63,6 pro 1000 Einwohner berechnet. Unter diesem Durch¬<lb/>
schnitte sind aber sehr bedeutende Gebietstrecken geblieben, welche eine Abnahme<lb/>
der Bevölkerung zeigen. Dahin gehört fast der ganze Strich durch Pommern<lb/>
.bis Holstein, bedeutende Strecken Schlesiens, der Provinzen Sachsen, Hannover,<lb/>
Westfalen, des Königreichs Bayern, Elsaß-Lothringen. In andern Bezirken<lb/>
dagegen erkennen wir eine weit den Durchschnitt überragende Zunahme, die<lb/>
sich unzweifelhaft als Resultat der Wanderungen darstellt. Die Gro߬<lb/>
städte und die Industriegebiete sind die Anziehungspunkte, nach denen sich die<lb/>
Bevölkerung hinwendet und daher erkennt man denn auch auf einer Karte der<lb/>
Zunahme und Abnahme der Bevölkerung*) recht deutlich, wie in der Nähe</p><lb/>
          <note xml:id="FID_8" place="foot" next="#FID_9"> Wir besitzen eine solche für die Periode 1867&#x2014;1875 von E. Hasse in dem erwähnten</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0050] während andere über 8000 besitzen, und forschen wir nach der Ursache für die letztere Menschenanhäufung, so erkennen wir für dieselbe einen sehr natürlichen Grund. Ueberall da nämlich, wo Steinkohle unter dem Boden liegt, ist die größte Dichtigkeit der Bevölkerung im Deutschen Reiche: in Oberschlesien bei Beuthen und Königshütte, bei Waldenburg, bei Dresden, bei Zwickau, in der Ruhrgegend, bei Saarbrücken. Dort find auch überall die Heerde der Sozial¬ demokratie, dort wurden ihre Abgeordneten gewählt oder erhielten wenigstens sehr ansehnliche Minoritäten. Es klingt paradox, ist es aber nicht: In Deutsch¬ land ist die Sozialdemokratie an das Vorkommen der Steinkohlen gebunden, sie hat dort, wo diese vorkommt, ihren Hauptsitz und verbreitet sich von diesen Stätten aus weiter über das Reich. Theilweise haben wir in Deutschland gewiß schon eine Uebervölkerung und dieser ist dann auch in nicht geringen! Maße das Anwachsen der Sozialisten- Pest zuzuschreiben. Man hat stets auf Frankreich und dessen geringes Bevöl¬ kerungswachsthum als auf ein Beispiel von Degeneration hingewiesen; im Lichte oder vielmehr im Dunkel moderner sozialistischer Verbiesterung erscheint es aber fraglich ob es ein Vorzug für unser Reich ist, daß seine Bevölkerung in so außerordentlichem Maße zunimmt, währeud seine Hilfsquellen nicht in gleicher Weise sich vermehren. Der Ueberschuß der Geburten über die Sterbe¬ fülle beträgt bei uns etwa 11 auf 1000 Einwohner; in Frankreich aber nur 4. Ju Folge des Krieges kam die französische Bevölkerung in eine sehr ungünstige Lage. 1870 wurden 103,394 weniger geboren als verstürben, also iniliu» 2,8 und 1871 sogar 444,829 also Mnus 12,1 Und doch haben Statistiker, wie M. Block), in der neuesten Zeit es unternommen vom Standpunkte des sozialen Wohlbefindens den Stillstand oder die geringe Vermehrung der Be¬ völkerung gut zu heißen! Was das deutsche Reich betrifft, so hat man für die Jahre 1867 bis 75 die Zunahme ans 63,6 pro 1000 Einwohner berechnet. Unter diesem Durch¬ schnitte sind aber sehr bedeutende Gebietstrecken geblieben, welche eine Abnahme der Bevölkerung zeigen. Dahin gehört fast der ganze Strich durch Pommern .bis Holstein, bedeutende Strecken Schlesiens, der Provinzen Sachsen, Hannover, Westfalen, des Königreichs Bayern, Elsaß-Lothringen. In andern Bezirken dagegen erkennen wir eine weit den Durchschnitt überragende Zunahme, die sich unzweifelhaft als Resultat der Wanderungen darstellt. Die Gro߬ städte und die Industriegebiete sind die Anziehungspunkte, nach denen sich die Bevölkerung hinwendet und daher erkennt man denn auch auf einer Karte der Zunahme und Abnahme der Bevölkerung*) recht deutlich, wie in der Nähe Wir besitzen eine solche für die Periode 1867—1875 von E. Hasse in dem erwähnten

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/50
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/50>, abgerufen am 22.07.2024.